Swiss Equestrian
Menü
Pferd+

Christoph Hess: «Das Pferd muss sich wohl fühlen!»

24 August 2016 09:25

Wer schon einmal einen Lehrgang oder einen Vortrag von Christoph Hess besucht hat, der hört sofort seine Stimme, wenn er Sätze liest wie: «Das Pferd muss sich gerne bewegen und sich wohl fühlen!» Dann würde es sich auch physiologisch und biomechanisch im Einklang befinden. «Und das sieht dann auch gut aus und fühlt sich für den Reiter gut an.» Das «Bulletin» hat mit dem erfahrenen Ausbildner und internationalen Richter über Rollkur, Schlaufzügel und Grundausbildung gesprochen.

«Bulletin»: Das Thema Rollkur wird heute in der Schweiz und auch international bereits in diversen Disziplinen diskutiert. Wo sehen Sie die Schwierigkeiten für den Pferdesport im Allgemeinen?

Christoph Hess: Ich bin ganz klar der Meinung, dass solche Methoden wie die Rollkur abzulehnen sind. Aber es gilt auch, hier zu differenzieren; denn nicht jedes Pferd, das vielleicht zu tief eingestellt ist, wird auch gleich einer Rollkur unterzogen. Nicht jedes Pferd, das auf einem Foto, also einer Momentaufnahme, hinter der Senkrechten ist, wird in Rollkur geritten.

Ganz generell müssen die Pferde in Dehnungshaltung gehen, das ist das Allesentscheidende. Sie müssen als Erstes an die Hand ziehen und dehnen, und dann kann man das Pferd für schwierigere Lektionen auch mal enger nehmen, aber erst dann. Meiner Meinung nach ist die 10-Minuten-Regel der Fédération Equestre Internatio­nale FEI nicht realisierbar. Diese besagt, dass die Rollkur während maximal 10 Minuten angewendet werden darf. Man kann aber eine Ausbildung nicht in Minuten messen und in der Zeit wird ja auch nicht berücksichtigt, wie ein Reiter sein Pferd reitet. Ist er grob mit der Hand? Presst er sein Pferd in eine Form hinein oder läuft das Pferd erst in seine Hand hinein?

Dazu noch ein Beispiel aus der Praxis: Ich habe den Springreiter Christian Ahlmann auf dem Abreitplatz beobachtet und dort ritt er sein Pferd eng und fast ein wenig bäuerlich. Im Springparcours war das Paar aber dann Weltklasse. Ich denke, wenn er alles verkehrt machen würde, könnte er mit seinen Pferden nicht solche Leistungen bringen. In seinem Fall sind die Pferde jeweils von Beginn weg an den treibenden Hilfen in Dehnungshaltung und werden dann am Zügel etwas enger genommen, damit sie sich gut über den Rücken bewegen können.

Was ist die offizielle Haltung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN zu diesem Thema?

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN ist grundsätzlich meiner Meinung, die ich ja in der vorigen Frage etwas tiefgründiger erklärt habe. Die FN anerkennt die 10-Minuten-Regel der FEI, hat jedoch selber ein Papier verfasst. Dies erstmals für die Disziplin Dressur, jedoch soll das Dokument noch erweitert werden auf andere Disziplinen, wie zum Beispiel das Springen. Es soll eine Art Richtschnur sein, wie man mit Pferden umgehen soll – nicht nur auf Turnier, sondern auch zu Hause. Nun wollen wir mit diesem ersten Papier Erfahrungen sammeln und dann evaluieren, was wir weiter tun können.

Was halten Sie von der Position der FEI?

Das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung: Ich war vom ersten Augenblick an gegen diese 10-Minuten-Regel. Ausbildung lässt sich nicht mit der Stoppuhr messen und beurteilen, das geht so einfach nicht. Jedes Pferd ist ein Individuum und muss auch individuell angeschaut und beurteilt werden. Ich kann mit dieser Regel überhaupt nichts anfangen. Vielmehr sollte man die Stewards entsprechend schulen, dass sie ein glückliches Pferd, also einen «happy athlete» erkennen können. Ein Steward muss erkennen können, ob ein Reiter sein Pferd physisch und/oder psychisch aggressiv reitet und unter Druck setzt, und nicht nur kontrollieren, ob nun die Nasenlinie hinter der Senkrechten ist. Man muss das ganze Pferd anschauen und beurteilen, nicht nur statische Faktoren.

Funktioniert das so mit den Stewards
in Deutschland?

Ich richte nicht so viele nationale Turniere, aber ich glaube, das funktioniert gut. Mindestens geht es in die richtige Richtung. Das Papier der deutschen FN kommt gut an und ist eine echte Hilfestellung für die Stewards. Klar, es gibt immer auch solche, die einfach wegschauen, wenn Grenzsituationen vor sich gehen, statt mal zum Reiter hinzugehen und einfach mal zu fragen: «Was machst Du da? Erklär mir das bitte.» Wenn ich mit dieser Haltung auf die Reiter zugehe, habe ich es oft erlebt, dass die Reiter dann selber reflektieren und auch merken, dass sie in einen grauen Bereich reingekommen sind, sich meistens entschuldigen und dann auch korrekt weiterreiten. Im Pferdesport ist es ganz wichtig, dass Leute lernen, ein Gefühl für ein Pferd zu haben, um dieses möglichst wahrheitsgetreu beurteilen zu können. Polizisten und Technokraten sind fehl am Platz – Gefühl ist gefragt!

Wie stehen Sie dem Schlaufzügelverbot an offiziellen Anlässen des Schweizerischen Verbands für Pferdesport gegenüber? Finden Sie diese Regelung angebracht?

Ja, ich denke schon, dass so ein Hilfszügelverbot mal grundsätzlich angebracht und auch in Ordnung ist. Allerdings ist es wünschenswert, dass die Reiter ihre Pferde von Grund auf korrekt ausbilden – dann wird ein Schlaufzügel in aller Regel sowieso überflüssig. Ein Reiter kommt nicht um eine seriöse Basisausbildung in der Dressur herum – mit keinem Pferd. Die Basis ist essentiell und die kann und soll auch nicht übersprungen werden. Das Pferd gibt das Tempo und auch eine gewisse Reihenfolge der Ausbildung
vor – am Ende aber müssen alle am gleichen Ort durch und sie kochen alle auch «nur» mit Wasser…

Nicole Basieux

Forum H

Im 1. Teil stellen sich Reiter mit verschiedenen Reitproblemen vor. Christoph Hess wird die Paare trainieren und Lösungs­ansätze aufzeigen, die richtlinienkonform und entsprechend nachhaltig zum Wohle des Pferdes sind. Dann wird Philipp Hess das Pferd als Fremdreiter vorstellen.

Der 2. Teil ist ein Reitwettbewerb: Pas de deux (Lehrer mit seinem Schüler) kommentiert durch Christoph Hess. A-Note durch Richter und die B-Note gibt das Publikum mittels Applaus. Am Ende des Wettkampfs werden noch Verkaufspferde aus Schweizer Zucht vorgestellt.

In der Pause signiert Christoph Hess auf Wunsch sein neues Buch: «Besser Reiten». Bücher können für CHF 20.– vor Ort gekauft werden.

In jedem Eintrittsticket ist eine Spende für das Pferdemuseum in La Sarraz (VD) enthalten. www.museeducheval.ch

Das Angebot finden Sie auch unter
www.ticketino.ch > Forum H

Zur Person

Christoph Hess, geb. 1950, studierte Diplompädagogik, Schwerpunkt Erwachsenenbildung, in Hannover, Göttingen und Oldenburg. Seit 1978 arbeitete er bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), war dabei 18 Jahre lang Leiter des Bundesleistungszentrums des DOKR und Leiter des Bereichs Persönliche Mitglieder der FN. Nach fast 40-jähriger Tätigkeit für die Deutsche Reiterliche Vereinigung ist er zum 1. Mai 2016 in Pension gegangen. Jedoch ist er weiterhin FN-Ausbildungsbotschafter. Ausserdem ist Christoph Hess internationaler Dressur- und Vielseitigkeitsrichter und Berufsreitlehrer (FN).

FNVerlag

Informationen über Ihre Daten
Auf dieser Webseite werden zur Verbesserung der Funktionalität und des Leistungsverhaltens sowie zu Statistikzwecken Cookies eingesetzt. Durch Klicken auf den Akzeptieren-Button stimmen Sie der Verwendung von Cookies auf dieser Webseite zu.