Swiss Equestrian
Menü
Pferd+
Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Das ältere Pferd: Ist auch beim Pferd 20 das neue 15?

29 August 2022 08:00

Weltweit bleiben Menschen länger sportlich aktiv: Nicht selten haben Menschen mit 60 Jahren die Konstitution eines 40-Jährigen. Trifft dies auch auf ältere Pferde zu? Was können die Haltung, das Training und die Fütterung tun, um das Pferd gesund und auch im fortgeschrittenen Alter physisch und mental jung zu erhalten? An welchen Merkmalen erkenne ich das Altern beim Pferd? Der folgende Artikel dient als Einstieg für den Brennpunkt Pferd 2022 am Samstag, 12. November 2022 im NPZ Bern unter dem Motto «Das ältere Pferd», an welchem mit Fachreferaten und Praxisposten diesen Fragen nachgegangen wird.

Altes Pferd mit einer Graufärbung des Fells und einer tiefen Einsenkung über den Augen | © Conny Herholz Altes Pferd mit einer Graufärbung des Fells und einer tiefen Einsenkung über den Augen | © Conny Herholz

Die Altersstruktur im Wandel

Die schweizerische Bevölkerung zeigt heute einen Altersaufbau, bei dem die Jugendgeneration schwächer besetzt ist und die Zahl älterer Menschen anwächst. Weltweit gesehen ist dieser Trend vor allem in Europa und Nordamerika, aber auch in Asien zu beobachten, Afrika hingegen hat die mit Abstand jüngste Bevölkerung.

Ein sehr ähnlicher Trend zeigt sich nach den Daten der Tierstatistik von Identitas für die Equiden in der Schweiz, wenn man die Jahre 2017 (111 639 Equiden, 30.4.2017) und 2022 (113 346 Equiden, 30.4.2022) anschaut: Während in der Alterskategorie 1-15 Jahre 2017 noch 70 497 Equiden registriert waren, waren es 2022 nur 62 861. Andersherum in der Alterskategorie 26-35 Jahre: 2017 waren es 7470, im Jahr 2022 bereits 11 298 Equiden. Noch eindrücklicher sind die Zahlen der Equiden im Alter von 36 bis 40 Jahren, denn 2017 waren es 208, während sich diese Zahl 2022 mehr als verdoppelt hat und 449 beträgt

Altersstruktur der Equiden in der Schweiz 2017 und 2022 | © Identitas Altersstruktur der Equiden in der Schweiz 2017 und 2022 | © Identitas

Die natürlichen Lebensvorgänge des Alterns

Wenn vom Alter gesprochen wird, so kann das chronologische, biologische oder psychologische Alter gemeint sein. Das chronologische Alter bezieht sich ausschliesslich auf die Zeit, was in Bezug auf körperliche Fitness und Gesundheit nur begrenzte Aussagekraft hat. Das biologische Alter bezieht sich auf die während des Alterns natürlichen Veränderungen im Körper. Es gibt Menschen, die bereits im Alter von 65 Jahren von diesen Veränderungen betroffen sind, während es bei anderen erst Jahre später zutrifft. Das psychologische Alter bezieht sich darauf, wie eine Person handelt und sich fühlt, sodass auch hier ältere Menschen zum Teil deutlich jünger erscheinen, als sie von den Jahren her sind.

Um den Alterungsprozess besser zu charakterisieren, haben Forschende begonnen, Kennzeichen des Alterns zu identifizieren und zu kategorisieren. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass neun verschiedene Kennzeichen auf zellulärer und molekularer Ebene zum Alterungsprozess beitragen und zusammen die beobachtbaren Merkmale der Alterung bestimmen. Vereinfacht gesagt: Wenn Zellen nicht mehr erneuert werden oder absterben, nimmt die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Organe über die Jahre allmählich ab, und es kommt zu typischen Alterserscheinungen. Forscher der Stanford-Universität haben anhand von Blutuntersuchungen herausgefunden, dass beim Menschen drei «Wellen des Alterns» im 34., im 60. und im 78. Lebensjahr auftreten

Der tägliche Weidegang ist für gesunde, alte Pferde ideal und hält sie fit. | © Conny Herholz Der tägliche Weidegang ist für gesunde, alte Pferde ideal und hält sie fit. | © Conny Herholz

Altern beim Pferd

Ob diese «Wellen des Alterns» beim Pferd ebenfalls auftreten, ist bis anhin nicht bekannt. Wissenschaftler sind sich aber darin einig, dass Pferde ab einem Alter von 20 Jahren physiologische Anzeichen des Alterns zeigen. So konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass alte Pferde eine geringere Sauerstoffkapazität und maximale Herzfrequenz haben, d.h. dass ältere Individuen schon bei geringerer Arbeitsintensität die maximal mögliche Leistung des Körpers erreicht haben. Diese Veränderung wird auch dadurch unterstützt, als dass sich die Muskelfasertypen verändern, die Muskeln schwächer werden und auch in den Muskelzellen weniger «Kraftwerke», die sogenannten Mitochondrien, zu finden sind. Weiterhin können ältere Pferde ihre Körpertemperatur weniger gut regulieren, da das Herz mehr arbeiten muss, um die Haut und das Gewebe zu durchbluten. Ausserdem haben sie eine veränderte Flüssigkeitsbalance im Körper durch ein geringeres Blutplasmavolumen. Das Alter wirkt sich auch auf das endokrine oder hormonelle System aus. Insgesamt scheint es für ältere Pferde etwas schwieriger zu sein, die Energiereserven zu nutzen und wiederherzustellen, wodurch sich die Erholungszeit nach der Bewegung bzw. von Trainingseinheiten verlängert.

 

Was gegen das Altern hilft

Doch wie beim Menschen sind es auch bei unseren Equiden verschiedene Faktoren, die das Altern beeinflussen: die Vererbung, der Lebensstil, das Ausgesetzsein gegenüber Umweltgiften und die (veterinär-)medizinische Versorgung. Dem Alterungsprozess lässt sich oft noch lange gegensteuern: Zum Beispiel können schwächer werdende Muskeln ein Leben lang trainiert werden. Es gibt im Körper sogenannte Typ-I-Muskelfasern (rote Muskulatur), die wichtig sind bei Arbeit von langanhaltender, niedriger Intensität. Die sogenannte weisse Muskulatur mit den Typ-IIb-Fasern braucht der Körper hingegen für schnelle und sehr schwere Arbeit. Typ-IIa-Fasern haben eine gemischte Qualität zwischen Typ-I- und Typ-IIb-Fasern. Junge Pferde haben einen höheren Anteil an Typ-IIb-Fasern, die sich im Alter mehr und mehr in Typ-I-Fasern umwandeln, d.h., die Kraft schwindet.

Bewegung ist somit ein zentraler Punkt, um Muskeln, das Herz-Kreislauf-System und andere Organe fit zu halten. In einer Studie von 2021 wurden 10 Pferde im Alter von 9 bis 10 Jahren und 10 Pferde im Alter von 18 bis 26 Jahre über 12 Wochen einem kontrollierten Trainingsprogramm unterzogen. Es wurde gezeigt, dass das Bewegungstraining in beiden Altersgruppen zu Verbesserungen der Muskelleistung geführt hat und es bei der Gruppe der alten Pferde auch zu einer veränderten Muskelfaserverteilung gekommen ist, mit einem wieder höheren Anteil an Fasern für die Kraft des Typs IIb. Insgesamt deuteten auch diese Ergebnisse darauf hin, dass Bewegung ein äusserst nützliches Instrument zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens von alten Pferden sein kann.

Am Brennpunkt Pferd 2022 gibt es dazu praktische Tipps bei der Demonstration «Training von älteren Pferden» von Patrick Ruegg, Inforama, und an den Posten «Bewegung ist Leben» von Murielle Lauper, NPZ, sowie «Pilates für ältere Pferde» von Selma Latif, Vetcheck

Pferd, 27 Jahre, Senkrücken und Muskelschwund | © Conny Herholz Pferd, 27 Jahre, Senkrücken und Muskelschwund | © Conny Herholz

Der Seniorenteller

Um den Körper am Leben zu erhalten, und für jede Art der Bewegung braucht er Nahrung. Auch hier gibt es wichtige Aspekte, die beim älteren Pferd beachtet werden müssen. Generell sind der aktuelle Gesundheits- und Ernährungszustand sowie die Aktivität des alten Pferdes für die Rationsgestaltung ausschlaggebend. Vielfach ist der Energiebedarf bei Senioren höher als bei jüngeren Pferden, beispielsweise bedingt durch schlechtere Wärmeisolation gerade im Winter oder auch bei sehr feuchten Witterungsbedingungen, sodass der ausreichenden Energieversorgung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

Im Allgemeinen sollten gesunde alte Pferde Heu oder Heulage zur freien Verfügung erhalten, wobei das Heu insbesondere bei einem Zahnproblem ohne Heunetz anzubieten ist. Besteht die Möglichkeit zum Weidegang, dann ist dieser für viele alte Pferde ideal.

Vielfach fressen alte Pferde allerdings nicht mehr ausreichend Heu oder Heulage. Dann können Heu-Ersatzprodukte, beispielsweise in Form von Heu-, Mais- oder Luzernecobs, gefüttert werden, die man als Brei anbieten kann. Aber auch eingeweichte Rübenschnitzel sind ein hervorragendes Heu-Ersatzprodukt, das sich sehr gut mit Heucobs kombinieren lässt.

Schwer verdauliche Kraftfutter wie ganzer Hafer, ganze Gerste oder ganzer Mais gehören nicht mehr auf den Speiseplan bei alten Pferden. Stärkereiche Getreide sollten möglichst als Flocken, beispielsweise als Maisflocken, gefüttert werden, damit die Stärke im Dünndarm besser aufgenommen werden kann. Alternativ können auch Ergänzungsfutter mit thermisch aufgeschlossenen Getreidekomponenten sehr gut eingesetzt werden.

Des Weiteren ist zu beachten, dass viele alte Pferde von einer Eiweissergänzung wie Luzerne, Erbsenflocken, Sojaextraktionsschrot oder auch Trockenbierhefe profitieren, um das Körpergewicht besser halten zu können und um einem Muskelabbau vorzubeugen. Zudem eignen sich Pflanzenöle wie Sonnenblumen- oder Leinöl sehr gut, um die Energiezufuhr optimieren zu können.

Bei den Mineralstoffen wie Calcium, Phosphor und Magnesium oder auch bei den Spurenelementen wie Selen, Kupfer, Zink oder Jod gelten beim alten Pferd dieselben Empfehlungen wie bei jüngeren Pferden - dies gilt auch für die Versorgung mit Vitaminen. Hier sollten eine Über- und auch eine Unterversorgung, insbesondere mit Calcium oder Vitamin D, dringend vermieden werden.

Die Unterstützung des Immunsystems beispielsweise durch die Fütterung von Omega-3-Fettsäuren, wie sie unter anderem in Lein- oder Algenöl enthalten sind, oder von Vitamin E kann im Herbst und Winter, wenn der Weidegang wegfällt, bei Seniorenpferden sinnvoll sein.

Liegen altersbedingte Erkrankungen vor wie das Cushing-Syndrom (korrekt: Pituitary Pars Intermedia Dysfunktion, PPID), so müssen spezielle Gesichtspunkte bei der Rationsgestaltung wie der Austausch von Getreide gegen stärkereduzierte Ergänzungsfutter sowie eine hohe Vitamin-E- und Vitamin-A-Zufuhr beachtet werden.

Wasser sollte in hygienisch einwandfreier Form immer zur freien Verfügung stehen. Viele alte Pferde trinken lieber aus dem Eimer und im Winter auch gerne angewärmt. Zudem kann die Wasseraufnahme durch das Einmischen von 100 bis 200 g Futter (z. B. Weizenkleie) in den Wassereimer vielfach erhöht werden. Es sollte aber zusätzlich immer ein Wassereimer mit Wasser ohne Ergänzungen zur Verfügung stehen, damit die Oldies frei wählen können.

 

Fazit

Ältere Pferde müssen keine Rennen mehr gewinnen, sollten aber in Bewegung bleiben. Begleitend sind die optimale Haltung und Fütterung essenziell, damit unsere Equiden gesund und fit alt werden können. So hart arbeiten unsere Pferde heute nicht mehr, aber umso eindrücklicher ist die Geschichte von «Old-Billy», der 1822 im Alter von 62 Jahren starb und sein Leben lang bis zur Pensionierung als Treidelpferd Schiffe stromauf und stromab zog.

Conny Herholz, HAFL
Ingrid Vervuert, HAFL und Universität Leipzig

Äussere Altersanzeichen nach Besitzerangaben
– vermehrt graue Haare
– tiefe Einsenkungen über den Augen
– herabgesetzte Muskelspannung
– steife Gelenke
– Zahnverlust
– Senkrücken
– Unterlippe hängt
– herabgesunkene, weiche Fesselung

Esel, 30 Jahre, herabgesunkene Fesselung | © Conny Herholz Esel, 30 Jahre, herabgesunkene Fesselung | © Conny Herholz

Informationen über Ihre Daten
Auf dieser Webseite werden zur Verbesserung der Funktionalität und des Leistungsverhaltens sowie zu Statistikzwecken Cookies eingesetzt. Durch Klicken auf den Akzeptieren-Button stimmen Sie der Verwendung von Cookies auf dieser Webseite zu.