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Dossier: Tierschutz & Ethik

Das glückliche Reitpferd: Emotionen richtig erkennen

19 April 2016 15:01

Der glückliche Pferdeathlet vertraut seinem Reiter und erbringt Höchstleistungen mit Freude. Der glückliche Pferdeathlet vertraut seinem Reiter und erbringt Höchstleistungen mit Freude.

Jeder Reiter wünscht sich, dass das Pferd Spass hat beim Reiten. Auch die FEI hat den «glücklichen Athleten» – gemeint ist der Vierbeiner – als ihr oberstes Ziel festgelegt. Doch wie ­erkennen Reiter, Trainer und Richter überhaupt, in welcher Gemütslage sich das Pferd befindet?

Die Internationale Reiterliche Vereinigung FEI hält in ihrem Dressurreglement gleich zu Beginn fest, dass das Pferd beim Dressurreiten mittels harmonischer Ausbildung zu einem glücklichen Athleten gemacht werden soll. Dieses löbliche Ziel beschränkt sich natürlich nicht auf Dressurpferde, sondern soll im Sinne des Wohlergehens unserer Pferde in allen Bereichen des Turnier- und Freizeit-Reitsports angestrebt werden. 

Was ist Glück überhaupt?
Gemäss Duden ist glücklich, wer von froher Zufriedenheit, Freude, Glück erfüllt ist, wobei Glück als angenehme und freudige Gemütsverfassung definiert wird, in der man sich befindet, wenn man in den Besitz oder Genuss von etwas kommt, was man sich gewünscht hat, als Zustand der inneren Befriedigung und Hochstimmung.

Diese Begriffsbestimmung richtet sich natürlich nach dem Menschen; ein Pferd ist zu abstraktem Wunschdenken wohl kaum fähig. So können Menschen, die ein sportliches Ziel verfolgen, auch mal auf die Zähne beissen und unglücklich sein, bis sie dieses Ziel erreichen und glücklich werden. Pferde kennen und verstehen solche Ziele jedoch nicht und sollten daher zu jedem Zeitpunkt glückliche Athleten sein dürfen.

Positive Emotionen von Pferden erforschen
Die wissenschaftliche Untersuchung von positiven emotionalen Reaktionen bei Pferden steckt noch in den Kinderschuhen und stellt eine grosse Herausforderung 
dar. ­Ausserdem beziehen sich die vorhandenen Studien ausschliesslich auf nicht gerittene Pferde. Der glückliche Athlet im Sinne der FEI soll jedoch während der ­Erbringung ­einer sportlichen Leistung glücklich sein.

So beruht eine ganz aktuelle neuseeländische Studie zum Pferdewohlergehen (Stratton et al., 2014) unter anderem auf Indikatoren wie Puls, Atemfrequenz und Körpertemperatur beim ruhenden Pferd. Es liegt jedoch in der Natur dieser Werte, dass sie beim Pferd in der Arbeit sowieso erhöht sind und zudem auf positive wie negative Erregung hindeuten können – oder auch ab­hängig sind von der Grundkondition des Pferdes.

Als weitere Anzeiger der Gemütslage des Pferdes wird der Hormonspiegel von Cortisol und Adrenalin im Blut und von Oxytocin im Urin genannt. Doch auch diese Werte sind in der Wettkampfsituation nicht praxistauglich, da die Ergebnisse nicht innert nützlicher Frist zur Verfügung stehen und die Analysen allzu kostenintensiv sind.

Ein neuer Indikator zur objektiven Beurteilung von Emotionen, der in der Studie von Stratton et al. erstmals bei Pferden zum Einsatz kam, ist die Augentemperatur. Diese scheint bei Einwirkung von negativen Reizen zu sinken, was mit Wärmebildkameras sichtbar gemacht werden kann. Dieser Indikator muss jedoch noch weiter erforscht werden – und einmal mehr stellt sich die Frage, wie sich dies am arbeitenden Pferd darstellt.

Gemütslage von Auge erkennen
All diese Werte zur neutralen Messung von Emotionen sind jedoch nicht geeignet, um den glücklichen Athleten im Training oder am Turnier zu erkennen. Hierzu braucht es äussere Anzeichen, die von blossem Auge auszumachen sind.

So belegt die genannte Studie, dass Lecken und Kauen bei entspannten Pferden stärker ausgeprägt sind, wobei Zäumung und Gebiss diesen Eindruck beim Reiten wiederum verfälschen. Auch konnte im Rahmen dieser Studie wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass entspannte Pferde weniger heftig auf unerwartete Vorkommnisse und laute Geräusche reagieren als angespannte Pferde.

Müsste es also Teil jeder Prüfung sein, dass zu einem x-beliebigen Zeitpunkt ein Schreckschuss losgeht und die Reaktion des Pferdes darauf benotet wird? Da die Schreckhaftigkeit aber auch Charaktersache ist und das Pferd ein Fluchttier ist und bleibt, wäre dies ebenfalls kein praktikabler Weg, um den glücklichen Athleten zu beurteilen.

Die neuseeländische Studie kommt zum Schluss, dass positive Emotionen kaum eindeutig zu erkennen sind. Hinweise gemäss dieser Studie liefern eine hängende Unterlippe, ein vermehrtes Lecken und Kauen oder entspannte Nüstern. Hier sind sicher weitere Forschungsanstrengungen nötig, um zu eindeutigeren Erkenntnissen zu gelangen, insbesondere auch beim Pferd in der Arbeit.

Ist zufrieden glücklich genug?
Im Gegenzug reagierten Pferde im Rahmen der Studie von Stratton et al. deutlich auf negative Reize mit einer sehr hohen Hals­position, Schweifschlagen, zurückgelegten ­Ohren, aufgerissenen Augen, einer verspannten Maulpartie, geblähten Nüstern oder einem Rückgang der Augentemperatur.

Um das Pferd folglich objektiv als glücklichen – oder zumindest zufriedenen – Athleten zu erkennen, müssen sich Reiter, Trainer und Richter nach dem heutigen Wissensstand wohl darauf beschränken, dass keine eindeutigen und definitiven Anzeichen von negativen Gefühlsäusserungen auszumachen sind.

Es sei dahingestellt, ob ein Pferd, das keine Abwehrreaktion zeigt, tatsächlich schon ein glückliches Pferd ist. Studien zu den Themen Depression und erlernte Hilflosigkeit zweifeln dies an. Auch Müdigkeit und Apathie dürfen nicht mit Zufriedenheit verwechselt werden.

Das Auge schulen
Wenn man davon ausgeht, dass die Zufriedenheit beim Pferd das höchste der Gefühle ist, kann man sagen, dass ein Pferd dann glücklich ist, wenn die fünf Freiheiten zur Sicherstellung des Wohlbefindens von Tieren in menschlicher Obhut gemäss der Weltorganisation für Tiergesundheit gegeben sind:

1. Freiheit von Hunger und Durst
2. Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden
3. Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten
4. Freiheit von Angst und Stress
5. Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster

Auch die FEI hat sich diese fünf Punkte auf die Fahne geschrieben. Für die Beurteilung des glücklichen Athleten im Training und am Turnier sind insbesondere die Punkte 3 und 4 relevant. So müssen Reiter, Ausbilder und Richter in der Lage sein, die belegten negativen Gefühlsäusserungen wie Schweifschlagen, zurückgelegte Ohren, aufgerissene Augen, Zähneknirschen oder eine verspannte Maulpartie zu erkennen und darauf zu reagieren. 

Dies bekräftigt auch die Psychologin, Richterin und Buchautorin Dr. Ulrike Thiel, die insbesondere darauf hinweist, dass Ursache und Wirkung bei der Beurteilung von Stress nicht verwechselt werden dürfen. Wenn also die flache Atmung gemeinhin als Signal von Stress anerkannt ist, so darf eine Reitweise, die erwiesenermassen die Atmung des Pferdes beeinträchtigt, wie beispielsweise die Überzäumung (Beausoleil und Mellor, 2014), nicht geduldet werden.

Auch körperliche und geistige Überforderung ist eine enorme Stressquelle, die sich in Widersetzlichkeit, übermässigem Schwitzen auch an nicht beanspruchten Körperstellen, genauso aber auch in Resignation äussern kann. Als weiteres Beispiel nennt Thiel den häufig gesehenen weggedrückten Rücken mit erhobener Kopfposition und angespanntem Unterhals, der im natürlichen Umfeld einer Stresshaltung als Vorbereitung zur Flucht dient (Schöneich 2010) mit der entsprechenden physischen und psychischen Angst­reaktion.

Gerade die Richter als Fachleute in der Beurteilung von Reitpferden stehen hier in der Pflicht: Symptome von physischem und psychischem Unwohlsein und Anzeichen von unsachgemässem Training wie eine falsche Bemuskelung des Halses beispielsweise mit stark ausgeprägtem Unterhals oder falschem Knick sollten ernst genommen werden und sich in der Rangierung niederschlagen.

Was Paul Stecken, eine Koryphäe der pferdegerechten Reitausbildung, unter anderem Trainer und Mentor der erfolgreichen deutschen Vielseitigkeits- und Dressurreiterin Ingrid Klimke, mit diesem Zitat einst so trefflich formulierte, hat auch heute nichts an Aktualität verloren. Reiter, Ausbilder und Richter haben alle ihren Teil der Verantwortung für das Pferdewohl im Reitsport zu tragen und dürfen die Augen nicht verschliessen, wenn die Pferde uns mit ihrem Verhalten Hinweise auf ihren emotionalen Zustand geben. 

«Richtig Reiten reicht»
Jeder, der in irgendeiner Form Umgang mit Pferden pflegt, muss sich ein Mindestmass an Wissen um die anatomischen Zusammenhänge im Pferdekörper aneignen, um gesundheitsschonendes Reiten zu erkennen und zu praktizieren. Pferde wollen gefordert sein, dürfen jedoch niemals überfordert werden. Jedes Pferd ist jederzeit als Individuum zu betrachten, und es soll ihm bei der Ausbildung die nötige Zeit eingeräumt werden, um es gemäss seinen Möglichkeiten zu fördern.

Richtig reiten, das bedeutet, sich die Kriterien der Skala der Ausbildung, die jeder Reitschüler schon für das Reiterbrevet büffelt, beim Reiten, Ausbilden und Richten zu Herzen zu nehmen. Wer über das nötige Wissen um ihre korrekte Umsetzung verfügt und ihre Einhaltung als Qualitätsmerkmal von pferdegerechtem Reiten hochhält, betreibt aktiven Tierschutz.

Cornelia Heimgartner

Die Ausbildungsskala. / Illustration: Andrea Heimgartner, basierend auf den Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Die Ausbildungsskala. / Illustration: Andrea Heimgartner, basierend auf den Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.

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