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Der Robert Redford von Lully

12 Oktober 2020 09:00

Ein grosses Kapitel der Schweizer Sportpferdezucht geht zu Ende. Der gebürtige Baselbieter Hans-Jakob «Hansjoggi» Fünfschilling setzt einen Schlusspunkt hinter seine Züchterkarriere und die Ära der Lully-Pferde. Ein Porträt von einem Pferdemenschen mit einem grossen Herzen und einem guten Händchen, von einem Visionär mit Mut und Durchhaltevermögen, von einem «Hans Dampf in allen Gassen» mit Charme und Witz.

Hans-Jakob Fünfschilling geniesst das Zusammensein mit seinen Vierjährigen auf den idyllischen Weiden des Gestüts «de Lully».  |  © Nicole Basieux Hans-Jakob Fünfschilling geniesst das Zusammensein mit seinen Vierjährigen auf den idyllischen Weiden des Gestüts «de Lully». | © Nicole Basieux

Er ist nicht einfach ein Züchter, nein, er ist ein ganz spezieller Züchter. Ist er auch nicht mehr der Jüngste, so blitzen seine Augen dennoch wie die eines Spitzbuben, und er strotzt vor Energie. Hans-Jakob «Hansjoggi» Fünfschilling ist ein Macher, dem der Schalk im Nacken sitzt. Dazu eine kleine Anekdote: Es war an der Europameisterschaft der Concours-Complet-Elite 2009 im schwedischen Malmö. Fünfschilling war Equipenchef, Dominik Burger Teamveterinär. Beide Herren hatten einen Mietwagen. Nach dem Geländetag, Versorgen der Pferde und Debriefing mit den Reitern stand die Rückfahrt per Auto zum Hotel auf dem Plan. Gesagt, getan. Doch plötzlich kam bei den beiden eine innere Unruhe und so etwas wie Nervenkitzel auf: Denn beim Hotel gab es lediglich einen Parkplatz, der sich direkt vor dem Gebäude befand. Und so war das ohne jegliche Worte abgemachte «Autorennen» gestartet. Sie fuhren nicht speziell schnell, versuchten aber, einander auszubooten oder zu überholen. Angekommen im Hotel - ehrlich gesagt, weiss ich gar nicht mehr, wer am Ende dann schneller war -, trafen sie sich und prusteten los. Wie Kinder!

 

Lully-Ära geht zu Ende

1974 hat Hans-Jakob Fünfschilling mit seiner Lully-Zucht begonnen, und nun 2020, 46 Jahre später, erklärt er sie für beendet. In diesem fast halben Jahrhundert kamen 157 Lully-Fohlen auf die Welt, darunter 5 gekörte Hengste und 4 Prämienzuchtstuten. Die sportlichen Erfolge sind noch zahlreicher (siehe Kasten). Wer kennt sie nicht, die wohlklingenden Namen, die von Schweizermeisterschaften über Europa- und Weltmeisterschaften bis an die Olympischen Spiele gelangt sind und deren Träger es nicht selten auf das Podest geschafft hatten und in naher Zukunft vielleicht auch noch schaffen werden?

Im Büro von Hans-Jakob Fünfschilling zeugen Bilder und Urkunden von den Erfolgen der Lully-Pferde  |  © Nicole Basieux Im Büro von Hans-Jakob Fünfschilling zeugen Bilder und Urkunden von den Erfolgen der Lully-Pferde | © Nicole Basieux

Gauguin, Flirt und Greco

Fünfschillings erfolgreichsten «Zuchtprodukte» sind auch die, die ihn am meisten geprägt haben. «Als Gauguin de Lully als erstes Fohlen der Lully-Zucht auf die Welt gekommen ist, habe ich ihn, drei Tage alt, auf der Weide beobachtet und gedacht: ‹Das wird mal ein Pferd, das international auf sich aufmerksam machen wird.›» Was viele nicht wissen: Gauguin wurde als 3-jähriger Hengst nicht gekört, und hätte Fünfschilling ihn als Hengstfohlen an das Schweizer Nationalgestüt verkauft, so wäre er zu diesem Zeitpunkt kastriert worden. Zum Glück war dem nicht so und Gauguin wurde der Vater von vielen Top-Sportpferden. «In der Zucht fehlt manchmal die Weitsicht und ein etwas langfristigeres Denken», erklärt er. Neben Gauguin prägten den Züchter auch der mehrfache Dressur-Weltcupfinalsieger Flirt de Lully (heute: Glock’s Flirt) sowie Greco, der Vater von Grandeur und Grecvol, wobei die beiden letzteren heute erfolgreich auf dem internationalen Vielseitigkeitsparkett unterwegs sind.

EM Goodwood 1987: Christine Stückelberger auf Gauguin de Lully  |  © Elisabeth Weiland EM Goodwood 1987: Christine Stückelberger auf Gauguin de Lully | © Elisabeth Weiland

Zucht ist Gefühlssache

Das Spezielle an der Lully-Zucht ist, dass Fünfschilling sie nach Gauguin mit dessen Nachkommen weitergeführt hat und dass er eine Zucht «Zurück zur Natur» startete. Dies bedeutete, dass er Stute, Hengst und Fohlen zusammen auf der Weide hielt. Für ihn sind gute Pferde aus einer Zucht Gefühlssache. «Es ist ähnlich wie beim Reiten. Ein guter Reiter hat es im Gefühl.» Da ist ja nicht nur die Anpaarung, denn ist das Fohlen mal auf der Welt, spielt die Aufzucht, Haltung und Ausbildung eine grosse Rolle, und am Ende ist es essenziell, welchem Reiter der Züchter versucht, welches Pferd unter den Sattel zu geben. Auch Exterieurbeurteilungen und Zuchtschauen sieht der 79-Jährige kritisch. Es könne durchaus vorkommen, dass ein Fohlen zwar korrekt sei, aber eben nicht aussergewöhnlich im Exterieur. Trotzdem können sich solche Fohlen auch zu internationalen Top-Athleten, die sich für die Zucht eignen, entwickeln. Viel wichtiger scheint es dem erfahrenen Pferdemann, dass die Reiter-Pferd-Paarung stimmt: «Vielleicht hatte und habe ich einfach auch ein gutes Gespür dafür, welches Pferd ich welchem Reiter anvertraue», sagt Hans-Jakob Fünfschilling. «Das habe ich nirgends gelernt, jedoch hatte ich immer das Glück, an die richtigen Menschen geraten zu sein.» Fünfschilling war jedoch nicht nur Züchter, sondern auch erfolgreicher Military-Reiter und Crossbauer, was ihm bei der Wahl der Reiter zugute kam.

Hans-Jakob Fünfschilling auf Quasi de Lully im Jahr 1995. Im gleichen Jahr war das Paar Teil des Silber-Teams der EM der Ländlichen Reiter in Holziken (AG).  |  © SVPS/Roland von Siebenthal Hans-Jakob Fünfschilling auf Quasi de Lully im Jahr 1995. Im gleichen Jahr war das Paar Teil des Silber-Teams der EM der Ländlichen Reiter in Holziken (AG). | © SVPS/Roland von Siebenthal

«Geht nicht, gibts nicht!»

Als Fünfschilling 1974 mit der Pferdezucht begann, rieten Kollegen ihm von seinem Vorhaben ab und sagten, er würde das nicht schaffen. Doch Hans-Jakob Fünfschillings Motto ist und bleibt: «Geht nicht, gibts nicht! - Man muss daran glauben und sich mit den richtigen Leuten umgeben.» Jetzt, wo er die Zucht beendet, melden sich renommierte Schweizer Pferdesportler und fragen nach Pferden. Es sei schon ein bisschen verhext: «Je mehr Erfolg meine Pferde hatten, desto weniger Interessenten kamen auf mich zu. Sie fürchteten sich wohl vor zu hohen Preisen, was nicht zutrifft», analysiert der Wahlfreiburger.

Was viele wohl auch nicht wissen: Der Lully-Pferdezüchter züchtete nicht nur Pferde, sondern führte erstmalig auch Nordmanntannen in die Schweiz ein. Auch da war er ein Pionier. Nun hat sein Sohn den Betrieb übernommen, doch der Vater geht ihm gerne zur Hand und kämpft dafür, dass seine Biobäume auch entsprechend subventioniert werden. «Eigentlich bin ich ja nur ein einfacher Bauer, ein ausgebildeter Landwirt mit eidgenössischem Meisterdiplom.» Sein Wunsch war es immer, vom Staat unabhängig zu sein, Nischenprodukte herzustellen und zu vermarkten und dies auf eine sinnvolle und vernünftige Weise. Der Betrieb von Hans-Jakob Fünfschilling finanzierte sich zur Hälfte durch die Weihnachtsbäume und zur Hälfte durch die Pferdezucht - «wobei die Bäume die Pferde klar querfinanzierten», gesteht Hansjoggi.

An der EM der Ländlichen Reiter von 1963 in Basel gewann Fünfschilling Silber mit dem Schweizer Team: (v.l.n.r.) Equipenchef Heinrich von Grebel, ein Springrichter, Peter Althaus, Hans-Jakob Fünfschilling und Rudolf Haas  |  SVPS/Roland von Siebenthal An der EM der Ländlichen Reiter von 1963 in Basel gewann Fünfschilling Silber mit dem Schweizer Team: (v.l.n.r.) Equipenchef Heinrich von Grebel, ein Springrichter, Peter Althaus, Hans-Jakob Fünfschilling und Rudolf Haas | SVPS/Roland von Siebenthal

Mut zu Blut

Um sein Zuchtziel eines sensiblen, angenehmen Pferdes mit gutem Galopp für den Concours-Complet-Sport zu erreichen, bewies Hans-Jakob Fünfschilling Mut zu Blut und brachte den Vollblüterhengst Stargate auf seinem Zweithof in Frankreich zum Deckeinsatz. «Er hat einen wirklich goldigen Charakter und bringt ganz tolle Pferde hervor.» Auch Gauguin habe sehr gute Nachkommen gebracht, im Charakter waren diese jedoch im Vergleich eher ängstlich. Als er dies erzählt, muss er unweigerlich lachen und sagt: «Dr Gauguin isch lieber e läbige Schisscheib gsi als e tote Held.»

Partnerschaften mit guten Reiterinnen und Reitern haben Lully-Pferde an die Spitze gebracht. «Die Lully-Zucht hat in der Schweiz wahrscheinlich das beste Image», vermutet er. «Ich wollte einfach beweisen, dass es machbar ist, Schweizer Dressur- und Militarypferde, die international mithalten können, zu züchten.» Und wäre er noch jünger, würde er nicht ausschliessen, dass er sich der Springpferdezucht widmen würde, ergänzt er mit einem schelmischen Lächeln.

 

Grosse Genugtuung

Als Züchter und Pferdebesitzer einem erfolgreichen und talentierten Reiter ein Pferd zur Verfügung zu stellen, gibt ihm Bestätigung für eine Leistung, die man vollbringt - auch wünsche er sich, dass das in der Schweiz mehr wertgeschätzt würde, denn es hat einen grossen Einfluss auf den schweizerischen Pferdesport. «Mich freut es riesig, wenn ein Lully-Pferd an den Olympischen Spielen wie zum Beispiel in Seoul eine Medaille gewinnt. Das hat schon einen sehr hohen Stellenwert für mich», so der Züchter. Im Grunde genommen würden ja alle davon profitieren, doch irgendjemand müsse ja mal einen Grundstein legen.

Hans-Jakob Fünfschilling mit seinem Hut als «Markenzeichen» hat nicht nur tolle Pferde gezüchtet, sondern ist auch ein grosszügiger Pferdebesitzer und Mäzen des Schweizer Pferdesports.  |  © Nicole Basieux Hans-Jakob Fünfschilling mit seinem Hut als «Markenzeichen» hat nicht nur tolle Pferde gezüchtet, sondern ist auch ein grosszügiger Pferdebesitzer und Mäzen des Schweizer Pferdesports. | © Nicole Basieux

Unvergessliche Erlebnisse

Als Besitzer und Züchter an grossen Turnieren dabei sein zu können, da, wo eben nicht alle hinkommen, das habe ihn geprägt, den kleinen Schweizer Bauern, der auf der grossen Bühne habe sein dürfen, wie er selbst sagt. Und beim Gedanken an den «Faststurz» von Robin Godel mit seinem Grandeur de Lully an den Weltreiterspielen 2018 in Tryon (USA), der es dann doch noch ins Ziel geschafft hatte, kommen bei ihm die Emotionen hoch und seine Augen beginnen zu glänzen: «Solche Erlebnisse sind einfach unglaublich und unvergesslich …» Wie auch diese Anekdote: «Auf einem Turnier fragte Christine Stückelberger, ob ihr jemand Gauguin kurz halten könne, da antwortete ich mit Ja, doch sie antwortete darauf: ‹Nei, du machsch nur s Muul kaputt›», erzählt er und muss dabei herzhaft lachen. Jeder Mensch und auch jedes Pferd sind eigen. Genau das gefällt Fünfschilling so sehr. Ja, er liebt sie, seine Pferde, und er liebt den Pferdesport und das Leben. Er ist ein Pferdemensch von Kopf bis Fuss, der sich immer auf sein Gefühl verlassen kann - eben der Robert Redford von Lully.

Nicole Basieux

Die vier letzten Jungspunde aus der Lully-Zucht. Links im Bild sieht man Nordmanntannen mit Zettelchen dran, das sind bereits verkaufte Lully-Weihnachtsbäume.  |  © Nicole Basieux Die vier letzten Jungspunde aus der Lully-Zucht. Links im Bild sieht man Nordmanntannen mit Zettelchen dran, das sind bereits verkaufte Lully-Weihnachtsbäume. | © Nicole Basieux

Die erfolgreichsten Sportresultate von Lully-Pferden

Promotionsfinale:
– 5 Teilnahmen / 2 Siege

Schweizer Meisterschaften:
– Dressur Elite: 2 Teilnahmen / 2 Siege
– Concours Complet Elite: 3 Teilnahmen / 1 Sieg
– Concours Complet Junioren: 2 Teilnahmen / 2 Siege

Europameisterschaften:
– Dressur Elite: 2 Teilnahmen / 2 Medaillen
– Concours Complet Elite: 2 Teilnahmen
– Concours Complet Junioren: 2 Teilnahmen / 2 Siege

Weltmeisterschaften:
– Dressur Elite: 2 Teilnahmen / 1× Silber, 1× 5. Rang
– Concours Complet Elite: 2 Teilnahmen

Olympische Spiele:
– Dressur Elite: 2 Teilnahmen / 1× Silber, 1× Bronze

Weltcupfinal:
– Dressur Elite: 5 Teilnahmen / 3 Siege

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