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Dossier: Veterinärmedizin

«Das Ziel muss immer die Harmonie sein»

14 Dezember 2022 09:30

Werden unsere Pferde überfordert, oder langweilen sie sich vielmehr? Das Spannungsfeld dieser beiden Extreme wurde im Rahmen des «Symposium Pferde» an der Universität Zürich von Fachleuten verschiedener Sparten beleuchtet - mit interessanten Ergebnissen.

Insgesamt rund 200 Pferdeinteressierte fanden ihren Weg zum Syposium Pferde. | © Andrea Heimgartner Insgesamt rund 200 Pferdeinteressierte fanden ihren Weg zum Syposium Pferde. | © Andrea Heimgartner

Die Tierschutzgesetzgebung, die Sportreglemente und nicht zuletzt die ethischen Grundsätze des Schweizerischen Verbands für Pferdesport (SVPS) sind darauf ausgelegt, die physische und psychische Überforderung von Pferden zu vermeiden. Doch wie steht es um die Langeweile? Kennen Pferde überhaupt ein solches Gefühl, und wenn ja, ist es relevant vor dem Hintergrund der Pferdewohldebatte, die heute aktueller ist denn je? Das Thema ist vielschichtiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte, und nicht immer gibt es klare Antworten.

Martin Plewa kennt den Pferdesport in all seinen Facetten. | © Andrea Heimgartner Martin Plewa kennt den Pferdesport in all seinen Facetten. | © Andrea Heimgartner

Das Pferd als Superathlet

Der Deutsche Martin Plewa, der seit Jahrzehnten im Pferdesport engagiert ist - sei es als Reiter, Richter, Parcoursbauer oder Ausbilder -, blickte auf die Entwicklungen der letzten dreissig Jahre im Pferdesport und in der Pferdezucht zurück, um die Frage zu beantworten, ob die Pferde durch gezielte Zuchtselektion belastbarer geworden sind oder umgekehrt die Anforderungen im Leistungssport heute höher angesetzt sind als vor einem Vierteljahrhundert. Sein Fazit: Im Spring- und Vielseitigkeitssport sind die Parcours technischer geworden, sie sind filigraner gebaut und erfordern von den Pferden enorme Rittigkeit. In der Dressur hat man sich vermehrt von spektakulären, jedoch in jeder Hinsicht ungesunden Bewegungen der Pferde blenden lassen. Dies alles hat in den 1990er-Jahren dazu geführt, dass auch unethische bzw. tierschutzwidrige Ausbildungsmethoden und Ausrüstungsgegenstände einen Boom erlebten. Plewas Einschätzung nach zeichnen sich seit 2012 jedoch eine Trendwende und eine Rückkehr zu den klassischen Ausbildungsgrundsätzen ab. Dabei betonte er, dass insbesondere die Richterinnen und Richter hier in der Pflicht seien und lernen müssten, Unwohlsein zu erkennen: «Das Ziel muss immer die Harmonie sein. Wir dürfen spektakuläre Bewegungen, rasende Geschwindigkeit und überzogene Springmanier niemals höher werten als die korrekte Ausbildung nach klassischen Grundsätzen.» Nicht weniger als die Akzeptanz des Pferdesports in der Gesellschaft, die sogenannte «social licence to operate», stehe auf dem Spiel.

Dass Pferde Superathleten sind, zeigte der Tierarzt und Leiter der Abteilung Sportmedizin der Pferdeklinik der Universität Zürich, Michael Weishaupt, in seinem Referat eindrücklich auf. Pferde sind dem Menschen bezüglich Herz-Kreislauf-System, Atmungsapparat und Muskelfasern um ein Vielfaches überlegen. Ihr Körper ist darauf ausgelegt, Höchstleistungen zu erzielen. Dennoch stellte der international anerkannte Tiermediziner die Frage in den Raum: «Dürfen wir diese Leistung einfordern, nur weil sie dazu in der Lage sind?» Zur Verdeutlichung seiner Argumentation führte er wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich stressbedingter Magenproblematiken oder auch Rückenproblemen bereits junger Pferde an - wobei beides nicht auf Pferde im Leistungssport beschränkt sei. Im Zusammenhang mit dem Reiten in Überzäumung und seiner Extremform der Rollkur verwies er auf Studien, die aufgezeigt haben, dass diese Kopf-Hals-Haltung den Bewegungsumfang des Pferdes reduziert und die Belastung auf der Vorhand erhöht. Die damit einhergehende Inaktivität des Trageapparats im Schultergürtel, gepaart mit der problematischen zuchtbedingten Überbeweglichkeit, könne zu erheblichen Einschränkungen und Schäden im Bereich des Übergangs von der Hals- zur Brustwirbelsäule führen.

Tierarzt und Ausbilder Robert Stodulka | © Andrea Heimgartner Tierarzt und Ausbilder Robert Stodulka | © Andrea Heimgartner

Gute Lernsituationen schaffen

Der österreichische Tierarzt und Ausbilder Robert Stodulka erinnerte in seinem Referat daran, dass die Wissenschaft in den letzten Jahren wegweisende Erkenntnisse bezüglich des Lernverhaltens und der Sinneswahrnehmung der Pferde gewonnen hat. So dürfe beispielsweise das Hochnehmen des Kopfes vor dem Sprung niemals als Ungehorsam des Pferdes gewertet und verunmöglicht werden, da dieses Verhalten des Pferdes aufgrund seines Blickfeldes unerlässlich ist, um einen Sprung überhaupt taxieren zu können. Wird der Kopf des Pferdes in eine Zwangshaltung gebracht und dessen Nase in Richtung Brust gezogen, wird es gezwungen, sich in einem Blindbereich zu bewegen, was aus ethischer und tierschützerischer Sicht nicht toleriert werden dürfe.

Gerade bei der Ausbildung von Jungpferden müsse darauf geachtet werden, dass erfahrene Fachleute am Werk seien. In dieser Prägungsphase sei es enorm wichtig, gute - d. h. insbesondere stressfreie - Lernsituationen zu schaffen und über klare Zeichen der positiven Verstärkung (z. B. Belohnung über Futterlob) oder der negativen Verstärkung (Belohnung über Wegnahme eines Stimulus, beispielsweise Schenkeldruck) zu arbeiten. Ausserdem dürfe man nicht vergessen, dass sich Pferde nur rund zwanzig Minuten konzentrieren können und dann eine Pause brauchen. Trotzdem erfordere der Lernprozess Wiederholungen, damit sich neue Nervenverbindungen überhaupt festigen können. Dabei betonte der Wiener: «Wenn das Pferd im Laufe der Ausbildung schöner, runder, sicherer und zufrieden wird, dann ist das Ziel einer harmonischen Zusammenarbeit erreicht.»

Pferdephysiotherapeutin Brigitte Stebler | © Andrea Heimgartner Pferdephysiotherapeutin Brigitte Stebler | © Andrea Heimgartner

Das Bewegungstier Pferd

Die erfahrene Pferdephysiotherapeutin Brigitte Stebler ging in ihrem Vortrag darauf ein, dass im Umgang mit dem Pferd in jeder Hinsicht das alte Sprichwort «Die Dosis macht das Gift» gilt. Das Bewegungstier Pferd müsse körperlich ausgelastet werden, ohne dass man es überlaste. Genauso sei es wenig zielführend, möglichst viele Therapien gleichzeitig am Pferd anzuwenden, um es gesund zu halten oder zu kurieren, da der Körper Zeit brauche, therapeutische Inputs zu verarbeiten und zu regenerieren.

Die Präsidentin des Schweizerischen Verbands für Tierphysiotherapie machte zudem deutlich, dass es kaum je ein einziges Ereignis ist, das zu einer Verletzung oder Dysbalance im Pferdekörper führt, sondern vielmehr irgendwann ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt. So sei es wichtig, stets im Team zu arbeiten und Fachleute aus verschiedensten Bereichen zuzuziehen, um gemeinsam für das Pferd Lösungen zu finden. In ihrer Berufspraxis beobachtet die Physiotherapeutin aber auch: «Oft wird therapiert statt ausgebildet.» Dies betreffe nicht nur die Ausbildung des Pferdes, sondern auch jene der Reiterinnen und Reiter. Nicht selten beobachte sie, dass Pferdebesitzerinnen und -besitzer froh sind, wenn das Pferd aus medizinischer Sicht eine Pause verordnet bekommt, denn: «Oft schwingt beim Umgang mit dem Bewegungstier Pferd und insbesondere beim Reiten eine gewisse Angst mit. Dieser kann man nur mit einer soliden Ausbildung von Pferd und Reiterin bzw. Reiter begegnen.»

Sandra Schaefler vom Schweizer Tierschutz STS | © Andrea Heimgartner Sandra Schaefler vom Schweizer Tierschutz STS | © Andrea Heimgartner

Ist Langeweile tierschutzrelevant?

Sandra Schaefler vom Schweizer Tierschutz STS beleuchtete das Konzept der Langeweile mit Blick auf die Tierschutzgesetzgebung. Tatsächlich ist der Begriff an sich darin nicht festgehalten. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Tiere in ihrer Anpassungsfähigkeit nicht überfordert werden dürfen. Was bedeutet das also für das Bewegungstier Pferd?

Die Sachverständige der Fachstelle Pferd des STS erläuterte, dass heute in der Schweiz noch mehr als die Hälfte aller Pferde in Einzelboxen gehalten wird und durchschnittlich kaum mehr als zwei Stunden auf die Weide kommt - oft ohne direkten Kontakt zu Artgenossen. «In solchen Haltungssystemen wird die Anpassungsfähigkeit der Pferde stark herausgefordert. Aber auch eine Gruppenhaltung kann für Pferde langweilig sein.» Umso wichtiger sei, so die Zoologin, die respektvolle Nutzung der Pferde, um ihrem Bewegungsdrang, aber auch ihren sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden.

 

Gemeinsam für das Pferd

In seinem Vortrag fasste der Tierarzt Stéphane Montavon vom Schweizer Rat und Observatorium der Pferdebranche die wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellen Ethikbericht zusammen und legte damit den Grundstein für angeregte Podiumsdiskussionen, an denen nebst den genannten Referierenden auch Simone Weiss als Vertreterin der Westernszene, Roman Spieler für die Gangpferdebranche und Berni Zambail aus Sicht des Horsemanship die Voten bereicherten.

Das Fazit der Veranstaltung: Die gesamte Pferdebranche muss sich nach innen einen, um nach aussen positiv und geschlossen auftreten zu können. Das bedeutet aber auch, dass man einander selbstreflektierend und kritikbereit begegnen muss. Jeder kann bei sich selbst etwas verbessern, sei es bei der Haltung, der Ausbildung oder der Betreuung unserer Pferde. Diese Ehrlichkeit bildet die Grundvoraussetzung, um gegenüber der breiten Öffentlichkeit Vertrauen zu schaffen und Glaubwürdigkeit zu erlangen, und sie von den positiven Werten des Pferdesports zu überzeugen.

Cornelia Heimgartner

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