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Springen
Dossier: Portraits

Andy Kistler übergibt das Zepter

14 September 2020 09:00

Eigentlich hätten die Olympischen Spiele von Tokyo 2020 ein letzter unvergesslicher Höhepunkt seiner Amtstätigkeit werden sollen. Doch dann stellte ein Virus die Welt auf den Kopf und warf jede Planung über den Haufen. Nichtsdestotrotz hat Andy Kistler in den sieben Jahren, in denen er dem Schweizer Elitekader der Springreiter als Equipenchef zur Verfügung stand, viele Hochs und Tiefs erlebt und dem Springreiterkader als stille und engagierte Kraft im Hintergrund seinen Stempel aufgedrückt.

Der Familienmensch Andy Kistler mit seinen beiden Töchtern, durch die er zum Pferdesport gekommen ist, an der EM 2015 in Aachen.  |  © SVPS/Nadine Niklaus Der Familienmensch Andy Kistler mit seinen beiden Töchtern, durch die er zum Pferdesport gekommen ist, an der EM 2015 in Aachen. | © SVPS/Nadine Niklaus

Als Andy Kistler 2014 das Amt des Equipenchefs antrat, konnte er bereits auf Erfahrungen als Stellvertreter seines Vorgängers Urs Grüning zurückgreifen. Zwar ist er selbst kein Reiter, aber seine Töchter Fränzi und Marianne gehörten einst beide dem Junioren- und Junge-Reiter-Kader des SVPS an. Und sportbegeistert ist der Schwyzer allemal - damals wie heute -, auch wenn er den Fahrradsattel dem Springsattel vorzieht und die Latten lieber im Tiefschnee an den Füssen hat als sie am Steilsprung zu überwinden.

 

Achterbahn der Championate

Der erste Höhepunkt von Andy Kistlers Karriere als Equipenchef waren die Weltreiterspiele in der Normandie, über die er in seinen inzwischen fest etablierten und beliebten Blogbeiträgen berichtete. Trotz der guten Vorbereitung lief das Championat nicht nach Plan: Das Team verpasste den Einzug in die Top Ten, eine direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro (BRA) im Jahr 2016 rückte in weite Ferne. Eine herbe Enttäuschung und ein bitterer Start ins Amt für den stets motivierten Equipenchef.

Ein Jahr später, an den Europameisterschaften in Aachen (GER), lagen die Nerven denn auch blank, der Erfolgsdruck war enorm. In seinem Blog brachte es Andy Kistler rückblickend auf den Punkt: «Es waren unglaublich emotionale Tage in Aachen, und ich kann alles immer noch kaum fassen.» Aus einer mehr als ungünstigen Ausgangslage nach der ersten Prüfung kämpfte sich das Team rund um Andy Kistler bis zum Bronzeplatz vor und sicherte sich damit einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele von Rio. Die Freude und die Erleichterung waren riesig!

Immer für ein Spässchen zu haben: Andy Kistler interviewt Steve Guerdat für das Deutschschweizer Fernsehen im Rahmen des Weltcupfinals in Göteborg 2016.  |  © SVPS/Nadine Niklaus Immer für ein Spässchen zu haben: Andy Kistler interviewt Steve Guerdat für das Deutschschweizer Fernsehen im Rahmen des Weltcupfinals in Göteborg 2016. | © SVPS/Nadine Niklaus

Andy Kistlers Bilanz im Blog der Expedition nach Rio fiel 2016 dann eher durchzogen aus - die Einzelmedaille wäre zum Greifen nah gewesen, aber es hat nicht sollen sein: «Wir waren nahe dran an der Medaille, sogar sehr nahe. Ein Schritt fehlte zu einer weiteren historischen Sportgeschichte.» Dennoch waren die Erlebnisse im olympischen Dorf und die Stimmung an diesem Weltfest des Sports für Andy Kistler einmalig - und dies in jeder Hinsicht. Denn leider blieb es ihm verwehrt, als Equipenchef ein zweites olympisches Abenteuer zu erleben.

2017 waren die Europameisterschaften in Göteborg (SWE) der Saisonhöhepunkt. Wie wichtig dem Equipenchef stets das ganze Team war - nicht nur die Reiterinnen und Reiter, sondern auch die diskreten Helfer im Hintergrund -, zeigt dieser Blogeintrag zur hart erkämpften Bronzemedaille, den er einige Tage nach jenem Championat verfasste: «Noch heute bin ich voller Emotionen und Freude. Unser Ziel war es, in Göteborg eine Medaille zu gewinnen - und das haben wir mit dem Gewinn von Team-Bronze erreicht. Ich bin sehr stolz auf unsere Equipe mit Nadja Peter Steiner, Romain Duguet, Martin Fuchs und Steve Guerdat. Nicht nur die Leistung der Reiter war fantastisch, auch die Unterstützung vor allem von unserem Technischen Coach Thomas Fuchs, unserem Teamveterinär Thomas Wagner und unserer Ersatzreiterin Janika Sprunger war äusserst wertvoll. Dann möchte ich unsere Grooms erwähnen, die wieder einen ganz tollen Job gemacht haben, die Besitzer unserer Pferde, die alle mit dabei waren und mitfieberten, sowie die Delegationsleitung und Vertreter der Geschäftsstelle und unseres Verbandes.»

Andy Kistler (Mitte) und das ganze Team freuen sich über die gute Runde von Steve Guerdat und Bianca an den Weltreiterspielen in Tryon (USA) 2018.  |  © Hippo Foto / Dirk Caremans Andy Kistler (Mitte) und das ganze Team freuen sich über die gute Runde von Steve Guerdat und Bianca an den Weltreiterspielen in Tryon (USA) 2018. | © Hippo Foto / Dirk Caremans

So richtig abenteuerlich wurde es dann aber 2018 an den Weltreiterspielen von Tryon (USA). Oder besser gesagt: Das Abenteuer begann für Andy Kistler schon vor der Abreise, denn die Hurrikanwarnungen, die ihn aus Übersee zu Hause in Reichenburg erreichten, stimmten ihn und seine Equipe alles andere als zuversichtlich. Konnte er es verantworten, seine Reiter und sich selbst in ein Flugzeug zu setzen? Das lange im Voraus gebuchte Flugzeug startete schliesslich ohne die Schweizer Springreiterdelegation, doch schon für den nächsten Tag war eine Wetterberuhigung vorausgesagt, sodass man die Reise über den grossen Teich in Angriff nahm. Anstelle des ursprünglich geplanten Flugs zu einem Flughafen in unmittelbarer Nähe zum Wettkampfort musste das Team um Andy Kistler jedoch noch eine mehrstündige Autoreise bis nach Tryon in Kauf nehmen. Doch diese «Ehrenrunde» schien das Team im Wettkampf zunächst zu motivieren, lag es doch nach den ersten beiden Prüfungen auf dem Spitzenplatz in der Nationenwertung. Doch dann kam der verflixte dritte Wettkampftag, bei dem Andy Kistlers Team vom Pech verfolgt schien. So gab es zum Schluss zwar die erhoffte Olympiaqualifikation, aber mit dem undankbaren vierten Platz schrammte das Schweizer Team knapp an den Championatsmedaillen vorbei. Seine Enttäuschung konnte Andy Kistler damals im Interview nicht verbergen: «Wir sind bodenlos enttäuscht über dieses Resultat nach der Topausgangslage von gestern. Wir müssen das jetzt zuerst verarbeiten. Steve und Martin werden am Sonntag im Einzel aber wieder alles geben und um eine Medaille kämpfen.» Und diese beiden Spitzenreiter erfüllten denn auch die Erwartungen des Equipenchefs: Martin Fuchs mit Clooney und Steve Guerdat mit Bianca gewannen WM-Silber bzw. WM-Bronze mit je zwei Nullrunden im Einzelfinal! Was diese Erfolge für ihn bedeuteten, fasste der überwältigte Andy Kistler im Interview so in Worte: «Heute haben wir mit diesen beiden Medaillen eigentlich Teamgold gewonnen! Was für ein fantastischer und historischer Erfolg für unseren Sport!»

2019 war es dann Martin Fuchs, der Andy Kistlers Equipenchefkarriere gewissermassen das Sahnehäubchen aufsetzte: An der EM in Rotterdam, bei der das Schweizer Team eher enttäuschend abschnitt, gewann Martin Fuchs mit seinem Clooney in überragender Leistung die hochverdiente Goldmedaille!

Leider war es Andy Kistler dieses Jahr pandemiebedingt vergönnt, als krönenden Abschluss seiner Amtszeit die zweiten Olympischen Spiele zu erleben. Dennoch hat er mit «seinen» Springreitern sportlich enorm viel erreicht - nicht nur an Championaten, sondern auch an Nationenpreisen und Weltcups.

Ein stolzer Equipenchef Andy Kistler am Nationenpreis von La Baule (FRA) 2019 mit Brian Balsiger (links) und Steve Guerdat  |  © Hippo Foto/Dirk Caremans Ein stolzer Equipenchef Andy Kistler am Nationenpreis von La Baule (FRA) 2019 mit Brian Balsiger (links) und Steve Guerdat | © Hippo Foto/Dirk Caremans

Kommunikator und Familienmensch

Der Teamgeist war Andy Kistler als Equipenchef immer äusserst wichtig, wobei er stets betonte, dass zum Team nicht nur die Reiterinnen und Reiter, sondern auch ihr Umfeld, Grooms und Pferdebesitzer gehören. Ausserdem legt er grossen Wert auf das Zwischenmenschliche und pflegte stets guten Kontakt mit anderen Equipenchefs sowie den Pferdebesitzern und den Turnierveranstaltern.

Als Vater von vier Kindern ist Andy Kistler ein ausgesprochener Familienmensch - so freut er sich denn auch, in Zukunft nicht zuletzt mehr Zeit mit seinen Enkelkindern verbringen zu können. Auch seine Frau Agnes, die ihn stets unterstützte und ihm wo immer möglich und nötig den Rücken freihielt, wird sich freuen, ihren Mann künftig öfters im neu errichteten Haus zu haben - auch wenn das Bronzepferdchen, das Andy Kistler von der Disziplin Springen als Abschiedsgeschenk erhalten hat, von nun an den Garten zieren wird.

Dennoch kann von einem künftigen Ruhestand kaum die Rede sein! Der gelernte Drogist und engagierte Manager internationaler Spitzenunternehmen sitzt unter anderem weiterhin im Verwaltungsrat der Managervermittlungsagentur Top Fifty Interim und der Bäckerei Romer’s. Aber auch dem Pferdesport bleibt er erhalten: als Turnierpräsident des CSI Basel.

Andy Kistler mochte es als Equipenchef, über den Tellerrand des Pferdesports hinauszuschauen. So förderte er denn auch verschiedene Aspekte dieser Disziplin, die davor - und manchmal auch heute noch - eher stiefmütterlich behandelt werden, wie das Mental- und Fitnesstraining.

Bekanntgabe des Nachfolgers von Andy Kistler, Michel Sorg (links), am CHI Genf 2019  |  Hippo Foto/Drik Caremans Bekanntgabe des Nachfolgers von Andy Kistler, Michel Sorg (links), am CHI Genf 2019 | © Hippo Foto/Drik Caremans

Kontinuität gesichert

Nach der Verabschiedung von Andy Kistler im Rahmen der Schweizermeisterschaft der Elitespringreiter in Humlikon (ZH) geht das Zepter an den bisherigen Sportchef der Disziplin Springen, Michel Sorg. Der Genfer steht für Kontinuität des von Andy Kistler eingeschlagenen Wegs, und auch der technische Coach Thomas Fuchs und der Mentaltrainer Jörg Wetzel werden weiterhin Teil des Teams sein. Während des Sommers wurde die Stabsübergabe aufgegleist, sodass ein nahtloser Übergang gesichert ist. Ausserdem wird Andy Kistler der Schweizer Springreiterelite auch in Zukunft punktuell als Co-Equipenchef zur Verfügung stehen.

Mit Andy Kistler tritt auch der aktuelle Equipentierarzt Thomas Wagner zurück. Er begleitete die Teams während vieler Jahre zu zahlreichen CSIO und zu allen internationalen Championaten. In seine Fussstapfen tritt Fabian Huwiler, der Disziplintierarzt im Leitungsteam, der schon 2019 an mehreren CSIO mit Andy Kistler unterwegs war.

Das Leitungsteam der Disziplin Springen und die Geschäftsstelle des SVPS bedanken sich herzlich bei Andy Kistler für sein enormes Engagement in all den Jahren und wünschen ihm viel Freude und gutes Gelingen bei seinen künftigen Projekten.

Cornelia Heimgartner

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