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Dossier: Pferdezucht

Erbkrankheiten beim Sportpferd – Teil 3: «Rien ne va plus»: Wenn die Muskeln schmerzen

17 Juni 2015 11:41

Beim Pferdekauf sowie bei der Auswahl von Zuchttieren ist Vorsicht geboten. Darum ist Vorsorgen besser als Nachsehen. Entsprechend wichtig ist die Erforschung solcher Krankheiten. In einer mehrteiligen Serie im «Bulletin» werden einige der häufigeren Krankheiten näher beschrieben, die beim Pferd eine erbliche Komponente haben. Im dritten Teil dieser Serie geht es um muskuläre Erkrankungen, die zum Teil auch genetische Komponenten aufweisen.

Kreuzschlag, Kreuzverschlag, Monday-Morning-Disease, Tying-up-Syndrom oder auch Rhabdomyolyse – wie man inzwischen weiss, gibt es verschiedene Muskelerkrankungen, die die klassischen Symptome des früher nur unter dem Begriff «Kreuzschlag» bekannten Syndroms verursachen können. Das Ausmass eines solchen Muskelschadens  kann sehr unterschiedlich sein. Das Spektrum reicht von einem für den Reiter praktisch nicht wahrnehmbaren steifen Gang  bis hin zu einer für das Pferd lebensbedrohlichen Situation. Neben verschiedenen äus­seren Einflüssen können dabei auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. 

Symptome
Die Krankheitserscheinungen treten meist zu Beginn der Arbeit auf. Verläuft die Erkrankung leichtgradig, will das Pferd sich in der Regel nicht oder nur sehr ungern bewegen, ist unrittig und zeigt, falls das Blut im Labor untersucht wird, erhöhte Muskelwerte. Bei einem schwereren Verlauf fängt das Pferd plötzlich an zu schwitzen und bewegt sich ungewöhnlich steif. 

Die Muskeln können zittern und die Hinterhand kann einknicken, weil das Pferd die Muskeln nicht mehr anspannen kann. Wenn diese Pferde sich hinlegen, ist es möglich, dass sie nicht wieder aufstehen können. Es ist dringend empfohlen, bei einem solchen Pferd die Arbeit sofort einzustellen. Die Rücken-,  Kruppen- und Oberschenkelmuskulatur erscheint geschwollen, bretthart und schmerzhaft. Da bei dieser Krankheit Muskelgewebe zerstört und dann der Muskelfarbstoff mit dem Urin ausgeschieden wird, verfärbt sich dieser rot bis dunkelbraun.

Ursache
Der Kreuzschlag ist eine Faktorenkrankheit. Das heisst, verschiedene zugrunde liegende Ursachen und mehrere ungünstige Faktoren treffen zusammen und führen zur Ausprägung der klinischen Symptome. Mögliche auslösende Faktoren sind zum Beispiel körperliche Belastung oder Anforderungen, die nicht dem Trainingszustand des Pferdes entsprechen, sowie ein- bis mehrtägige Unterbrechungen des Trainings oder der Arbeit bei voller Futterration.

Weiter spielen auch genetische Komponenten eine Rolle: Ein heutzutage gut untersuchtes Beispiel ist die Kohlehydratspeicherkrankheit PSSM (Polysaccharid-Speicher-Myopathie), welche bisher vor allem bei Quarter Horses und diversen Kaltblutrassen festgestellt wurde. 

Krankheitsentstehung
Die alte Theorie der Übersäuerung der Muskulatur als Ursache des Kreuzschlages ist inzwischen klar widerlegt. Je nach der zugrunde liegenden Erkrankung kann hingegen die Ursache in einem abnormalen Kohlehydrat- oder Fettstoffwechsel der Zelle liegen. 

Bei der genetisch bedingten Erkrankung PSSM führt zum Beispiel die Einlagerung von zu vielen falschen Zuckermolekülen dazu, dass die Muskelzellen zerstört werden. Das Muskeleiweiss, das sogenannte Myoglobin, strömt dann aus den zugrunde gegangenen Zellen in die Blutbahn und wird durch den Harn ausgeschieden, welcher sich rot bis dunkelbraun verfärbt. Dieser erhöhte Myoglobingehalt im Blut kann ausserdem die Nieren schädigen.

Behandlung
Das betroffene Pferd muss sofort ruhiggestellt werden. Man sollte also auf keinen Fall weiter reiten und stattdessen einen Transport organisieren sowie den Tierarzt anrufen. Weiter sollte das Pferd zugedeckt und beruhigt werden. Liegt ein Pferd fest, darf man es nicht aufjagen. Besser, man stellt ihm genügend weiche Einstreu zur Verfügung. Wichtig ist auch, dem Pferd jederzeit temperiertes Wasser anzubieten. Der Tierarzt wird dann versuchen, dem Pferd die Schmerzen zu erleichtern, das Ursprungsproblem ausfindig zu machen und falls möglich medikamentös zu beheben. Dazu gehören unter anderem Entzündungshemmer und wenn nötig auch Infusionen, um die Nieren vor Schäden zu schützen.

Prognose
Die Prognose hängt sehr stark vom jeweiligen Schweregrad des Kreuzschlags ab. Sie reicht von sehr gut bis eher schlecht. Es kommt auch immer darauf an, wie ein betroffenes Pferd auf die Behandlung anspricht.

Vorbeugung
Als Pferdebesitzer kann man auch bei teilweise genetisch bedingten Muskelerkrankungen solchen vorbeugen. Folgende Punkte sind dabei zu beachten:

  • An Stehtagen Kraftfutterration mindestens halbieren.
  • Körperliche Belastung dem Trainingszustand und dem Alter des Pferdes anpassen.
  • Genügend lange Aufwärmphase: Das Pferd soll mindestens 10 bis 15 Minuten vor Beginn der Arbeit im Schritt bewegt werden.
  • Ausreichende Vitamin-E- und Selen-Versorgung und Versorgung mit Mineralstoffen sicherstellen.
  • Monitoring mittels Analyse der Muskelenzyme anhand von Blutproben, zum Beispiel nach einem grösseren Training oder Wettkampf.
  • Bei wiederholt auftretenden Kreuzschlägen: Ein Gentest für PSSM vom Typ 1 oder gegebenenfalls eine Muskelbiopsie durchgeführen lassen. 
  • Bei genetisch veranlagten Pferden muss besonders darauf geachtet werden, dass die Pferde immer sehr regelmässig bewegt werden. Stehtage sollten möglichst ganz vermieden werden. Ausserdem kann eine Fütterungsumstellung, also ein Verzicht auf kohlehydratreiches Kraftfutter, und wenn nötig Ersatz durch fettreiche Fütterung, helfen, erneuten Krankheitsausbrüchen vorzubeugen.

Nicole Basieux, Nathalie Fouché (ISME) & Vince Gerber (ISME)

Züchterische Bedeutung

Für die Kohlehydratspeicherkrankheit PSSM Typ 1 gibt es einen Gentest – für PSSM Typ 2 sowie die anderen ähnlichen Muskelerkrankungen mit genetischem Anteil gibt es dies bis heute so nicht. Mit dem PSSM-Gentest kann herausgefunden werden, ob ein Pferd die genetische Veranlagung für PSSM vom Typ 1 hat oder nicht. 

Antworten einiger Zuchtverbände:

Zuchtverband CH Sportpferde ZVCH
Michel Dahn, Präsident des ZVCH: «Pferde, die bekanntlich Träger einer Erbkrankheit sind, sollten natürlich nicht in die Zucht. Der ZVCH testet jedoch nicht auf PSSM. In meiner täglichen Praxis sehe ich gegenwärtig wenig Fälle von PSSM bei Warmblütern, mehr beim Quarter Horse oder Kaltblütern. Hier muss erwähnt werden, dass vor einigen Jahren vermehrt Fälle von PSSM in Zusammenhang mit einem Warmbluthengst aufgetreten sind. Der Hengsthalter und die Züchter haben alle mitgeholfen, den Hengst und die Nachkommen zu testen; die betroffenen Tiere wurden dann nicht in der Zucht eingesetzt. Die Züchter sind sich also ihrer Verantwortlichkeit bewusst und müssen dafür gelobt werden.»

Cheval Suisse
Barbara Knutti, Vizepräsidentin von Cheval Suisse: «Cheval Suisse macht keine systematischen Untersuchungen zu dieser Krankheit, d. h., Cheval-Suisse-Pferde werden nicht auf diese Krankheit getestet. Grundsätzlich sollte vermieden werden, PSSM-Pferde in der Zucht einzusetzen. Die Züchter werden auch in diesem Sinne beraten. Ob und wann ein obligatorischer Gentest für PSSM bei den Hengsten eingeführt werden soll, ist noch in Diskussion.»

Schweizerischen Freibergerverband
Stéphane Klopfenstein, Geschäftsführer des Schweizerischen Freibergerverbands SFV: «Von Seiten des SFV wurden im Zusammenhang mit PSSM keine züchterischen Massnahmen getroffen. Der Ausbruch der Muskelprobleme hängt ja nicht nur von der genetischen Veranlagung, sondern vor allem von Umweltfaktoren wie Fütterung und Belastung des Pferdes ab. 

Gemäss einer Studie der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL wird der Anteil Freibergerpferde, der PSSM-Träger ist, auf ungefähr 5 Prozent geschätzt, was sehr tief ist. Züchter können ihr FM-Pferd auf freiwilliger Basis testen lassen. Der SFV verfolgt die Entwicklung von PSSM mit Partnern wie der HAFL und Agroscope mit dem Nationalgestüt. Sicher wäre zuerst eine Studie über den Phänotyp der Trägertiere angebracht, bevor man wirklich Massnahmen treffen kann.»

Swiss Quarter Horse Association
Philipp Roos, Präsident der Swiss Quarter Horse Association SQHA: «Das Thema ist für Quarter Horses sehr aktuell. Die American Quarter Horse Association (AQHA) lässt weltweit ein Fohlen erst zur Registrierung zu, nachdem es einen Gentest absolviert hat. Dieser Test soll die Eltern des Fohlens definitiv bestätigen. AQHA bietet an, im gleichen Test auch auf die häufigsten Erbkrankheiten zu prüfen. Unter anderem können die Quarter Horses auch auf PSSM  getestet werden.

AQHA und ihr Ableger in der Schweiz, die Swiss Quarter Horse Association (SQHA), verbieten die Zucht mit von Erbkrankheiten belasteten Tieren nicht. Es wird jedoch sehr viel unternommen, um Interessierte mit dem Thema vertraut zu machen, damit sie für ihre Zucht die richtigen Entscheidungen treffen können.

Wir vertreten klar die Meinung, dass positiv getestete Quarter Horses für eine gute Zucht nicht geeignet sind. Die SQHA wurde schon gebeten, die Namen der positiv getesteten Hengste aus der Schweiz und dem umliegenden Ausland zu publizieren. Wir mussten aus rechtlichen Gründen darauf verzichten. Möglichen Pferdekäufern empfehlen wir, die Verkäufer zum Thema zu befragen und im Zweifelsfall in der Schweiz einen Test machen zu lassen. Der Tierarzt hilft dazu gerne weiter.»

Serie über Erbkrankheiten

Diese mehrteilige Serie über Erbkrankheiten beim Sportpferd wird in Zusammenarbeit mit dem Institut suisse de médecine équine ISME sowie mit dem Zuchtverband CH Sportpferde ZVCH publiziert. Bereits erschienen:

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