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Ein Hauch des Südens: die Arbeitsreitweise in der Schweiz

11 November 2019 08:00

Wenn sich die Freunde der Working Equitation zum Turnier treffen, herrscht fröhliche Volksfeststimmung! Die Pferde der unterschiedlichsten Rassen sind wunderschön hergerichtet, die Reiterinnen und Reiter tragen auf ihren Reitstil abgestimmte Trachten, die Zuschauer feuern die Paare im Geschwindigkeitsparcours lautstark an. Ein Erlebnis für Jung und Alt! Die Disziplin ist in der Schweiz noch wenig bekannt und wird oft zu Unrecht als Spielerei zwischen Patrouillenritt und Gymkhana abgetan. Doch die Arbeitsreitweise bzw. Working Equitation erfordert dressurmässig gut ausgebildete Pferde und präzises Reiten. Sie erfreut sich in der Schweiz seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit, und auch internationale Richter attestieren den einheimischen Reiterinnen und Reitern gute Fortschritte.

Das Ringstechen erfordert viel Geschick und ein durchlässiges Pferd, da einhändig geritten wird. (Foto: A. Heimgartner) Das Ringstechen erfordert viel Geschick und ein durchlässiges Pferd, da einhändig geritten wird. (Foto: A. Heimgartner)

Die Working Equitation hat ihre Wurzeln in Südeuropa, in der Arbeitsreitweise der Rinderhirten in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien. Als eigentliche Sportart wurde sie erst Mitte der 1990er-Jahre reglementiert und wird heute vom Weltverband mit Sitz in Portugal, der World Association for Working Equitation (WAWE), verwaltet. Längst sind es nicht mehr nur diese südlichen Länder, die die Working Equitation als eigenständige Pferdesportdisziplin pflegen: Deutschland, Schweden, ja sogar die USA - und natürlich die Schweiz - sind heute an internationalen Championaten vertreten.

 

Vielseitigkeit auf hohem Niveau

Ein Working-Equitation-Turnier setzt sich aus mehreren Teilprüfungen zusammen, die von den Reiterinnen und Reitern und ihren Pferden eine sehr solide und umfassende Ausbildung erfordern.

In der Teilprüfung Dressur werden die klassischen Hufschlagfiguren im Dressurviereck bewertet, je nach Leistungsklasse mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Was zählt, sind nicht in erster Linie ausdrucksstarke Gänge, sondern vielmehr die Durchlässigkeit und die Präzision. Wenn man den Ursprung der Sportart bedenkt, ist dies auch logisch: Gefragt sind Pferde, die willig auf feine Hilfen reagieren, als Grundvoraussetzung für die Arbeit mit den Rindern. In der höchsten Klasse ist die einhändige Zügelführung Pflicht - denn der Rinderhirt sollte immer eine Hand frei haben, um damit Arbeiten und Handgriffe zu Pferd verrichten zu können.

Die zweite und die dritte Teilprüfung finden im Hindernisparcours statt. Zunächst werden die Aufgaben, beispielsweise das Überqueren einer Brücke, das Öffnen und Schliessen eines Tors, das Überwinden eines Sprungs oder das Durchstechen eines Ringes mit einer Stange, auf die Perfektion der Ausführung und die Mitarbeit des Pferdes hin bewertet - gewissermassen eine Stilprüfung (auch Maniabilité oder Ease of Handling Trial genannt). Hier spielen auch wieder Aspekte wie die Rittigkeit und eine solide Dressurausbildung mit, denn es werden nicht nur Punkte abgezogen, wenn Hindernisfehler geschehen, sondern auch wenn das Pferd in den Hindernissen nicht schön an den Hilfen steht bzw. Übergänge oder beispielsweise Zirkel sowie - in den höheren Klassen - fliegende Wechsel und Galopppirouetten nicht präzise geritten werden. Anschliessend wird der Hindernisparcours in Wettbewerben der höheren Leistungsklassen auch noch auf Tempo geritten und bewertet (Speed Trial).

Mut, Köpfchen und enormes gegenseitiges Vertrauen werden von den Pferden und ihren Reiterinnen und Reitern schliesslich in der letzten Teilprüfung, der Rinderarbeit (Cow Trial) gefordert. Hierbei muss ein bestimmtes Rind in möglichst kurzer Zeit von der Herde getrennt und in einen Pferch getrieben werden.

In der Working Equitation sind alle Rassen willkommen und konkurrenzfähig, auch Isländer.
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<br />En équitation de travail, toutes les races sont bienvenues et competitives, aussi les Islandais. In der Working Equitation sind alle Rassen willkommen und konkurrenzfähig, auch Isländer. (Foto: A. Heimgartner)

Anforderungen der verschiedenen Leistungsklassen der Working Equitation
Klasse E Klasse A Klasse L Klasse M Klasse S
Dressur Dressur Dressur Dressur Dressur
Maniabilité Maniabilité Maniabilité Maniabilité Maniabilité
    Speed Speed Speed
      Rinderarbeit Rinderarbeit
Keine Brevetpflicht Brevetpflicht Brevetpflicht Brevetpflicht Brevetpflicht

Die Working Equitation im SVPS

Die Working Equitation ist zwar keine offizielle und vom Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) verwaltete Disziplin, dennoch ist ihr Fachverband, der Verein Arbeitsreitweise Schweiz - Equitation de Travail Suisse (ARSETS), dem SVPS dank einer Vollmitgliedschaft eng verbunden. So geniesst das SVPS-Generalreglement einen hohen Stellenwert beim ARSETS und gilt dort als verbindlich, wo das WAWE-Reglement Fragen offenlässt.

In manchen Bereichen sind die ARSETS-Reglemente weniger restriktiv als diejenigen des SVPS. So gilt beispielsweise für alle Teilprüfungen - also auch für die Dressur - freie Wahl bei der Zäumung, wobei der Einsatz von Gebissen mit Hebelwirkung streng reglementiert ist. Hingegen kann bis zur Leistungsklasse M gebisslos geritten werden.

Ausserdem besteht keine Vereinspflicht, und in der Einsteigerklasse E müssen die Reiterinnen und Reiter auch noch nicht im Besitz eines Brevets sein. Dieses ist dann ab der Anfängerklasse A Pflicht, muss beim SVPS aber nicht eingelöst sein.

Die Vizepräsidentin des ARSETS, Jenny Markov, würde sich sogar eine noch engere Zusammenarbeit mit dem SVPS wünschen: «Es gäbe noch weitere Bereiche, in denen wir das Know-how und die bestehenden Strukturen beim SVPS gerne nutzen würden, beispielsweise bei der Richterausbildung. Auch die Technischen Delegierten und die Veranstalter von Working-Equitation-Turnieren könnten von den entsprechenden Schulungen des SVPS profitieren.»

Auch im Hindernisparcours ist die gute Dressurausbildung zentral. (Foto: A. Heimgartner) Auch im Hindernisparcours ist die gute Dressurausbildung zentral. (Foto: A. Heimgartner)

Die Schweiz im internationalen Vergleich

Als FEI-3*-Dressurrichterin und Verantwortliche für die Richterausbildung bei der WAWE kennt die Portugiesin Claudia Elsner Matos die internationale Working-Equitation-Szene wie kaum eine andere. Als sie kürzlich in der Schweiz als Working-Equitation-Richterin im Einsatz stand, stellte sie bei den Schweizer Reiterinnen und Reitern eine erfreuliche Entwicklung fest: «Ich war letztmals vor drei Jahren in der Schweiz, und seither ist das Niveau eindeutig gestiegen. Zwei, drei Reiterinnen der Leistungsklasse S haben sicherlich das Potenzial, mittelfristig mit der Weltspitze mitzuhalten.» In den tieferen Kategorien sieht sie hingegen Handlungsbedarf: «Die Dressur ist in der Working Equitation enorm wichtig. Hier sehe ich in der Schweiz in den Einsteiger- und den Anfängerklassen noch deutliche Mängel. Da sind die Trainer aufgerufen, sich weiterzubilden, um den Nachwuchs zielgerichtet fördern zu können.»

Auch die Ausbildung der nationalen Richter müsse sehr ernst genommen werden, so Elsner Matos: «Die nationalen Richter tragen eine grosse Verantwortung. Sie spielen nicht zuletzt eine wichtige Rolle bei der Selektion der Kader für internationale Championate. Deshalb müssen auch sie sich an internationalen Standards orientieren und ihr Auge mit den weltbesten Reitern schulen.»

Die internationale Richterin Claudia Elsner Matos aus Portugal sieht Fortschritte bei den Schweizer Working-Equitation-Reiterinnen und -Reitern. (Foto: A. Heimgartner) Die internationale Richterin Claudia Elsner Matos aus Portugal sieht Fortschritte bei den Schweizer Working-Equitation-Reiterinnen und -Reitern. (Foto: A. Heimgartner)

Nach den Sternen greifen

Eine, die dieses Credo voll und ganz verkörpert, ist Katja Weis. Die Zürcherin war einst Gründungsmitglied des ARSETS und ist heute aktive Turnierreiterin in der Leistungsklasse S. Parallel dazu verfolgt sie eine Karriere als internationale Working-Equitation-Richterin und ist leidenschaftliche Ausbilderin von Pferden, insbesondere Lusitanos, jeden Alters. Durch ihre vielfältigen Einsichten und Perspektiven kann sie die Schweizer Szene sehr nuanciert beurteilen: «2020 finden Europameisterschaften in der Working Equitation statt, und natürlich möchte die Schweiz ein Team entsenden. Die Disziplin ist in der Schweiz noch jung, weshalb erst wenige Reiterinnen und Reiter in der Klasse S, der Masterclass, angekommen sind. Aber wir haben eine solide Spitze mit sehr engagierten Reiterinnen und Reitern, die versuchen werden, die Qualifikation für die EM zu schaffen.»

Qualifiziert werden die besten vier Reiter, die ihr Können an nationalen und internationalen Turnieren der Klasse S unter Beweis gestellt haben. Am Championat selbst zählen die Ergebnisse der besten drei Reiter, der viertbeste gilt als Streichresultat.

Man darf gespannt sein, wie sich die Schweizer Equipe an der EM 2020 im französischen Les Herbiers positionieren wird. Die junge Disziplin ist in der Schweiz erst am Kommen und wird von wahren Liebhabern mit enormem Herzblut betrieben. Auch für Reiterinnen und Reiter, die mit der Sportreiterei noch nicht vertraut sind, aber gerne einmal in familiärer Atmosphäre Turnierluft schnuppern möchten, bietet die Working Equitation tolle Startmöglichkeiten. Diese wunderbar vielseitige Disziplin schlägt Brücken über Reitweisen und Pferderassen hinweg und ist auch für eingefleischte Dressur-, Spring-, CC- oder Reiningreiterinnen und -reiter einen Abstecher wert!

Cornelia Heimgartner

Katja Weis begleitet die Schweizer Working-Equitation-Szene seit ihren Anfängen. (Foto: A. Heimgartner) Katja Weis begleitet die Schweizer Working-Equitation-Szene seit ihren Anfängen. (Foto: A. Heimgartner)

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