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Wettstein Estelle, SUI, West Side Story, 165Olympic Games Tokyo 2021© Hippo Foto - Stefan Lafrentz25/07/2021
Dressur
Dossier: Ausbildung

Der Traum vom Spitzensport: junge Dressurtalente auf dem Weg in die Elite

23 Mai 2022 09:00

Sie sind jung, talentiert und sportlich erfolgreich - und können sich ein Leben ohne das Dressurreiten kaum vorstellen. Die Schule oder Berufsausbildung und das Reiten gingen Hand in Hand, das engagierte und mindestens so motivierte Familien- und Trainingsumfeld machte vieles möglich. Dann plötzlich stehen die jungen Erwachsenen an einem Scheideweg: Soll man alles auf die Karte «Sportkarriere» setzen? Und wenn ja, wie kann man diese planen? Das «Bulletin» hat mit drei Zukunftshoffnungen des Schweizer Dressursports über ihren Weg in die Elite gesprochen.

Renée Stadler sammelt mit ihrem Danzador Erfahrungen in der Kategorie Junge Reiter, mit dem Ziel, dereinst den Sprung in die Elite zu schaffen. | © Gianluca Sasso Renée Stadler sammelt mit ihrem Danzador Erfahrungen in der Kategorie Junge Reiter, mit dem Ziel, dereinst den Sprung in die Elite zu schaffen. | © Gianluca Sasso

Renée Stadler (wird 19), Estelle Schurink (wird 20) und Carl-Lennart Korsch (wird 22) sind drei junge Dressurtalente, welche die Schweizer Farben an internationalen Turnieren auf der ganzen Welt vertreten. Während es in der Alterskategorie der «Junioren», in der man bis und mit 18 Jahren starten darf, noch darum geht, den Sport zwar intensiv, aber doch als Hobby neben der Schule oder der Berufslehre zu betreiben, wird es mit dem Übergang zu den Kategorien «Junge Reiter» (16-21 Jahre) und «U25» (16-25 Jahre) doch schon ziemlich ernst. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer hat das Zeug zur Sportkarriere in der Elite? Und was braucht es dazu - nebst Talent? Die einfache und doch ernüchternde Antwort lautet: Es gibt keinen Goldstandard mit Erfolgsgarantie.

 

Pony- und Children-Kader als wichtiger Karriereeinstieg

Heidi Bemelmans betreut den Schweizer Dressurnachwuchs beim SVPS seit 13 Jahren und hat hier hervorragende Aufbauarbeit geleistet. Unter ihrer Ägide machte die Schweiz insbesondere in den Kategorien der Ponys, der Children und der Junioren mit hervorragenden Resultaten auf sich aufmerksam, und dies, obwohl der Pool der Nachwuchsreiterinnen und -reiter in diesen Kategorien nach wie vor relativ klein ist. Auch das Junge-Reiter- und das U25-Kader kennt die erfahrene deutsche Trainerin bestens, denn auch diese betreute sie lange Zeit mit nachhaltigem Erfolg. Gerade die Pony- und die Children-Zeit sieht Heidi Bemelmans als entscheidenden Vorteil, um es bis in das Kader der Jungen Reiter zu schaffen: «Wer die Pony- und die Children-Zeit im Kader erlebt hat und dort schon an internationalen Wettkämpfen und Championaten teilnehmen konnte, verfügt sicher über eine solide reiterliche Ausbildung, kennt die Abläufe auf den Turnierplätzen und kann mit Leistungsdruck und Nervosität umgehen. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber Kindern, die erst im Junioren-Alter zum Kader stossen. Natürlich müssen die Kinder den schwierigen Schritt vom Pony auf das Grosspferd schaffen. Dafür bildet das Children-Kader einen hervorragenden Rahmen, denn hier können die Kinder im Alter von 12 bis 14 Jahren erste Erfahrungen an internationalen Turnieren auf Grosspferden sammeln. Mit diesen Children-Pferden klappt normalerweise auch der Übergang zu den Junioren problemlos. Bei den Reiterinnen und Reitern, die seit dem Pony- oder dem Children-Kader im internationalen Sport dabei sind und bei denen auch das Umfeld stimmt, klappt der Übergang in das Junge-Reiter-Kader meist gut - wer diesen Rucksack an Erfahrungen nicht mitbringt, hat es hingegen oft schwer, den Anschluss zu finden. Aber ausgeschlossen ist es natürlich nicht!»

Heidi Bemelmans, Trainerin und Kaderverantworliche Nachwuchs SVPS | © Simone Graf Heidi Bemelmans, Trainerin und Kaderverantworliche Nachwuchs SVPS | © Simone Graf

Auch der Nationaltrainer der Schweizer-Dressur-Kader, Oliver Oelrich, ist von der Wichtigkeit des Pony-Kaders überzeugt: «Im Pony-Kader liegt das Schwergewicht auf der reiterlichen Ausbildung, auf dem korrekten Reiten der Hufschlagfiguren, dem korrekten Sitz und der korrekten Einwirkung. Gleichzeitig wachsen die Kinder in das Wettkampfsystem hinein, lernen im Turnier- und Trainingsalltag viel über den Umgang mit dem Pferd und bekommen ein Gefühl für die eigene Sportlichkeit. All diese Faktoren bleiben mit den wachsenden Leistungsanforderungen in den Kategorien erhalten, werden aber weiter verfeinert. Gerade deshalb ist eine breite Förderung bei den Ponys und den Junioren unheimlich wichtig. Hier wird der Grundstein für die korrekte Reittechnik gelegt. Auch wenn vielleicht im Moment kein geeignetes Pferd für höhere Anforderungen zur Verfügung steht, sollten diese Jugendlichen mitgenommen werden, wenn sie das nötige reiterliche Talent und Können besitzen. Denn plötzlich ist das richtige Pferd da, und die Kinder finden sofort den Anschluss. In diesem Sinne ist das reiterliche Können bei der Nachwuchsförderung wichtiger als die Pferdequalität. Durchschnittsreiter mit Spitzenpferden sind für uns aus Sicht der Nachhaltigkeit weniger interessant als reiterliche Talente mit Durchschnittspferden.»

 

Auf das richtige Pferd setzen

Auf dem weiteren Weg in die Elite ist das Pferd dennoch ein zentraler Faktor. Dank ihrer langjährigen Erfahrung sieht Heidi Bemelmans hier eine rasante Entwicklung: «In den letzten Jahren haben alle Nationen bei den Pferden aufgerüstet. Schon bei den Jungen Reitern sind die Pferde deutlich qualitätvoller als noch vor zehn Jahren. Da muss man mitziehen, wenn man den Anschluss an die Weltspritze schaffen möchte.»

Was den Ausbildungsstand der Pferde betrifft, ist der Schritt von den Jungen Reitern zur Kategorie U25 ein Meilenstein: Nun wird ein Grand-Prix-Pferd erforderlich, das Passage, Piaffe und die Einerwechsel beherrscht. Nach dem Schritt vom Pony zum Grosspferd ist der Übergang zum Grand Prix in der U25 die zweite grosse Hürde in der Dressursportkarriere. Oliver Oelrich unterstreicht: «Wenn das Pferd zusammen mit dem Nachwuchsreiter die Grand-Prix-Lektionen erlernen muss, nimmt dieser Karriereschritt deutlich mehr Zeit in Anspruch, als wenn der Jugendliche mit einem weiter ausgebildeten Pferd in den Grand-Prix-Sport hineinwachsen kann. Die Anforderungen mit den schnelleren Lektionenabfolgen im Grand Prix sind schon für den Reiter allein sehr hoch. Kommt noch ein unerfahrenes Pferd hinzu, sind die Erfolgschancen natürlich kleiner.»

 

Grosser finanzieller Aufwand

Alles in allem darf man auch nicht unterschätzen, welche Kosten im Laufe einer Karriere im Dressursport auf die Reiterinnen und Reiter zukommen. Da sind die Investition in ein geeignetes Pferd, die laufenden Kosten für dessen Betreuung, aber auch die Entschädigung des geeigneten Trainers und nicht zuletzt die hohen Summen, die für die Teilnahme an einem internationalen Turnier zusammenkommen. Da braucht man entweder ein entsprechend solides Privatvermögen, oder man kann auf die Unterstützung eines Gönners oder Sponsors zählen. Bei den Nachwuchsreiterinnen und -reitern muss auch für diese Thematik ein Bewusstsein geschaffen werden, weiss Heidi Bemelmans: «Die Kinder müssen lernen, dass es nicht selbstverständlich ist, unseren Sport auf Kader-Niveau zu betreiben. Es ist wichtig, dass sie von klein auf mit auf den Weg bekommen, dass man sich für die Unterstützung, die man erhält, bedanken und erkenntlich zeigen muss - auch wenn es zunächst vielleicht die Eltern sind, die in ihre Wochenenden investieren und die Ponys und die Pferde finanzieren. Mit jedem Karriereschritt wird diese Kontaktpflege wichtiger.

Dressur-Nationaltrainer Oliver Oelrich | © Simone Graf Dressur-Nationaltrainer Oliver Oelrich | © Simone Graf

Elitedressur ist Spitzensport

Um den Sprung vom Nachwuchs in die Elite zu schaffen, braucht es aber nicht nur Talent, eine hervorragende Reittechnik und ein geeignetes Pferd. Wer diesen Karrieresprung schaffen will, muss dem Sport - in der Regel neben der Berufstätigkeit - einen hohen Stellenwert einräumen, was ein entsprechendes Management nicht nur des vierbeinigen Athleten, sondern auch der Reiterin bzw. des Reiters erfordert. Wer sich der Dressurelite anschliessen will, muss in jeder Beziehung fit sein, wie Heidi Bemelmans betont: «Gezielter Ausgleichssport, gegebenenfalls Mentaltraining oder auch beispielsweise eine Ernährungsberatung sowie eine durchdachte Trainings- und Turnierplanung sind für Elitereiterinnen und -reiter unabdingbar. Das alles erfordert ein enormes persönliches Engagement und ein entsprechendes privates und berufliches Umfeld.»

Dieses Engagement muss man bereits im Junge-Reiter- oder spätestens im U25-Kader bedenken. Auch Oliver Oelrich sieht in der - zumindest vorübergehenden - Entscheidung für den Beruf anstelle des Sports den wichtigsten Grund für die Absprungquote von Nachwuchstalenten: «Oftmals sind die Jugendlichen zum Zeitpunkt des Übergangs vom Junge-Reiter-Kader zum U25-Kader noch in der akademischen oder beruflichen Ausbildung bzw. machen gerade die ersten Schritte im vollwertigen Berufsalltag. Nicht jedes Nachwuchstalent wird sich in dieser wichtigen Lebensphase für die Sportkarriere entscheiden - nicht zuletzt auch deshalb, weil eine Spitzensportkarriere in der Dressur auch noch Jahre später wieder aufgenommen werden kann. Das kann den Eindruck erwecken, dass nur wenige Nachwuchsreiterinnen und -reiter den Sprung in die Elite schaffen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!»

Carl-Lennart Korsch am CDI Ornago 2022 im Sattel von San Ravallo - einem Pferd, das dem talentierten Reiter von Familie Nater zur Verfügung gestellt wird, um sich von der U25 an die Elite heranzutasten. | © Gianluca Sasso Carl-Lennart Korsch am CDI Ornago 2022 im Sattel von San Ravallo - einem Pferd, das dem talentierten Reiter von Familie Nater zur Verfügung gestellt wird, um sich von der U25 an die Elite heranzutasten. | © Gianluca Sasso

Vollgas in Beruf und Sport

Carl-Lennart Korsch hat seine kaufmännische Berufslehre über die Sportschule United School of Sports absolviert und arbeitet heute Vollzeit in der Emil Frey Züri-Oberland Autogarage in Wetzikon (ZH). Er kommt aber nicht nur beim Autoverkauf auf Hochtouren, sondern schaltet auch in seiner Sportkarriere einen Gang höher: Seit diesem Jahr gehört er dem U25-Perspektivkader an, nachdem er bereits alle Kaderstufen des SVPS durchlaufen hat, angefangen mit dem Pony-Kader im Jahr 2014.

Ein solches Arbeitspensum neben der Sportkarriere erfordert enorme Disziplin und ein hervorragendes Umfeld. Eine saubere Planung und kompromisslose Umsetzung sind hierbei das A und O. Platz für ein Privatleben bleibt dabei kaum, aber der knapp 22-jährige Zürcher kennt seine Prioritäten genau: «Auch wenn die Balance zwischen Beruf und Sport nicht einfach einzuhalten ist, war für mich klar, dass ich nicht voll auf die Karte Pferdesport setzen wollte. Man weiss ja nie, was im Leben noch passiert! Ausserdem sehe ich den Spitzensport als eine Lebensschule, und umgekehrt profitiere ich auch im Sport von meiner Berufserfahrung. Beispielsweise kommt mir der Kundenkontakt in der Autogarage bei der Kommunikation mit Sponsoren usw. sicher zugute.»

Trotzdem ist sein Ehrgeiz, es in die Elite zu schaffen, gross - und dafür trainiert er neben seiner Berufstätigkeit hart: «Drei- bis viermal in der Woche trainiere ich morgens vor der Arbeit im Fitnessstudio. Der Sprung in die U25 und damit auf Grand-Prix-Niveau ist riesig - da muss man in allen Bereichen fit sein. Am Donnerstagnachmittag habe ich in der Garage jeweils frei, da ich normalerweise am Samstagmorgen arbeite. Somit steht der Donnerstagnachmittag ganz im Zeichen des Reittrainings. Meist fahre ich auch abends nach der Arbeit noch zu den Pferden ins Training. Wenn ich am Wochenende auf einem Turnier im Einsatz bin, muss ich dafür Ferien nehmen - so setze ich alle meine Ferientage für den Sport ein.»

Bei einem so straffen Terminplan wird schnell klar, dass Carl-Lennart Korsch seine Sportkarriere nur mit der Unterstützung eines ganzen Teams realisieren kann: «Meine Turnierpferde werden mir von Familie Nater zur Verfügung gestellt. Ich kann nicht oft genug sagen, wie dankbar ich für dieses Vertrauen, das sie in mich steckt, bin - und dies seit vielen Jahren! Auch ohne meine Trainerin Susanne Eggli wäre es unmöglich für mich, auf diesem Niveau zu reiten. Sie trainiert meine Pferde, wenn ich arbeiten muss, und sie bringt mich reiterlich gezielt weiter. Ausserdem stehen die Pferde, die mir zur Verfügung stehen, in einem Pensionsstall, der über die nötige Trainingsinfrastruktur verfügt, und sie werden von dessen professionellem Personal versorgt. Die Saisonplanung bespreche ich jeweils mit meiner Trainerin sowie mit der Kaderverantwortlichen der U25 Ruth Haas und mit Oliver Oelrich. Zum Glück übernimmt Susanne Eggli zusammen mit der Familie Nater auch das Laden der Lastwagen und die Organisation von Reisedokumenten, Unterkunft usw. All das könnte ich allein niemals stemmen. Für diese umfassende Unterstützung bin ich unendlich dankbar!»

 

Mit Exzellenz in den Spitzensport

Mit ihren bald 19 Jahren nimmt Renée Stadler 2022 ihre erste Saison im Kader der Jungen Reiter in Angriff. Ausserdem bereitet sie sich gerade intensiv auf die Maturitätsprüfungen vor, die sie diesen Sommer am Sportgymnasium Rämibühl in der Stadt Zürich ablegen wird. Der Vorteil des Sportgymnasiums: Von Dienstag bis Freitag sind die Nachmittage jeweils unterrichtsfrei, um den Sporttalenten Zeit für ihr Training einzuräumen - dafür dauert die Gymnasialzeit ein Jahr länger. Für Renée Stadler, deren Talent von Beginn an von Heidi Bemelmans erkannt und gefördert wurde und die alle SVPS-Kaderstufen ab den Ponys durchlaufen hat, stehen dieses Jahr somit zwei grosse Veränderungen an: das erste Jahr im Junge-Reiter-Kader und der Beginn eines regulären Studiums. Was bedeutet das für die talentierte Dressurreiterin? «Dieses Jahr ist sicher ein Jahr mit vielen Herausforderungen. Ich überlege, das Wirtschaftsstudium an der Hochschule St. Gallen in Angriff zu nehmen - dort ist insbesondere das erste Jahr sehr streng und selektiv. Ich müsste mich also vermehrt auf meine akademische Ausbildung konzentrieren. Was den Sport betrifft, sind meine beiden Spitzenpferde im Moment noch nicht bis Grand Prix ausgebildet - daran arbeite ich derzeit mit meinem Trainer Hans Staub. Die Junge-Reiter-Zeit dauert drei Jahre. So lange habe ich Zeit, die Pferde auf Grand-Prix-Niveau zu bringen für die U25. Wir werden sehen, ob wir das schaffen!»

Dass Renée Stadler Talent hat, beweist auch ihre Aufnahme in das Exzellenz-Programm des CHIO Aachen Campus, ein internationales Nachwuchsförderprogramm, das in der Dressur insbesondere auch durch die erfolgreichste Dressurreiterin aller Zeiten, Isabell Werth, getragen wird. Der Unterricht bei ihr als Head Coach ist für Renée Stadler, die als bisher einzige Schweizer Dressurreiterin in dieses Programm aufgenommen wurde, jedes Mal ein Highlight: «Das Exzellenz-Programm ist für mich eine einmalige Chance, mit Isabell Werth zu trainieren. In sechs Blöcken über mehrere Monate verteilt habe ich die Möglichkeit, jeweils während dreier aufeinanderfolgende Tage mit ihr in Aachen zu trainieren. Das Training ist sehr individuell und unheimlich inspirierend.» Nicht nur das reiterliche Können wird im Exzellenz-Programm gefördert, sondern auch viele weitere Aspekte, die für den Spitzensport entscheidend sind, wie Fitness, Media Coaching, Ernährungsberatung oder Pferde- und Stallmanagement. Und die junge Zürcherin kennt auch ihren Schwachpunkt: «Insbesondere beim Ausgleichssport müsste ich mehr machen. Einmal in der Woche reicht nicht aus - da muss ich noch disziplinierter werden.»

Die beiden Turnierpferde von Renée Stadler sind im Besitz der ebenfalls pferdebegeisterten Eltern der jungen Nachwuchsreiterin und leben sozusagen vor der Haustür der Familie, direkt angrenzend an die Anlagen eines grossen Sportstalls, dessen Infrastruktur die aufstrebende Amazone fürs Training nutzen kann. Das Umfeld für eine Spitzensportkarriere in der Elite wäre also gegeben. Dennoch bleibt Renée Stadler realistisch: «Vom Pferdesport zu leben, ist vor allem in der Dressur kaum möglich. Deshalb muss im Moment meine akademische Ausbildung vorgehen. Dennoch möchte ich meinen sportlichen Ehrgeiz und die Freude am Reiten behalten und zusammen mit meinen Trainern weiter an mir und meinen Pferden arbeiten. Was mir besonders wichtig ist, gerade wenn der Erfolg auch mal ausbleibt: Wir sind ein Team aus zwei Lebewesen und müssen uns gegenseitig respektieren und miteinander wachsen.»

Estelle Schurink studiert in den USA und hat ihr Pferd Quater Lion nach Übersee mitgenommen, damit das Dressurtraining auf hohem Niveau weiterhin möglich bleibt. | © zVg Estelle Schurink studiert in den USA und hat ihr Pferd Quater Lion nach Übersee mitgenommen, damit das Dressurtraining auf hohem Niveau weiterhin möglich bleibt. | © zVg

Mit dem Pferd in die USA

Mit ihren bald 20 Jahren ist auch Estelle Schurink im besten Junge-Reiter-Alter. Sie war nie in einem Dressurkader des SVPS und bestritt trotz ihrer Schweizer Nationalität vorwiegend Turniere in Frankreich - und dies mit vielversprechenden Erfolgen. So wurde ihr auch die Möglichkeit gegeben, die Schweizer Farben an internationalen Turnieren zu vertreten. Dafür ist Estelle Schurink sehr dankbar: «Wenn man seine Pferde in der Schweiz hat, ist es auf jeden Fall erstrebenswert, in die SVPS-Kader aufgenommen zu werden. Die Trainings und Lehrgänge mit den Nationaltrainern und anderen renommierten internationalen Richtern und Ausbildern sind enorm lehrreich, und auch der Austausch mit dem Equipentierarzt ist immer spannend. Für mich war es eine tolle Erfahrung, die Chance zu erhalten, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, obwohl ich nicht im Kader war. Die Anforderungen für eine Aufnahme in das Nationalkader sind sehr hoch - und das ist auch richtig so. Da ich beschlossen hatte, meinem Trainer Jean Vesin und seiner Frau Charlotte Chalvignac-Vesin ins französiche Le Mans zu folgen, samt meinen Pferden, konnte ich aber nicht oft genug in die Schweiz reisen, um alle Anforderungen zu erfüllen.»

Die junge Amazone beweist jedoch nicht nur im Sattel viel Talent, sondern wurde dieses Jahr dank ihren hervorragenden schulischen Leistungen auch an der renommierten Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) aufgenommen. Das ist nicht selbstverständlich! Die Spitzenuniversität, die insbesondere in den Bereichen Medizin und Gesundheitswissenschaften zu den besten Hochschulen der Welt gehört, selektioniert ihre Studierenden aus unzähligen Bewerbungen, und nur rund vier Prozent der bewerbenden Studierenden werden zugelassen. Die Freude über die Studienzulassung war bei Estelle Schurink riesig - doch war für sie auch klar: Das Pferd muss mit über den grossen Teich! Eine logistische Mammutaufgabe, die sie dank der grossen Unterstützung ihrer Familie gemeistert hat: «Ich absolviere im Moment ein Bachelorstudium in Neurowissenschaften mit computergestützter Medizin im Nebenfach. Daran möchte ich ein Master in Public Health anschliessen, um schliesslich in Medizin zu doktorieren. Das Bildungssystem hier in den USA ist etwas anders, und das Medizinstudium dauert länger. Umso wichtiger war mir, dass ich mein Pferd Quater Lion mitnehmen konnte.»

Wer in so jungen Jahren ein neues Leben auf einem anderen Kontinent in Angriff nimmt, weiss, was er will. Dennoch war der Umzug sehr aufwendig, und es mussten im Vorfeld zahlreiche Abklärungen gemacht werden. Schliesslich sollte alles perfekt sein, wenn das Pferd endlich in den USA ankommt: «Ich bin ein sehr kompetitiver Mensch und will nicht nur in meiner akademischen Laufbahn, sondern auch sportlich das Maximum aus mir herausholen. Deshalb suchte ich schon von zu Hause aus nach einem passenden Sportstall und leistungsorientierten Trainern im Umfeld der Johns-Hopkins-Universität. Auch das ganze Management-umfeld musste stimmen, vom Hufschmied über den Osteopathen bis hin zum Tierarzt. Ich hatte riesiges Glück und tolle Unterstützung durch meine neue Trainerin Ashley Madison Jetzt passt alles perfekt! Ich wohne auf dem Campus der Uni, der Stall liegt aber nah, sodass ich regelmässig hinfahren kann. Fünfmal in der Woche trainieren wir, zweimal davon mit der Trainerin. Daneben gibt es wundervolle Reitwege auf der Anlage, um die Natur zu geniessen.»

Die ambitionierte Amazone verfolgt ihre Ziele mit viel Engagement und Entschlossenheit: «Ich brauche Ziele in meinem Leben, sei es im Sport oder im Beruf. Ja, die Elite ist mein reiterliches Ziel, aber im Moment geht die akademische Ausbildung vor. Mein Pferd Quater Lion mit Jahrgang 2012 ist noch nicht bis zum Grand Prix ausgebildet - daran arbeiten wir, damit ich die Hürde in die U25 schaffe. Mein Spitzenpferd, Fangarifau, das Grand Prix läuft und turniererprobt ist, konnte ich leider nicht in die USA mitnehmen. Das Ausbilden von Quater Lion ist sehr lehrreich, und ich erfahre dabei neue Eindrücke und meistere neue Herausforderungen. Am Ende sind es im Sport und im Studium dieselben Eigenschaften, die den Weg zum Erfolg ebnen: Gewissenhaftigkeit, Geduld und die Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen.»

 

Karrieren am Wendepunkt

Die Beispiele dieser Dressurtalente und die Ausführungen des erfahrenen Trainerteams machen deutlich, dass der Übergang vom Nachwuchs in die Elite zeitlich oft mit wegweisenden Lebensentscheidungen zusammenfällt. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Sportkarrieren insbesondere im Dressursport meist nicht gradlinig verlaufen. Doch der Rucksack an Erfahrungen, den die Kinder und Jugendlichen dank den leistungssportlichen Förderungen in den Nachwuchskadern mit auf den Weg nehmen, ist von unschätzbarem Wert im weiteren Leben, sei es im Beruf oder bei einem allfälligen späteren Wiedereinstieg in den Spitzensport. Bestimmt werden wir das eine oder andere Nachwuchstalent trotz allen Herausforderungen in dieser Übergangszeit früher oder später im Elite-Kader des SVPS wieder anfeuern dürfen!

Cornelia Heimgartner

Nachwuchskaderselektion Dressur

Um neue Nachwuchstalente zu finden und den bisherigen Nachwuchsreiterinnen und -reitern die Möglichkeit zu geben, sich zu bestätigen, wird jeweils im Herbst eine Nachwuchskaderselektion durchgeführt.
Diese basiert auf lokaler Stufe (Einsteiger) auf einem reinen Sichtungsreiten.
Für die Stufen «Regionalkader» und «Nationalkader» wird anhand der sogenannten «PISTE» (prognostische, integrative, systematische Trainereinschätzung) selektioniert. Bewertet werden bei dieser Selektion unter anderem folgende Punkte:
– Wettkampfleistung
– Sichtung zu Pferd/Pony
– Sporttest
– Umfeldanalyse
– Beurteilung der zur Verfügung stehenden Pferde

Die Bewertung des Nachwuchstalents basiert somit auf einer breit abgestützten Analyse und dient dazu, das Potenzial und Talent der Reiterin bzw. des Reiters einzuschätzen. Anhand dieser Analyse wird dann entschieden, in welches Förderprogramm die Athletin bzw. der Athlet aufgenommen wird.

Im Regionalkader müssen der Reiterin bzw. dem Reiter noch nicht mehrere hochwertige Ponys oder Pferde zur Verfügung stehen. Hier geht es in erster Linie darum, Dressurtalente breit abgestützt zu begleiten und zu fördern. Doch auch wenn der Aufwand im Vergleich zum Nationalkader mit seinen internationalen Turniereinsätzen noch etwas geringer ist, erfordert auch das Regionalkader ein grosses Engagement von den Athletinnen und Athleten und ihrem Umfeld.

Weitere Informationen zur Nachwuchskaderselektion:
www.fnch.ch > Disziplinen > Dressur > Nachwuchsförderung

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