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Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Mundtot: Wenn Nasenriemen Pferde nicht mehr «zu Wort kommen lassen»

19 Dezember 2016 14:05

Die Meinungen über die korrekte Verschnallung von Nasenriemen gehen unter Reitern auseinander, das Thema polarisiert und wirft Fragen auf. Was sind Halbwahrheiten und was sagt die Wissenschaft? Welche Rolle spielt der SVPS bei der Regulierung dieser Frage und wie sieht es aus Sicht des Tierschutzes aus?

Korrekt verschnallt: Zwei Finger müssen auf dem Nasenrücken bequem unter Nasenband und Sperrriemen geschoben werden können. Korrekt verschnallt: Zwei Finger müssen auf dem Nasenrücken bequem unter Nasenband und Sperrriemen geschoben werden können.

Ein zufriedenes Pferd soll mit möglichst geschlossenem Maul ruhig auf dem Gebiss kauen – so will es unsere Reitlehre. Insbesondere im Dressursport fliesst diese Maultätigkeit denn auch in die Bewertung eines Rittes mit ein, denn sie liefert wichtige Hinweise zum Befinden des Pferdes. Eine herausgestreckte Zunge, ein verkrampftes Sperren des Kiefers oder Zähneknirschen führen zu Punkteabzug, da sie auf Abwehr, Undurchlässigkeit, Ausbildungsmängel und/oder Schmerzen hinweisen. Genau deshalb ist die Versuchung bei so manchem Reiter aber auch gross, das Pferd mit eng verschnalltem Nasenband daran zu hindern, sein natürliches Abwehrverhalten zu zeigen.

Freiheit nach Vorschrift

Obwohl die Tierschutzverordnung in Artikel 21 eine ganze Reihe von verbotenen Handlungen bei Pferden auflistet, findet das zu enge Verschnallen des Nasenriemens keine Erwähnung. Der Blick in die verschiedenen Regelwerke des SVPS zeigt, dass wenig Klarheit darüber herrscht, wie locker ein Nasenriemen sitzen muss, um die «Meinungsäus­serung» des Pferdes zuzulassen. In den Prüfungsreglementen und -wegleitungen wird über die korrekte Verschnallung des Nasenriemens nichts gesagt. Man geht wohl davon aus, dass es sich hierbei um reiterliches Allgemeinwissen handelt. Lernt man das also beim Reiter-Brevet, das jeder Teilnehmer von offiziellen Pferdesportturnieren bestanden hat? Fehlanzeige! In den Theorie-unterlagen wird einzig erwähnt, dass das Nasenband weder die Luftzufuhr behindern noch am Jochbein scheuern darf. Ein erster Hinweis liefert das Pflichtenheft für die technischen Delegierten der Disziplin Dressur: Unter den Hinweisen zur Einordnung und Beurteilung insbesondere für Richter auf dem Abreitplatz steht, dass falsch oder zu stramm angelegte und/oder die Bewegungsfreiheit unangemessen einschränkende Ausrüstung sowie Ausrüstung, die die Maul- bzw. Zungentätigkeit unterbindet, nicht pferdegerecht ist. Das bedeutet, dass für den Richter oder technischen Delegierten sofortiger Handlungsbedarf besteht, wenn er solche Ausrüstungsfehler feststellt. Sie müssen den betreffenden Reiter ansprechen, da «Erscheinungsbilder, Zustände oder Verhaltensweisen vorliegen, die zur Verwarnung bis hin zum Ausschluss führen können». Dennoch wird nicht explizit gesagt, wie satt ein Nasenband sitzen darf, um nicht als zu eng zu gelten. Da das Infoblatt des SVPS für technische Delegierte unter der empfohlenen Literatur die Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN angibt, darf deren Aussage dazu als relevant betrachtet werden. Und im deutschen Regelwerk heisst es, dass man zwei Finger flach auf dem Nasenrücken unter den Nasenriemen schieben können muss.

Fingerübungen der Wissenschaft

In der jüngsten Vergangenheit gingen verschiedene Studien der Frage nach, wie viel Platz der Nasenriemen dem Pferd gewähren muss, um die erwünschte Kautätigkeit zu ermöglichen. So haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass für eine Kautätigkeit ein Mindestabstand von 17 Millimetern zwischen den Schneidezähnen notwendig sind (Kienapfel et al., 2010). In derselben Studie wird als praktisches Mass für die pferdegerechte Verschnallung des Nasenriemens ebenfalls die Zwei-Finger-Regel angeführt, wobei betont wird, dass diese zwei Finger zwingend auf dem Nasenrücken gemessen werden müssen und nicht etwa an der Seite des Kopfes oder unter dem Unterkiefer.

Eine ganz aktuelle australische Studie (Fenner et al., 2016) belegte bei stramm verschnallten Nasenbändern eine deutlich erhöhte Herzfrequenz und eine erhöhte Augentemperatur – beides Indikatoren für Stress. Die Messungen im Rahmen dieser Studie wurden am stehenden Pferd vorgenommen, sodass ein Einfluss durch körperliche Anstrengung ausgeschlossen werden konnte. Noch bei Verschnallungen, die auf dem Nasenrücken einen Finger Platz liessen, wurde eine eingeschränkte Kautätigkeit beobachtet, und die Schlucktätigkeit nahm ab, je enger das Nasenband verschnallt war. Gemäss den Autoren der Studie sind dies eindeutige Reaktionen auf das enge Nasenband, die auf Unwohlsein oder Schmerzen zurückzuführen sind.

Weitere Studien legen nahe, dass enge Nasenriemen zu einer eingeschränkten Gewebedurchblutung (McGreevy et al., 2012) sowie zu Nerven- und Knochenschädigungen (Casey et al., 2013) führen können.

Sinn oder Unsinn?

Darüber, welche Funktion der Nasenriemen denn tatsächlich erfüllt, herrscht Uneinigkeit. Wo manche Wissenschaftler folgern, dass das Reithalfter aufgrund des Kraftflusses zwischen Reiterhand, Zügel, Gebiss und Pferdekopf keinen Einfluss auf die Druckverhältnisse hat (Preuschoft et al., 1999), attestieren andere ihm durchaus positive Auswirkungen auf die Druckverteilung zwischen Gebiss, Maul und Nasenrücken (Bürger, 2006).

Die Zwei-Finger-Regel ist hier sicher ein guter Kompromiss, um dem Pferd sein natürliches Ausdrucksverhalten zu ermöglichen und damit Defizite für Ausbilder und Richter auch sichtbar zu machen.

Objektive Messung am Turnier

Damit eine solche Zwei-Finger-Vorschrift Sinn macht, muss sie objektiv und reproduzierbar sein. Da Fingerdicken bekanntlich von Mensch zu Mensch variieren, drängt sich hier die Nasenbandkontrolle mittels eines standardisierten Messgeräts auf. Ein Beispiel hierfür ist das Taper Gauge der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften ISES. Mit einem raschen Handgriff kann damit neutral beurteilt werden, ob die Verschnallung des Nasenriemens eine regelkonforme Maul- und Zungentätigkeit zulässt.

Eine solche Kontrolle sollte in der Prüfungspraxis vor dem Einreiten in den Parcours oder das Viereck erfolgen. So würde man dem Reiter noch die Chance lassen, die Verschnallung anzupassen und regelkonform einzureiten. Dies fordert unter anderem auch eine aktuelle Petition gegenüber der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN.

Information an der Basis

Um Willkür und Missbrauch nicht nur am Turnier, sondern auch im Trainingsalltag möglichst auszuschliessen, muss insbesondere an der Basis – in Reitschulen und in der Berufsbildung – eine breite Sensibilisierung und Aufklärung zu diesem Thema stattfinden. Ob es hierzu tatsächlich eine Reglementsänderung braucht, muss in den kommenden Monaten in den Fachkommissionen des SVPS diskutiert und entschieden werden.

Cornelia Heimgartner

Foto: Andrea Heimgartner

Margret Dreier, Chefin Technik der Disziplin Dressur

«Zu eng verschnallte Nasenbänder sieht man leider immer wieder an Dressurprüfungen. Grundsätzlich gehört es zu den Aufgaben der technischen Delegierten, diese zu kontrollieren, nur wird es zu wenig gemacht. Die TDs und Richter werden an den Kursen ermuntert, dies zu tun. Da jedoch eine verbindliche Richtlinie fehlt, ist es am Turnier nicht immer einfach einzugreifen. In diesem Sinne muss auch an die Eigenverantwortung der Reiter appelliert werden. Sicher tragen solche Diskussionen dazu bei, dass wieder genauer hingeschaut wird.»

Monika Elmer, Chefin Technik der Disziplin Springen

«Die Zäumung bzw. die Art und der Einsatz von Trensen und Nasenbändern ist im heutigen Springreglement in Artikel 7.9 mit ‹Zäumung frei› nicht klar geregelt. Was wir heute zum Teil auf den Turnierplätzen antreffen, lässt Fragen aufkommen, die auch Aspekte des Tierschutzes betreffen. Ich vertrete jedoch die Meinung, so wenig wie möglich und so viel wie nötig zu reglementieren. Eine genaue Beschreibung erlaubter Trensen und Nasenbänder, analog dem Dressurreglement, hätte eine nie enden wollende und laufend zu aktualisierende Liste zur Folge. Eine 2-Finger-Regelung und die Messung mittels eines standardisierten Messgeräts lehne ich aber eher ab. Ich appelliere da an die Verantwortung der Offiziellen, je nach Situation vor Ort zu entscheiden und wo nötig einzugreifen. Ob und in welcher Form, die Anwendung von Nasenband und Trensen im Springreglement verankert werden soll, wird anlässlich der Gespräche zu den Reglementsänderungen im 2017 besprochen.»

Marco Hermann, Präsident der Veterinärkommission

«Die Frage, ob die Verschnallung des Nasenriemens von offizieller Seite geregelt werden soll, ist nicht einfach zu beantworten, denn es spielen sehr viele Aspekte mit hinein in dieses Thema. Grundsätzlich ist klar, Pferde sollen nicht gequält werden. Wir können aber nicht jedes pferdewidrige Verhalten in ein Reglement aufnehmen. Viel wichtiger ist es, an den gesunden Menschen- oder besser Pferdeverstand der Reiter zu appellieren und sicher in der reiterlichen Grundausbildung entsprechende Informationen zu vermitteln – beispielsweise im Rahmen des Reiterbrevets. Gerade beim Verschnallen des Nasenriemens müssen jedoch auch Faktoren wie beispielsweise die Materialbeschaffenheit des Zaumzeugs, Nasenbandtyp, allfällige Einwirkung der Zügel direkt auf das Nasenband oder via Trense und andere Aspekte mit einfliessen in die Beurteilung einer Situation. Ausserdem besteht die Gefahr, dass man durch ein zu enges Regelwerk das Gesamtbild aus den Augen verliert. Ein guter ‹Horseman›, ob Reiter, Ausbilder oder Offizieller, sollte schon am Ohrenspiel oder am Blick des Pferdes erkennen können, ob sich dieses ‹wohlfühlt›. Diese Fähigkeit geht verloren, je mehr Einzelpunkte reglementarisch festgelegt werden. Ob ein zu eng verschnalltes Nasenband oder ein weit aufgerissenes Maul ohne Nasenband mehr Ausdruck von Unbehagen beim Pferd darstellt, könnte auch noch diskutiert werden. Wollen wir als Nächstes die Spannung des Sattelgurtes reglementieren? Oder die Polsterung des Sattels? Oder . . .?»

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