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Longines FEI Jumping Nations Cup™ 2022 St Gallen, Switzerland MARTIN FUCHS of Switzerland on LEONE JEI tackles the opening jump in the Longines FEI Jumping Nations Cup of Switzerland in St Gallen, Switzerland, June 6, 2022.
Springen

Unaufhaltsamer Genfer: Dieses erstaunliche Grosstalent reitet plötzlich in der Weltspitze

30 März 2023 11:17

Edouard Schmitz ist erst 23 und der nächste Überflieger im Pferdesport. Sein Weg ist für einen Schweizer aussergewöhnlich und begann auf dem Velo, für ETH und Uni hat er keine Zeit mehr.

Von Monica Schneider. Erschienen in der SonntagZeitung vom 26. März 2023. Publiziert mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der SonntagsZeitung.

Im Januar hat er erstmals seit drei Jahren wieder Ferien gemacht. Fünf Tage Ferien, dann hat Edouard Schmitz seine Tiere schon vermisst. Der 23-Jährige sagt: «Wird man Springreiter, wählt man einen speziellen Lifestyle. Ein Pferd ist nicht wie ein Tennisschläger, den man einfach weglegen kann, wenn man in die Ferien will.» Jedenfalls sei er sehr froh gewesen, als er zurück im Stall in Wängi TG war. «Da geht es uns allen gleich.» Uns? Steve Guerdat (40) – klar! Der Olympiasieger von 2012 in London und dreifache Weltcupsieger. Martin Fuchs (30) – natürlich! Europameister, Weltcupsieger, wie Guerdat immer wieder die Nummer 1 der Welt. Pius Schwizer (60) – gleiche (oder zumindest ähnliche) Kategorie.

Und Edouard Schmitz? Edi, wie sie ihn in der Pferdesportszene alle nennen, ist der Aufsteiger des Jahres 2022 auf höchstem Niveau. Shootingstar sagen sogar manche – er würde das nicht tun, dafür ist er zu bescheiden. Aber ihnen widersprechen kann er auch nicht. Als er im August an der traditionellen und mehrtägigen «Dublin Horse Show» zum Saisonabschluss beim Grand Prix triumphierte, war er eben erst 23 geworden. Es war sein bisher grösster Erfolg, er hatte dabei auch alle seine hoch dekorierten Schweizer Konkurrenten hinter sich gelassen.

Dublin war der Anfang einer Erfolgsserie, die Anfang Februar in der Qualifikation für den Weltcupfinal vor Ostern in Omaha (Nebraska) gipfelte. Weltcupfinal! Im ersten Anlauf. Der Titelverteidiger, Martin Fuchs, ist dort gesetzt, der beste und der zweitbeste Schweizer der Weltcupserie dürfen ebenfalls an den Start: Schmitz und Schwizer. Dieser ist fast dreimal so alt wie das Grosstalent.

Edouard Schmitz mit Quno am Weltcupspringen von Bordeaux 2023. | © FEI/Eric Knoll Edouard Schmitz mit Quno am Weltcupspringen von Bordeaux 2023. | © FEI/Eric Knoll

Keine Pferdesport-Familie im Rücken

Edouard Schmitz sagt: «Ich habe als kleines Kind jahrelang gebettelt, bis ich auf ein Ross sitzen durfte.» Tatsächlich ist es die Herkunftsgeschichte des Genfers, die ihn von den Schweizer Dominatoren der vergangenen Jahre unterscheidet.

Guerdat? Der Grossvater Pferdehändler, Vater Philippe selbst erfolgreicher Springreiter und später Trainer in etlichen Ländern. Fuchs? Eine ganze Verwandtschaft, die in der Schweiz für den Pferdesport und -handel steht: Grossvater Mathias, der alles begründet, die Eltern Renata und Thomas äusserst erfolgreich im Trabrennsport, der Vater auch dreimal Spring-Europameister mit dem Team und heute Nationaltrainer, Onkel Markus Weltcupsieger und Olympiazweiter.

Schmitz nippt an einem Tee im Zürcher Hauptbahnhof und sagt verschmitzt lächelnd: «Doch, ja, als Jugendliche ist meine Mutter auch geritten.» Das ist es aber schon, was er an gemachtem Nest in dieser komplexen und finanziell aufwendigen Sportart mitbringt, als er als Siebenjähriger im Sommer eine Woche in ein Reit-Camp darf. Der grosse Rest ist Talent, Ehrgeiz und Geduld, wie sich später herausstellen soll.

Wenn er erzählt, tut er es in Deutsch oder Französisch, er ist auf dem Land und bilingue aufgewachsen, weil sein Vater lange in Zürich lebte. Seine Faszination hat immer den Tieren gegolten, erst waren es die vielen Schafe unweit seiner Grossmutter, später Ponys, die ihn anzogen. «Ich habe eine Unmenge Tierbücher gelesen, ich konnte mir dieses Wissen ja nicht im Stall aneignen wie andere.»

Und trotzdem ist er jetzt da, wo die «anderen» schon länger sind: in der erweiterten Weltspitze. 2021 der Sprung in die Top 100, 2022 in die Top 30. Er weiss, dass er in den letzten Jahren unheimlich Glück gehabt hat – mit den Pferden, die er heute reiten darf. Nur mit ihnen hat er den Aufstieg geschafft, er sagt: «Du kannst ein noch so guter Reiter sein, aber ohne Pferd bin auch ich ein Fussgänger.»

Martin Fuchs, Edouard Schmitz, Pius Schwizer und Steve Guerdat schaffen einen historischen Erfolg und gewinnen zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 in Luzern für die Schweiz den Heim-Nationenpreis. Martin Fuchs, Edouard Schmitz, Pius Schwizer und Steve Guerdat schaffen einen historischen Erfolg und gewinnen zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 in Luzern für die Schweiz den Heim-Nationenpreis. (Bild: Valeria Streun)

In den Sommerferien von Stall zu Stall, Pferd zu Pferd

Einst, in den Sommerferien, lieferte er sich mit einem Kollegen einen besonderen Wettkampf: Mit dem Velo rasten sie von Stall zu Stall, um an einem Tag möglichst viele Pferde zu reiten. Meist gewann er, vom Ehrgeiz getrieben. Doch er gewann nicht nur den Wettkampf, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit den unterschiedlichsten Pferden. Willige, weniger willige, eigensinnige, ruhige, temperamentvolle, schreckhafte, alles. Und als er auf seinem ersten eigenen Pony, das seine Schwester und er von den Eltern geschenkt bekamen, schon früh um EM-Medaillen mitreiten konnte, war er glücklich. Und es war klar: Das sollte künftig sein Sport sein.

Schmitz ist nicht in Genf geblieben. Mit 18 ist er Richtung Zürich aufgebrochen und hat an der ETH das Studium in Maschinenbau begonnen. «Es war damals ein grosser Entscheid für mich», sagt er. In seiner Sportkarriere war er auf bestem Weg, hatte in jeder Nachwuchskategorie zu den festen Grössen gezählt und schon mit 14 kompetitive Pferde zur Verfügung.

«Das Studium war für mich ein guter Ausgleich. Methodisches Denken hilft mir, komplexe Probleme in einfache Probleme aufzuschlüsseln.» Das ist noch heute so, wenngleich er in die Informatik an der Uni wechselte – und im vergangenen Jahr ganz pausierte. «Ich wollte meiner Karriere eine Chance geben», sagt er achselzuckend. Und doch fehlt ihm jetzt die Kopfarbeit. Deshalb absolviert er jetzt an der University of London und an der School of Economics einen Doppellehrgang, «in Baby Steps», in ganz kleinen Schritten will er vorwärtskommen.

Einhergegangen mit seinem Wechsel nach Zürich ist die Suche nach einem Stall. Er hat Nationaltrainer Thomas Fuchs angefragt, wo er unterkommen könnte – «bei uns», war dessen Antwort. «Ich habe sechs Monate in Wängi gearbeitet, Martins Pferde beritten und sehr viel gelernt dabei», sagt er. Fuchs reite technisch perfekt, mache keine Fehler, «es ist sehr interessant, von ihm zu lernen». Im nächsten Schritt hat er zwei eigene Tiere mitgebracht und angefangen, das bewährte «Umfeld Fuchs» zu nutzen und für sich zu ergänzen. Er sagt dem, das eigene «Sub-Eco-System» zu schaffen, mit eigenen Bereitern, Pferdepflegerinnen, Veterinär und Administration.

Edouard Schmitz beschreibt sich als ruhigen, geduldigen Menschen, der die Pferde mit ihren eigenen Emotionen und Ideen verstehen will. «Ich kann nicht alles kontrollieren, ich muss ihren Willen tolerieren und bescheiden sein», sagt er, und: Er sei nicht so schnell frustriert. Bisweilen beneidet er die älteren Reiter – weil sie mehr Erfahrung haben. Eines aber weiss er längst: Erzwingen lässt sich auf dem rund 600 Kilogramm schweren Tier nichts. «Was soll ich mit meinen 70 Kilo? Das wäre arrogant bei einer so grossen Muskelmasse des Pferdes …»

Schmitz Edouard auf Quno in La Baule (Bild: Hippofoto - Dirk Caremans) Schmitz Edouard auf Quno in La Baule (Bild: Hippofoto - Dirk Caremans)

Fast zu ausgeprägter Siegeswille

Thomas Fuchs ist nicht nur Nationaltrainer, er ist in Wängi auch der persönliche Coach von Schmitz geworden. Er sagt: «Für sein Alter ist er sehr abgeklärt, er ist nervenstark, anfänglich war sein Siegeswille fast übertrieben.» Er habe ihm klarmachen müssen, dass er auch einmal Zweiter oder Dritter werden darf, vor allem an zweitklassigen Turnieren. «Das hat er jetzt im Griff.» Fuchs ist in den vergangenen Monaten auch klar geworden, dass es künftig nur noch um Details geht. «Mit diesem Reiter muss ich kaum mehr arbeiten, ich muss ihn kaum noch korrigieren, die Hauptsache ist, dass er die Ruhe behält.»

Den rasanten und gleichzeitig geschmeidigen Aufstieg verdankt Edouard Schmitz neben seiner Familie in erster Linie drei Namen: Arturo Fasana, Gamin van’t Naastveldhof und Quno.

Der Tessiner Geschäftsmann Fasana, auch in Genf tätig, stellt dem Next-Gen-Reiter seit ein paar Jahren seine Pferde zur Verfügung. Und kauft er neue, tut er das in Absprache mit Schmitz. So ist auch das Top-Pferd Gamin nach Wängi gekommen. Einst im Beritt von Paul Estermann, liess es Fasana neben anderen aus dessen Stall holen, als dieser wegen Tierquälerei angezeigt wurde. Und Quno, «das ist das erste Spitzenpferd, das meiner Familie gehört», sagt der Reiter. Es ist unschwer herauszuhören, dass es wohl nicht das letzte sein wird.

Edouard Schmitz steht vor seinem nächsten Karriereschritt, sagt aber: «Mein Ziel habe ich schon erreicht – eigentlich.» Klar. Weltcupfinal. Mit 23. In Omaha darf er alles, er muss nichts. Danach rückt aber die Europameisterschaft im August in den Fokus. Wird er dabei sein, muss auch er liefern. Denn dort geht es um die letzten Plätze für die Olympischen Spielen 2024 in Paris. Deshalb diskutiert er jetzt mit seinem Trainer, welches Pferd wo eingesetzt werden soll, wer wo mehr Vorteile und Chancen hat, Gamin oder Quno? Abflug nach Nebraska ist für das Pferd nächsten Freitag.

Edouard Schmitz Sieg im Grossen Preis des CSIO3* von Bratislava im Sattel von Gamin van’t Naastveldhof (Bild: Privat)

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