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Die Stars von morgen: Nachwuchskader im Pferdesport

14 Januar 2020 08:00

Das Erkennen und Fördern von jungen Talenten ist eine verantwortungsvolle und komplexe Angelegenheit. Gerade in der Schweiz, wo die Auswahl an potenziellen künftigen Spitzensportlern aufgrund der kleinen Bevölkerungszahl gering ist, muss besonders sorgfältig selektiert und umsichtig gefördert werden.

Beim Sichtungsreiten beurteilen die von der Nachwuchsförderungskommission der jeweiligen Disziplin bestimmten Personen die Leistungen und das Potenzial der Nachwuchsreiterinnen und -reiter. (Foto: SVPS/Markus Niklaus) Beim Sichtungsreiten beurteilen die von der Nachwuchsförderungskommission der jeweiligen Disziplin bestimmten Personen die Leistungen und das Potenzial der Nachwuchsreiterinnen und -reiter. (Foto: SVPS/Markus Niklaus)

Obwohl der Pferdesport bezüglich Talentförderung eine Sonderrolle einnimmt - es ist eine der wenigen Sportarten, die man auch in fortgeschrittenem Alter noch auf Weltklasseniveau betreiben kann -, orientiert sich der Schweizerische Verband für Pferdesport (SVPS) an den Vorgaben und Empfehlungen zur Talentidentifikation und -selektion von Swiss Olympic und der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen (EHSM). Ihre Philosophie beruht auf dem Leitgedanken, nicht die aktuell besten, sondern die zukünftig besten Nachwuchssportlerinnen und -sportler zu fördern.

 

Trainer als Schlüsselfiguren

Niemand kennt die jungen Sportlerinnen und Sportler besser als die Heimtrainer. Sie begleiten, unterstützen und fördern ihre Schützlinge manchmal jahrelang und können ihre Entwicklung und ihr Potenzial am besten einschätzen. Deshalb spielen sie im Selektionsprozess eine zentrale Rolle. Ihre Wahrnehmung wird in der prognostischen, integrativen, systematischen Trainereinschätzung - kurz: PISTE - aufgenommen.

Mit dieser Einschätzung sollen die jungen Talente zukunftsgerichtet und unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren möglichst objektiv beurteilt werden. Dank diesem modernen und umfassenden Kriterienkatalog will man vermeiden, dass Sportlerinnen und Sportler allein anhand von Wettkampfresultaten selektioniert werden.

Die PISTE-Formulare, die Swiss Olympic zur Verfügung stellt, werden von den Nachwuchsförderungskommissionen des SVPS für die einzelnen Disziplinen angepasst und auf der Website des SVPS aufgeschaltet. Die Talentanalyse geht aber natürlich über diese Trainereinschätzung hinaus und umfasst auch einen sportmotorischen Test und eine Sichtung zu Pferd, die jeweils im Herbst stattfinden. Selbstverständlich fliessen auch Wettkampfresultate in die Beurteilung mit ein, weshalb die entsprechenden Anforderungen frühzeitig publiziert werden und bis am 30. September des laufenden Jahres zu erfüllen sind.

 

Umfassende Potenzialanalyse

Nebst den eigentlichen sportlichen Leistungsparametern sind auch Faktoren wie die körperliche und die geistige Belastbarkeit oder das soziale und das materielle Umfeld mitentscheidend bei der Potenzialanalyse. Ausserdem gilt es zu berücksichtigen, dass die Entwicklungsverläufe von Kindern und Jugendlichen bis zur Pubertät sehr individuell und nicht linear verlaufen, was die Beurteilung stark erschwert. Umso wichtiger ist es, im Rahmen der verfügbaren Ressourcen möglichst viele junge Talente in den Selektionsprozess zu involvieren und ihr Potenzial jedes Jahr erneut auf den Prüfstand zu stellen.

 

Was macht das Talent aus?

Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass sich das Talent eines Menschen zu einem Teil aus seinen Genen, zu einem anderen, mindestens so wichtigen Teil aber auch aus externen Einflussfaktoren wie dem familiären, sportlichen und schulischen Umfeld zusammensetzen.

Für die Experten von Swiss Olympic und EHSM spielen zudem die treibenden Kräfte hinter einer sportlichen Leistung eine zentrale Rolle: Schöpft der junge Athlet seine Motivation zur sportlichen Leistung aus sich selbst, weil er seinen Sport mit Freude ausübt? Oder stammen die treibenden Kräfte eher aus dem Umfeld wie Trainer und Eltern, sodass das jugendliche Talent in erster Linie deshalb sein Bestes gibt, um Anerkennung zu finden?

So haben Studien gezeigt, dass Nachwuchssportler mit zurückhaltenden Eltern, die das junge Talent zwar umfassend unterstützen, aber im Hintergrund bleiben, einen positiven Einfluss auf die langfristige Leistungsprognose haben. Fordernde Eltern schlagen sich in der langfristigen Potenzialkurve hingegen negativ nieder, da die Jugendlichen nach der Pubertät oftmals das Bedürfnis haben, sich aus dieser fremdbestimmten Motivation zu lösen. All diese Faktoren gilt es zu berücksichtigen und individuell mittel- und langfristig zu beurteilen.

 

Leistungen für talentierte Pferdesportler

Wer eine Einladung für das regionale oder das nationale Nachwuchskader erhält, muss nicht gleich mit langfristigen Investitionen oder hohen Kosten rechnen. Ziel der Nachwuchsförderung auf dieser Stufe ist in erster Linie, die jungen Talente zu begleiten und sie punktuell mittels speziellen Förderlehrgängen zu unterstützen und ihren Horizont - beispielsweise mit Mentaltrainings oder Fitnessangeboten - zu erweitern. Ausserdem wird den jungen Talenten im nationalen Nachwuchskader Kaderkleidung zur Verfügung gestellt, dank der sie sofort als herausragende Athleten erkennbar sind.

Der Heimtrainer wird aber nach wie vor die wichtigste Rolle bei der pferdesportlichen Förderung spielen - und muss auch nach wie vor vom Sportler selbst bzw. seinen Eltern bezahlt werden. Auch die Kosten für nationale und internationale Turnierteilnahmen werden nicht automatisch vom SVPS übernommen, es sei denn, der Sportler wird in ein Aufgebot für ein Championat oder einen Nationenpreis aufgenommen und darf offiziell die Schweizer Farben vertreten. In diesem Fall übernimmt der SVPS gewisse Kosten. Nicht zuletzt können Kadermitglieder zudem bei der Betreuung ihrer Pferde auf die Unterstützung des Disziplintierarztes zählen - denn die vierbeinigen Partner spielen bei der Potenzialentwicklung und Talentförderung eine zentrale Rolle.

 

Mit der Talent Card weiterkommen

Junge Talente, die es in regionale oder nationale Nachwuchskader geschafft haben, erhalten die «Swiss Olympic Talent Card». Diese Anerkennung des höchsten Sportorgans der Schweiz ermöglicht den Zugang zu Sportschulen und zu Patenschaften im Rahmen der Schweizer Sporthilfe sowie weiteren Förderungsangeboten.

Der Pferdesport ist also gut eingebettet im Schweizer Sportförderungssystem und bietet talentierten Nachwuchshoffnungen die nötigen Aufstiegshilfen, um den Weg in den internationalen Spitzensport zu finden. Dennoch bleibt der Pferdesport ein Sonderfall in der Sportlandschaft. Denn selbst ein Athlet, der in jungen Jahren nie die Möglichkeit hatte, sein ganzes Potenzial auszuspielen und sich für Fördergefässe zu empfehlen, kann im Erwachsenenalter zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und über das nötige Umfeld verfügen, um sich an der Weltspitze zu behaupten.

 

Regionalverbände als Sprungbrett

Die Regionalverbände spielen bei der Talentförderung im Pferdesport eine zentrale Rolle. Sie haben ihre eigenen Talentförderungsprogramme auf Stufe Lokal- und Regionalkader und erhalten hierfür auch Gelder vom SVPS. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, Talente für den internationalen Spitzensport zu erkennen und diese dem SVPS für das Nationalkader zu empfehlen. Die Nachwuchsverantwortlichen und -trainer der Disziplinen beim SVPS halten aber auch immer Ausschau nach ungeschliffenen Diamanten im Pferdesport.

 

Förderstufe 1 auch ohne viel Turniererfahrung zugänglich

Im Basiskader der Regionalverbände werden motivierte und talentierte Reiterinnen und Reiter bereits ab einem reiterlichen Niveau auf der Stufe Brevet gefördert. Diese Lokal- und Regionalkader gibt es in den Disziplinen Springen, Dressur und Concours Complet. Ziel dieser Förderprogramme wie beispielsweise «ZKV Future» oder «OKV Newcomers» ist es, ambitionierte, junge Pferdesportler an die Verbandsstrukturen heranzuführen, den Teamgeist zu fördern und sie in regelmässigen Trainings für das Turnierreiten und den Leistungssport zu begeistern.

Schon wenige Starts an Dressurprüfungen der Stufe GA03 oder an Springprüfungen der Stufe B90 können genügen, um zum Sichtungsreiten für das Lokal- oder Regionalkader zugelassen zu werden. Um in ein solches Basiskader aufgenommen zu werden, muss vordergründig der Wille und das Talent vorhanden sein, innert kurzer Frist Fortschritte zu erzielen.

Derzeit ist die Zahl der Reiterinnen und Reiter, die sich zu den Sichtungstagen für die Lokal- und Regionalkader anmelden, rückläufig - was sehr bedauerlich ist. Hier müssen der SVPS und die Regionalverbände noch mehr Aufklärungsarbeit bei Eltern und Reitvereinen leisten, um eine möglichst breite Basis aufzubauen, aus der schliesslich über die Jahre hinweg die ganz grossen Talente herauskristallisiert werden können. Und selbst wenn die Youngsters es nie ganz an die Weltspitze schaffen werden, ist die Zugehörigkeit zu einem lokalen oder regionalen Nachwuchskader mit unvergesslichen Erlebnissen und einer altersgerechten Förderung der sportlichen Leistung, aber auch der Persönlichkeit dieser jungen Menschen verbunden, die sie ein Leben lang positiv prägen wird.

Cornelia Heimgartner

Wie steht es um die obere Rücken- und Schultermuskulatur, die dem Reiter einen stabilen, aufrechten Sitz verleihen? Der sportmotorische Test an der Kadersichtung gibt Aufschluss. (Foto: SVPS/Markus Niklaus) Wie steht es um die obere Rücken- und Schultermuskulatur, die dem Reiter einen stabilen, aufrechten Sitz verleihen? Der sportmotorische Test an der Kadersichtung gibt Aufschluss. (Foto: SVPS/Markus Niklaus)

Beim sportmotorischen Test für Reiter wird die allgemeine Fitness der Kaderanwärter auf die Probe gestellt. Hier wird die Dehnfähigkeit des Hüftstreckers gemessen, ein Muskel, der dem Reiter einen tiefen Sitz ermöglicht. (Foto: SVPS/Markus Niklaus) Beim sportmotorischen Test für Reiter wird die allgemeine Fitness der Kaderanwärter auf die Probe gestellt. Hier wird die Dehnfähigkeit des Hüftstreckers gemessen, ein Muskel, der dem Reiter einen tiefen Sitz ermöglicht. (Foto: SVPS/Markus Niklaus)

Der Athletenweg in der Disziplin Springen. Die vollständige Tabelle sowie den Athletenweg für andere Disziplinen finden Sie auf der SVPS-Website. (Bild: SVPS) Der Athletenweg in der Disziplin Springen. Die vollständige Tabelle sowie den Athletenweg für andere Disziplinen finden Sie auf der SVPS-Website. (Bild: SVPS)

Weitere Informationen zur Nachwuchsförderung im Schweizer Pferdesport:
– Markus Niklaus, SVPS
– Nicole Etter Cleto, FER
– Patrizia Miscione, FTSE
– Nicole Rufus, ZKV
– Mirjam Stemmler, PNW
– Dominique Suter, OKV

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