Swiss Equestrian
Menü
Pferd+

Amazonen - Pferdesportlerinnen «im Kampf mit dem starken Geschlecht»

17 Mai 2023 17:15

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Reitsport eine reine Männerangelegenheit. Die Pionierinnen des Schweizer Turniersports sollten dies nachhaltig ändern.

Annelies Stoffel im Herrensattel, Renée Schwarzenbach im Damensattel. Aufnahme nach ihrem Sieg im Nationenpreis der Amazonen von 1930 in Stresa (ITA). | © Archiv Max E. Ammann / FEI Annelies Stoffel im Herrensattel, Renée Schwarzenbach im Damensattel. Aufnahme nach ihrem Sieg im Nationenpreis der Amazonen von 1930 in Stresa (ITA). | © Archiv Max E. Ammann / FEI

2019 waren im Schnitt über 80% der Teilnehmerschaft an Schweizer Turnieren weiblich. Vor rund hundert Jahren war der Turniersport jedoch eine Angelegenheit des Militärs - und damit einer Institution, die Frauen kategorisch ausschloss. Ganz gemäss «der Eigenart eines Milizheeres» sollten Turniere den Kavalleristen und ihren «Eidgenossen» als «außerdienstliche Tätigkeit und Ausbildung» dienen. Ab 1903 konnten zwar auch «Zivilisten» durch die vom Verband der Schweizerischen Renngesellschaften (SRG) vergebenen «Herrenreiterlizenzen» an Springprüfungen über 1,30 Meter teilnehmen. Wie der Name aber schon sagt - Herrenreiterlizenz -, konnten die Damen keine dieser Startberechtigungen beantragen und waren damit vom Turniersport der grossbürgerlichen Herrenreiter und des Militärs ausgeschlossen.

 

Startschuss für den Schweizer Amazonenreitsport

Schweizer Reiterinnen konnten einzig gegen andere Frauen in sogenannten «Amazonenkonkurrenzen» antreten. Eine solche Prüfung wurde in der Schweiz das erste Mal am Luzerner Concours Hippique von 1913 ausgetragen und, wie die Tageszeitung «Der Bund» berichtete, vom Publikum mit «grossem Interesse» aufgenommen. Mit diesem ersten «Damenreiten» hatte der Schweizer Pferdesport aber keineswegs Pioniergeist bewiesen. «Amazonenkonkurrenzen» waren in Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten bereits seit Jahren fester Bestandteil des Turnierprogramms. So waren auch die Konkurrentinnen des Luzerner «Damenreitens» grösstenteils aus dem Ausland angereist. Als einzige Schweizer Reiterin nahm die Baslerin Elisabeth Walter teil.

 

Die «Blütezeit» des Amazonenreitsports

Dieser verzögerte, aber dennoch vielversprechende Beginn des Frauenreitsports fand jedoch bereits ein Jahr nach dem Luzerner Debüt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende. Erst 1920 wurden Turniere dann wieder in derselben Intensität wie in den Vorkriegsjahren abgehalten. In die «Goldenen Zwanziger» fiel dann auch die «Blütezeit» des Amazonenreitsports in der Schweiz. Immer mehr «Amazonenkonkurrenzen» wurden ausgeschrieben, die Zahl der Schweizer Teilnehmerinnen stieg stetig an, und auch die Konventionen des Sports änderten sich. Während es in den 1910er-Jahren noch indiskutabel gewesen war, dass eine Frau sich in der Öffentlichkeit einzig im Damensattel zeigte, wurde in dieser Dekade «mit der Jazzband auch der Herrensattel für Amazonen als schick und praktisch eingeführt». Als Reaktion hierauf wurden die «Amazonenkonkurrenzen» in zwei Gruppen abgehalten: eine für Reiterinnen im Damen-, die andere für Amazonen im Herrensattel.

 

Die Amazonen bleiben unter sich

Obwohl Schweizer Amazonen erst relativ spät in den internationalen Frauenreitsport einstiegen, waren es dennoch drei Schweizer Reiterinnen, die das Turniergeschehen der 1920er- und 1930er-Jahre bestimmten: Renée Schwarzenbach, Annelies Stoffel und Marussia Häcky. Schwarzenbach und Stoffel vertraten die Schweiz sogar an den insgesamt viermal ausgetragenen Nationenpreisen für Amazonen und gewannen gleich deren zwei. Trotz diesen sportlichen Erfolgen sollten Frauen aber dennoch weiterhin in den «Amazonenkonkurrenzen» unter ihresgleichen bleiben.

Die Anfänge des Amazonenreitsports in der Schweiz waren somit durch eine geschlechtergetrennte Sportpraxis geprägt, die noch bis weit über die Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den Europameisterschaften der Springreiterinnen Bestand haben sollte. Gleichzeitig entwickelte sich aber wiederum in den 1920er-Jahren die gegenläufige Tendenz der geschlechtergemischten Prüfungen, wie sie bis heute vorherrscht.

Als Ausnahme skeptisch gemustert: Renée Schwarzenbach bei einer Parcoursbesichtigung in Thun, 1930 | © Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Urheberrecht: Alexis Schwarzenbach Als Ausnahme skeptisch gemustert: Renée Schwarzenbach bei einer Parcoursbesichtigung in Thun, 1930 | © Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Urheberrecht: Alexis Schwarzenbach

Damen mit «Herrenreiterlizenzen»

Ab dem Jahr 1926 konnten auch Frauen eine «Herrenreiterlizenz» beantragen und damit an den Prüfungen der Offiziere und «Herrenreiter» teilnehmen. Das hatte der Vorstand des SRG in seiner Mai-Sitzung so entschieden. Anlass zur Diskussion um die Lizenzvergabe hatte aber der Umstand gegeben, dass der damaligen «Zeit entsprechend» «Gesuche von Damen für die Erteilung von Herrenreiterlizenzen» vorlagen. In vollem Bewusstsein, dass sie sich als Frauen nicht für eine «Herrenreiterlizenz» qualifizierten, gab es also Reiterinnen, die trotz diesen Bestimmungen ein Gesuch eingereicht hatten. Die Initiative für geschlechtergemischte Wettkämpfe ging somit von den Amazonen selbst aus. Dieser in seinen Grundzügen doch rebellische Akt wurde von den Vorsitzenden des SRG als zeitgemäss, «der heutigen Zeit entsprechend», aufgefasst. Die Emanzipationsbestrebungen der Frauenrechtsbewegung hatten folglich auch im Pferdesport ihren Niederschlag gefunden - und stiessen dort nicht zwingend auf Widerstand.

Mit ihren Ritten in geschlechtergemischten Prüfungen bewahrheiteten die mit «Herrenreiterlizenzen» ausgestatteten Damen keineswegs den Mythos vom «schwachen Geschlecht». Vielmehr widerlegten sie die Vorstellung von weiblicher Schwäche und Unterlegenheit konkret, sicht- und messbar. Ihre sportlichen Erfolge in geschlechtergemischten Prüfungen gaben denn auch Anlass zu internationaler «Sensation». Als solche hatte «Der Bund» den Sieg einer dänischen Amazone im Grossen Preis der Stadt Luzern von 1939 betitelt. Lilian Wittmack hatte dort nicht etwa nur zivile «Herrenreiter», sondern gleich die vollständig versammelte Offizierselite - um hier einen Helvetismus zu riskieren - «gebodigt».

 

Sittsame «Reitdamen» oder emanzipierte Amazonen?

Was Reiterinnen sowohl im geschlechtergetrennten «Amazonenreitsport» als auch in direkter Konkurrenz mit Männern leisteten, hatte direkte Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Frauen und ihrer Fähigkeiten. Die unverkennbare sportliche Ebenbürtigkeit der Geschlechter liess die Sportpresse etwa zur Schlussfolgerung kommen, «dass die Damen in gewissen Sportarten den Herren ebenbürtig zu stellen sind» oder «dass die moderne Turnierreiterin in keiner Weise hinter ihrem männlichen Konkurrenten» zurückstand. Ab Mitte der 1920er- Jahre waren Turniere also nicht mehr nur reitsportliche Veranstaltungen, an denen «der Kult der männlichen Nation in Waffen» vor grossem Publikum inszeniert wurde. Mit dem Eintritt der Amazonen waren es nun auch Anlässe, an denen die «neue Eva» oder die moderne «Sportslady» popularisiert wurde.

Dennoch: Die Entwicklung des Frauenreitsports als sportliche Vorzeichen von Frauenstimmrecht, Lohngleichheit oder Genderdebatten der heutigen Tage zu begreifen, wäre zu simpel gedacht. Der Reitsport allgemein und der Schweizer Reitsport im Besonderen waren nämlich keineswegs Standartenträger der Frauenemanzipation. Denn obwohl die Amazonen in den 1920er- und 1930er-Jahren bewiesen hatten, dass sie es mit den Männern aufnehmen konnten, wurden sie erst 1952 in der Disziplin Dressur zu den Olympischen Spielen zugelassen - und damit ganze 52 Jahre nachdem Frauen erstmals in den Sportarten Golf und Tennis teilgenommen hatten. Auch erst seit 1952 konnten Amazonen an den «regulären» Nationenpreisen mitreiten. Es sollte allerdings noch ganze 13 Jahre dauern, bis 1965 Monica Bachmann dann als erste Schweizer Reiterin einen Nationenpreis-Einsatz erleben sollte.

Noemi Steuerwald

Zur Autorin

Noemi Steuerwald ist Doktorandin am Historischen Institut der Universität Bern.

In ihrer Dissertation erforscht sie die Geschichte von Frauen im Pferdesport in Deutschland und der Schweiz. Das Projekt soll die Entwicklungen des Pferdesports aus geschlechterhistorischer Sicht aufarbeiten und zeigen, wie internationale Netzwerke, beispielsweise die FEI, Einfluss auf diese nahmen.

Eine wichtige Quelle für das Dissertationsprojekt sind Briefe, Fotoalben oder Tagebücher von Pferdesportlerinnen, wovon leider nur wenige in den staatlichen Archiven verzeichnet sind.

Falls sich solche Dokumente (Zeitraum 1850-1950) in Ihrem Besitz befinden und Sie daran interessiert sind, sie dem Projekt zur Verfügung zu stellen, können Sie gerne mit der Autorin Kontakt aufnehmen: noemi.steuerwald@unibe.ch

Informationen über Ihre Daten
Auf dieser Webseite werden zur Verbesserung der Funktionalität und des Leistungsverhaltens sowie zu Statistikzwecken Cookies eingesetzt. Durch Klicken auf den Akzeptieren-Button stimmen Sie der Verwendung von Cookies auf dieser Webseite zu.