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Ein Künstlerleben für das Pferd

14 Juli 2020 08:00

Entweder man hat ihn, den Virus, oder nicht. Nicht den aktuellen, sondern den Pferdevirus. Ohne es zu wissen, wird man angesteckt. Ihn wieder loszuwerden, ist praktisch unmöglich. Gut so. Denn ohne ihn, ohne «die Liebe und das grosse Verständnis für dieses herrliche Geschöpf1» wäre es meinem Urgrossvater Iwan Edwin Hugentobler (1886-1972) nicht gelungen, dieses edle Tier in solch einer Ausdrucksstärke auf der Leinwand zum Leben zu erwecken.

Pfingstrennen Frauenfeld, 1941, 90 × 128 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, Auftraggeber Rennverein Frauenfeld, Plakat in der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung Zürich.  ©2020, ProLitteris, Zürich Pfingstrennen Frauenfeld, 1941, 90 × 128 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, Auftraggeber Rennverein Frauenfeld, Plakat in der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung Zürich. ©2020, ProLitteris, Zürich

Iwan Edwin Hugentobler, kurz IEH, war der Duft des Pferdes in der Nase seit Kindsbeinen bekannt - sein Vater führte in Degersheim bei St. Gallen eine Schmitte. Obwohl das Pferd auch da Mittelpunkt des Schaffens war, schlug Iwan einen anderen beruflichen Weg ein. Er liess sich künstlerisch schulen, absolvierte die Zeichnungsschule am Industrie- und Gewerbemuseum in St. Gallen, war Entwerfer bei der Stickereifirma A. Hufenus & Co. in St. Gallen, lernte beim Tiermaler Adolf Thomann in Zürich und kehrte ab 1915 bis 1920 als Dozent für Ornamentik, Stillehre, Malen und Komposition an oben genannte Schule zurück. Danach widmete er sich zeitlebens der Darstellung des treuen vierbeinigen Freundes.

 

Mit Pinsel und Bleistift in der Kavallerie

Einen grossen Anteil an der Ausreifung seines künstlerischen Könnens hatte die Kavallerie, der er als Guidenwachtmeister angehörte. Freunde der Kavallerie ermöglichten ihm unter anderem 1926 einen zivilen Aufenthalt im WK der Dragoner-Abteilung 6. Er durfte sich nur aufs Malen und Skizzieren fokussieren, und so war es für ihn ein wundervoller Anschauungsunterricht vom Sattel aus, in den Ställen bei der Pferdepflege, beim Satteln, beim Reiten und im Manöver, und er liebte diese Freiheit: «… nur schauen, schauen und wieder schauen und dazu nicht gehorchen müssen».2

Iwan E. Hugentobler (links, mit Hut und Programmheft) an einer Pferdesportveranstaltung (Ort unbekannt), 1935.  © Archiv Iwan E. Hugentobler ©2020, ProLitteris, Zürich. Iwan E. Hugentobler (links, mit Hut und Programmheft) an einer Pferdesportveranstaltung (Ort unbekannt), 1935. © Archiv Iwan E. Hugentobler ©2020, ProLitteris, Zürich.

Das Zeichnen im Blut

Sein hippologisches Wissen, sein künstlerischer Ausdruck, seine ausgewogenen Kompositionen und die Präzision in der Darstellungsweise des Tieres machten IEH international bekannt. Es träumte wohl manch einer von solch einer kreativen Leichtigkeit der Strichführung. Zahlreiche Kameraden verblüffte er beim gemeinsamen Abendessen, wenn er jeweils in Sekundenschnelle ein galoppierendes Pferd auf die Serviette zauberte. «Er hatte das einfach im Blut», erzählte der ehemalige Kamerad Ruedi Günthardt. «Iwan hat einen Punkt beim Ohr gesetzt, einen Punkt beim Auge und einen Punkt bei der Maulecke. Und danach meinte er, nun müsse man es nur noch ausmalen.»3

Neben zahlreichen Aquarellen, Bleistiftzeichnungen und Ölgemälden für eine grosse pferdebegeisterte Privatkundschaft kreierte er Ausschmückungen von Urkunden für den Bund, gestaltete Soldatenmarken für die Kavallerie und entwarf Plakate für Pferdesportveranstaltungen. Insgesamt 57 verschiedene Plakatmotive entstanden zwischen 1916 und 1953 und waren darüber hinaus über sechzig Jahre in den Strassen der Schweiz präsent.

Iwan E. Hugentobler bei der Arbeit im Stall, 1936.
<br />Iwan E. Hugentobler lors du travail à l’écurie, 1936 Iwan E. Hugentobler bei der Arbeit im Stall, 1936. © Archiv Iwan E. Hugentobler, ©2020, ProLitteris, Zürich

Lebenskünstler in Krisenzeiten

Dass das Leben als selbstständig erwerbender Künstler und Familienvater nicht immer leicht war, zeigt ein Blick in die Buchhaltung: Die finanziellen Schwankungen waren gross und die weltgeschichtlichen Krisenjahre darin einfach abzulesen. So wurden während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Pferdesportveranstaltungen abgesagt; entweder wurden die Pferde im Dienst gebraucht, die Wiesen der Austragungsorte als Ackerland genutzt, es fehlte das Geld für eine Durchführung oder internationale Veranstaltungen wie der Concours Hippique Luzern wurden aufgrund fehlender Beteiligung abgesagt. Für IEH waren die Folgen simpel: keine Veranstaltungen, keine Plakate, keine Einnahmen.

Dank seinem breiten Kundenstamm ging die Rechnung dennoch irgendwie auf, einfach wesentlich bescheidener, der Umgang mit Ressourcen wurde bewusster. Das geht aus einem Brief an eine Schulklasse im Toggenburg aus dem Jahr 1946 hervor: «Die Mappe müsst ihr mir wieder zurücksenden, weil der Carton rar und teuer ist und man mit dem Material sparsam umgehen muss.»4

Nicht nur für den Künstler waren es herausfordernde Zeiten. In der Schweizer «Hotel-Revue» wurde 1950 in einem Artikel auf die nicht zu unterschätzende ökonomische Relevanz hingewiesen: «Im Gegensatz zu einem grossen Fussballmatch, der vielleicht die vierfache Besucherzahl anlockt, sich aber auf einige kurze Spielstunden beschränkt (…), wirkt sich ein pferdesportlicher Anlass - wirtschaftlich betrachtet - doch günstiger auf verschiedene Erwerbszweige aus, weil die Besucher zum sehr grossen Teil diesen meist ganz- oder sogar zweitägigen Wettkämpfen von Anfang bis Ende beiwohnen.»5 Die Analyse von damals zeigte, dass ein solcher Anlass die Hotelübernachtungen in Aarau und Thun verdoppelte, in Morges und Yverdon verdreifachte und in Frauenfeld verfünffachte.

Zum Glück wurden damals nicht ganz alle Veranstaltungen abgesagt. Und zum Glück verlor mein Urgrossvater nie die Zuversicht und das Vertrauen in sich und seine Arbeit. Und zum Glück liebte er die Pferde - dem Pferdevirus sei Dank.

Nicoline Schaub
hello@rocreative.ch

Springkonkurrenzen Amriswil, 1931, 70 × 100 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, Auftraggeber Oberthurgauischer Kavallerieverein, heutiger Reitverein Amriswil, Plakat in der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung Zürich.  ©2020, ProLitteris Zürich Springkonkurrenzen Amriswil, 1931, 70 × 100 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, Auftraggeber Oberthurgauischer Kavallerieverein, heutiger Reitverein Amriswil, Plakat in der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung Zürich. ©2020, ProLitteris Zürich

Internationaler Offizieller Concours Hippique, Luzern, 1936, 70 × 100 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, 
Auftraggeber Rennclub Luzern, Plakat in der Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel.  ©2020, ProLitteris Zürich Internationaler Offizieller Concours Hippique, Luzern, 1936, 70 × 100 cm, Farblithografie, Iwan E. Hugentobler, Auftraggeber Rennclub Luzern, Plakat in der Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel. ©2020, ProLitteris Zürich

Quellen

1 Iwan E. Hugentobler, Das Pferdeportrait, unveröffentlicht, 1950, Archiv Iwan E. Hugentobler.
2 Iwan E. Hugentobler, Brief an seinen Freund Robert Staub, 12.4.1960, Archiv Iwan E. Hugentobler.
3 Interview mit Ruedi Günthardt, 2016, Aufzeichnung im Archiv Iwan E. Hugentobler.
4 Iwan E. Hugentobler, Brief an eine Schulklasse im Toggenburg, 1946, Archiv Iwan E. Hugentobler.
5 Schweizer «Hotel-Revue» vom 20.4.1950, Archiv Iwan E. Hugentobler.

Korrigendum «Bulletin» Nr. 04/20

Bei der Abbildung auf der dritten Umschlagseite handelt es sich nicht um ein Plakat, sondern um den Umschlag des Programmheftes für den CSIO St. Gallen 1978, gestaltet von Iwan E. Hugentobler ©2020, ProLitteris, Zürich.

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