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Longines FEI Jumping Nations Cup™ 2022 St Gallen, Switzerland MARTIN FUCHS of Switzerland on LEONE JEI tackles the opening jump in the Longines FEI Jumping Nations Cup of Switzerland in St Gallen, Switzerland, June 6, 2022.
Springen

«Ja, wir hören sehr wohl zu»

01 November 2021 09:00

Ende August hat der brasilianische Springreiter Rodrigo Pessoa in der «PferdeWoche» im Nachgang zu den Olympischen Spielen schwere Vorwürfe an die Adresse des Reitsportdachverbandes FEI erhoben. Die Kritik betraf den neuen Modus und damit zusammenhängende Modalitäten. Mit seiner Kernaussage «Ich hoffe, dass die FEI dieses Mal zuhört» konfrontierte die «PferdeWoche» Stephan Ellenbruch, den Vorsitzenden des Springausschusses der FEI am Rande des CSIO in Barcelona. Im Gespräch mit Sascha Dubach nahm er exklusiv Stellung zu den Vorwürfen.*

Stephan Ellenbruch, Vorsitzender des S pringausschusses der FEI
<br />Stephan Ellenbruch, président du comité de Saut d’obstacles FEI Stephan Ellenbruch, Vorsitzender des Springausschusses der FEI. (Foto: Dirk Caremans)

Sascha Dubach: Herr Ellenbruch, hört die FEI nun dieses Mal zu?

Stephan Ellenbruch: Ich habe die Überschrift gelesen und ich verstehe auch, warum man vielleicht manchmal den Eindruck hat, wir hören nicht zu. Aber ich kann versichern, sowohl ich, Marco Fusté als Direktor Springen, wie auch Ingmar De Vos als Präsident, wir hören zu! Nur schon, weil wir in allen Gremien Reiter involviert haben. Es tut mir ein bisschen leid, dass Rodrigo einen gegenteiligen Eindruck hat. Wir wissen natürlich auch, wo der Schuh drückt. Aber wenn wir mit den Aktiven sprechen, repräsentieren diese nur einen gewissen Teil. Das Ganze ist nicht so homogen, wie man vielleicht meint. Vieles in diesem Sport dreht sich natürlich um Europa und die klassischen Reitsportnationen. Aber nicht nur, es gibt auch andere Regionen. Wir müssen darauf achten, dass wir ein System schaffen, das weltweit funktioniert. Dazu müssen ganz viele Kompromisse gemacht werden.

Rückblende, wie kam es überhaupt zum neuen Modus und wer hat diesen gefordert?

Das Internationale Olympische Komitee IOC hatte die «Agenda 2020», eine Art Reformplan. Diese kam 2014 auf den Tisch. Da wurden relativ abstrakte Dinge formuliert, aber nichts Konkretes, wie das Streichresultat müsse weg. Aber es gab schon ein paar Kernforderungen, wie beispielsweise, dass der Sport leicht verständlich sein muss. Zudem müsse das Interesse von zum Beispiel jungen Fernsehzuschauern geweckt werden und der Sport müsse global sein.

Ist denn die Angst der FEI, dass das Reiten aus dem olympischen Programm kippen könnte, wirklich real? Und gab es Druck von Seiten des IOC?

Wir haben in gewisser Weise schon einen entsprechenden Hinweis bekommen. Wir reden hier nicht über «Gefühle», das muss betont werden, sondern über nackte Zahlen. Und da hat man im Nachgang zu den Spielen in Rio 2016 gesehen, dass die Einschaltquoten am TV rückläufig waren.

Also geht es nur um Mediadaten?

Wir Insider kennen uns mit dem Reitsport gut aus. Bei Olympia muss der Sport aber global funktionieren. Zappt ein Zuschauer zum Reiten, muss er innert fünf Minuten verstehen, was da abgeht, wie alles funktioniert, sonst ist er weg. Zappt er weiter zum Bogenschiessen, ist das System innert einer Sekunde klar, der Pfeil muss einfach in die Mitte. Jetzt sind wir bei unserem Dilemma. Wie kriegen wir unseren Sport und unsere Werte, die Partnerschaft mit unseren Pferden, so einfach wie möglich transportiert?

Aber bis anhin war der Modus ja nie ein Problem, oder?

Was uns das IOC klar vorgab, ist, dass wir uns verändern müssen, wenn wir auf sicher im olympischen Programm bleiben wollen. Wir sind überzeugt, dass wir ein einzigartiges Produkt haben, aber wir befinden uns nicht in einer Blase, sondern wir müssen und wollen uns dem Wettbewerb stellen. Wir müssen zuhören und verstehen, was die Aussenwelt will und braucht.

Also ist die Bedrohung doch real?

Ich habe jetzt keine schlaflosen Nächte deswegen, aber ich sehe, dass wir uns in ständiger Konkurrenz mit anderen und neuen Sportarten befinden. Das war früher nicht unbedingt der Fall.

Wie sah die Forderung nach «mehr Flaggen» konkret aus?

Es gab in Lausanne ein Meeting mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach und dem FEI-Exekutiv-Vorstand. Vorgegeben wurde im Springen beispielsweise die Obergrenze von 75 Reitern und die Forderung nach mehr Flaggen. Unsere Antwort, ja klar, aber dann wollen wir mehr Reiter. Dies wurde vom IOC zurückgewiesen. Also kam die Version mit nur noch drei Reitern auf den Tisch.

Wie viele Länder mehr mussten es denn sein?

Es gab diesbezüglich keine konkrete Forderung, es hiess einfach «mehr» und vor allem global. Nicht einfach nur fünf europäische Nationen mehr.

Hat sich die FEI in diesem Fall einfach vor dem IOC gebeugt und ist das Risiko mit den sogenannten «Exoten» eingegangen, also auch die Olympischen Spiele über das «Welfare» gestellt?

Man muss mit dem Ausdruck «Exoten-Länder» immer ein bisschen vorsichtig sein. Wir mussten uns überlegen, wie wir mehr Nationen einbinden können und gleichzeitig unseren hohen Standard auch in puncto «Welfare» behalten.

«Die Wahrscheinlichkeit, 
dass wir das Streichresultat wieder einführen, ist sicherlich eher gering.»
<br />«La probabilité de réintroduire le quatrième cavalier de l’équipe est certainement plutôt faible.» «Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Streichresultat wieder einführen, ist sicherlich eher gering.» (Foto: Dirk Caremans)

Das ginge doch auch über mehr qualifizierte Einzelreiter?

Da kann man natürlich darüber nachdenken. Wir hatten diesbezüglich aber auch Druck von innerhalb der FEI. Von Nationen ausserhalb von Europa und Nordamerika, die klar sagten, wir wollen auch eine Chance haben. Druck gibt es also aus beiden Richtungen. Ich verstehe eine gewisse Frustration von europäischen Föderationen. Wir bekommen aber auch die Rückmeldungen von Ländern, die sich bedanken, dass sie die Chance bekamen, teilzunehmen. Damit konnte sich der Springsport in ihrem Land weiterentwickeln, erhielt mehr Zuspruch, mehr Sponsoren. Und nicht zu vergessen, die sogenannten «Exoten» haben ein durchaus positives Bild abgegeben. Nehmen wir das Beispiel Japan. Dass ein Einzelreiter in den Top Ten abschliessen würde, wer hätte das gedacht? Oder die Performance von China. Klar gewinnen diese Reiter noch keine Medaillen, aber eine positive Entwicklung ist da schon zu sehen, auch dank Olympia.

Trotzdem bleibt die Kritik am Modus?

Ich verstehe die Kritik am System. Ich verstehe auch die Kritik, ob wir uns mit diesem System noch auf das «Welfare» fokussieren. Aus Sicht der FEI kann ich in dieser Frage klar Ja sagen. Es funktioniert aber nur, wenn wir uns alle darauf konzentrieren. Da sind auch die Reiter in der Pflicht. Klar haben diese den Druck einer ganzen Nation, das möchte ich nicht bagatellisieren. Aber am Ende muss beim Reiter selbst das «Welfare» zuvorderst stehen. Und wenn man feststellt, «das ist jetzt nicht mein Tag», dann muss man - auch wenn es schwerfällt - fair genug sein und verzichten. Das Ganze nur auf den neuen Modus zu schieben, ist auch ein bisschen zu leicht.

Wie kann man dem Druck aus den eigenen Reihen vorbeugen?

Wir sind schon mitten in diesen Gedanken. Dabei geht es auch um Mindestvoraussetzungen, die eine Reiter-Pferd-Kombination zukünftig erfüllen muss, um überhaupt an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können.

Da waren doch diese «Spezialturniere», die es den «Exoten» ziemlich einfach machten?

Ja, es gab die zusätzlichen sogenannten «MER-Competitions», wo sich einige Nationen «einfacher» qualifizieren konnten. Das war aber unter anderem auch der Corona-Pandemie und den vielen Turnierabsagen geschuldet. Aber eines steht fest, solche Spezialprüfungen soll es in Zukunft nicht mehr geben. Die Leistung soll transparent und auf normalen Turnieren erbracht werden. Wenn Reiter dies mit ihren Pferden schaffen, sind sie herzlich willkommen. Wenn nicht, müssen sie leider zu Hause bleiben.

Ein weiterer Kritikpunkt war die Trennung von Einzel- und Teamentscheidung. Wie war hier der Standpunkt des IOC?

Die IOC-Agenda sieht nicht vor, Medaillenentscheidungen miteinander zu vermischen. Was an einer EM oder WM mit der Punktemitnahme bis zum Einzeltitel funktioniert, ist bei Olympia komplett undenkbar!

Das war doch bis anhin nie ein Problem?

Das ist neu und eine klare Forderung. Qualifikationen müssen von Finals getrennt werden. Ein Beispiel: Ein 100-Meter-Läufer sprintet in einem Vorlauf Rekord. Tolle Geschichte! Tags darauf stolpert er im Final, geht also ohne Medaille nach Hause. Das ist die neue Philosophie des IOC. Kein Ergebnis aus dem Vortag darf in eine Entscheidung fliessen. Und auch hier, um es nochmals zu betonen, muss es für den Laien verständlich bleiben.

Ein simpler Grand Prix als Einzelentscheidung produziert doch auch Medaillen für Aussenseiter?

Ja, das ist vom IOC durchaus so gewollt. Aber ich denke, Qualität wird sich durchsetzen. Das hat man in Tokio auch so gesehen.

Wird der neue Modus auch in den FEI-Championaten Einzug halten?

Darüber wird im Moment noch nicht einmal nachgedacht. Man muss diese zwei Dinge ganz klar auseinanderhalten. Alles ausserhalb von Olympia ist in unserer eigenen Hand. Aber auch hier müssen wir uns entwickeln, dem Markt anpassen.

Was kann man nun an den Reglementen noch verändern?

Das Thema ist sehr komplex. Viele Dinge müssen berücksichtigt werden. Ich erwarte nicht, dass die Reiter selbst ein eigenes Konzept vorlegen. Was uns aber interessiert, ist der Dialog.

Gibt es konkret eine Chance, dass sich für Paris 2024 etwas ändert?

Ja, diese Chance gibt es definitiv. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Streichresultat wieder einführen, ist sicherlich eher gering. Zumindest solange wir auf diesen 75 Reitern festsitzen. Auch wenn wir für Chancengleichheit plädieren, gibt es offensichtlich bereits einen Konsens, damit man die Teamwertung wieder vor das Einzel stellt. Und ich denke, das ist dem IOC ziemlich egal. Solche Dinge werden mit Sicherheit aktuell verhandelt. Beispielsweise auch, dass bei der ersten Einzelprüfung nicht nur exakt 30 weiterkommen, sondern sicher alle «Nuller». Ich werde zumindest in kein Meeting gehen, wo wir von vornherein Dinge ausschliessen. Wir müssen und wollen über alles reden.

Gab es schon einen direkten Austausch mit den Reitern?

Nichts Offizielles, aber das hat einen simplen Grund. Wir warten noch auf die sogenannten «Digital Figures» aus Tokio. Also auf die Einschaltquoten und wie der Sport angekommen respektive angenommen worden ist. Das ist ein wichtiger Indikator, ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Entscheidet am Schluss der TV-Zuschauer?

Aus der Sicht des IOC, ist das so. Da wird gemessen, ob die Sportart interessant ist.

Überlebt unser «Produkt»?

Davon bin ich überzeugt, auch weil wir mit unserem Partner Pferd sowie mit Mann und Frau in derselben Prüfung einzigartig sind. Wir sind also in einer guten Position, aber müssen Augen und Ohren offenhalten. Im Moment sieht es gut aus für Paris 2024 und auch für Los Angeles 2028. Darüber hinaus werden wir sehen müssen. Da wären gute Zahlen einfach hilfreich.

Ein weiteres Stichwort, was für grossen Wirbel sorgte, heisst «Moderner Fünfkampf». Ein heisses Eisen für die FEI?

Auch wenn es schon tausendmal gesagt wurde … wir sind für vieles verantwortlich, dafür aber nicht, da legen wir grossen Wert darauf. Wir haben nichts mit dieser Sportart zu tun, sie hat ihre eigene Organisation. Aber da der neutrale Zuschauer den Unterschied nicht kennt, sitzen wir natürlich auch gewissermassen im selben Boot. Auch wenn es uns de facto nichts angeht, sehen wir das Risiko, welches die Geschichte mit sich bringt. FEI-Präsident Ingmar De Vos hat dies sogar sozusagen zur Chefsache erklärt. Es ist geplant, dass die FEI die «Union Internationale de Pentathlon Moderne» (UIPM) beratend unterstützt, dass diese ihre Reglemente in Richtung Pferdewohl anpassen können.

Das Gespräch führte
Sascha Dubach

* Publiziert mit freundlicher Genehmigung der «PferdeWoche»

 

Der Chefredaktor der «PferdeWoche», Sascha Dubach, im Gespräch mit Stephan Ellenbruch.
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<br />Le rédacteur en chef de la revue allémanique «PferdeWoche», 
Sascha Dubach, en discussion avec Stephan Ellenbruch Der Chefredaktor der «PferdeWoche», Sascha Dubach, im Gespräch mit Stephan Ellenbruch. (Foto: Dirk Caremans)

Zur Person
Stephan Ellenbruch ist 58-jährig und wohnt im deutschen Essen. Im Sattel ist er nur noch selten anzutreffen, ritt aber in früheren Jahren national Dressur und Springen. «Ich habe von allem ein bisschen gemacht.» Hängen geblieben ist er aber bei der Ausbildung. Er hat in Deutschland alle Lehrgänge bis hin zu Reitlehrer absolviert. Zudem begann er mit dem Parcoursbau und fing zeitgleich an zu richten. Er dürfte sogar noch heute einen GP in der Dressur beurteilen. Danach öffnete sich die Tür, die internationale Laufbahn einzuschlagen. Als Level-4-Richter brachte er es unter anderem an Einsätze wie Weltcupfinal, Europameisterschaften und auch Olympische Spiele, wo er 2012 in London und 2016 in Rio Jurypräsident war. Über diesen Weg ist er schlussendlich auch bei der FEI (Fédération Equestre Internationale) im Springausschuss gelandet, wo er seit vier Jahren den Vorsitz innehat. An der kommenden FEI-GV steht nun seine Wiederwahl an. Ellenbruch hat Betriebswirtschaft studiert und war mehrere Jahre Geschäftsführer eines Einzelhandelsunternehmens.

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