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Fohlen absetzen: häufig unterschätzter Stress mit Folgen

18 September 2017 13:11

Bald ist es wieder so weit: Die diesjährigen Fohlen werden von ihrer Mutter getrennt und zur Aufzucht auf eine Fohlenweide gebracht. Ein einschneidendes Erlebnis, das für die Pferdekinder viel Stress bedeuten kann - auch mit Langzeitfolgen in ungeahntem Ausmass.

Das Entwöhnen von Jungtieren von der Mutter ist ein ganz natürlicher Prozess. Bei Wildpferden dauert das Absetzen mindestens ein Jahr - wenn die Mutter nicht wieder trächtig ist, durchaus auch deutlich länger. Dabei verläuft der Weg in die Unabhängigkeit für den Nachwuchs in kaum erkennbaren, kleinen Schritten. Nach und nach versiegt die Muttermilch, und der Jungspund wird erst sanft, dann immer deutlicher von der Mutter abgewiesen. So lernt das Jungtier ganz langsam, selbstständig feste Nahrung aufzunehmen. Gleichzeitig knüpft es neue Sozialkontakte mit Gleichaltrigen und lernt im spielerischen Kampf, seinen eigenen Platz in der Herde zu finden und sich aus dem Schutz der erwachsenen Pferde zu lösen.

Zahlreiche Stressquellen

Heute ist es in der Pferdezucht verbreitete Praxis, die Saugfohlen im Alter von rund sechs Monaten vom Muttertier zu trennen. Für das Fohlen ist dieser neue Lebensabschnitt eine enorme Belastung. Die abrupte Trennung von der Mutter bedeutet, dass die gewohnte Nahrungsgrundlage wegfällt, der Schutz der vertrauten Herde, insbesondere der Mutter, nicht mehr da ist, und nicht zuletzt ist diese Trennung meist mit einem Transport verbunden, einem Umzug in eine unbekannte Umgebung mit fremden Artgenossen. Die Pferdekinder werden in Rangkämpfe verwickelt und müssen sich beim Fressen und Trinken zum Teil erst mal hinten anstellen.

Die Fohlen zeigen ihren Stress durch lautes Wiehern und vermehrtes Umherlaufen.

Wie gross die Belastung für das Jungtier ist, kann anhand von Messungen des Stresshormons Cortisol im Speichel festgestellt werden. Hohe Cortisolwerte beeinträchtigen das Immunsystem, d. h., sie erhöhen die Infektionsanfälligkeit und beeinträchtigen das Knochenwachstum. Ausserdem haben Verhaltensstudien gezeigt, dass Stereotypen wie Koppen und Weben auch durch einschneidende Stresssituationen wie das abrupte Absetzen von der Mutterstute ausgelöst werden können.

Magengeschwüre bei Fohlen

Eindrückliche Zahlen, wie einschneidend das Absetzen für die Fohlen ist, liefert eine Doktorarbeit der Universität Hannover (Dahlkamp, 2009). Sie belegt, dass vor dem Absetzen bei 48 Prozent der Fohlen Magenschleimhautläsionen vorliegen; 14 Tage nach dem Absetzen weisen nicht weniger als 95 Prozent der Absetzer krankhafte Veränderungen der Magenschleimhaut auf. Im Rahmen dieser Studie konnte durch die präventive und begleitende Behandlung mit Magenpräparaten die Bildung neuer Läsionen im Entwöhnungs- und Trennungsprozess zwar deutlich reduziert, jedoch nicht gänzlich verhindert werden.

Kurz und schmerzlos?

Eine tschechische Studie (Dubcová et al., 2015) hat zwei Arten des abrupten Absetzens miteinander verglichen. Sie kommt zum Schluss, dass die Stressbelastung und der Wachstumseinbruch nach der abrupten Trennung von der Mutter bei einer Umsiedlung in eine fremde Umgebung geringer sind als bei einem anschliessenden Verbleib in der vertrauten Umgebung. Im letzteren Fall ist der Stress nach der abrupten Trennung kurzfristig zwar geringer, hält jedoch länger an, und die Wachstumsdifferenzen zu Ungunsten der abrupten Trennung mit Verbleib in der vertrauten Umgebung sind noch Monate später erkennbar.

Sanftere Wege des Absetzens

Angesichts der grossen körperlichen und psychischen Belastung, die das Entwöhnen für das Jungtier erwiesenermassen darstellt, wird das verbreitete abrupte Vorgehen zusehends hinterfragt. Auch wenn ein naturnahes Entwöhnungsverfahren unter den üblichen Haltungsbedingungen kaum machbar ist, gibt es sanftere Wege des Absetzens. So konnte eine französische Studie (Henry et al., 2012) zeigen, dass die Stressreaktion der Fohlen deutlich geringer ist, wenn vertraute erwachsene Pferde nach dem Entfernen der Muttertiere in der Fohlengruppe verbleiben. Zwar wiesen auch diese Fohlen geringfügig erhöhte Cortisolwerte und einen leichten Gewichtsverlust auf, doch konnten diese Ungleichgewichte rasch kompensiert werden.

Auf jeden Fall ist das erzwungene Absetzen ein einschneidendes Erlebnis, das nicht unterschätzt werden darf und ein Pferd ein Leben lang prägen kann. Es muss sorgfältig vorbereitet und der richtige Zeitpunkt wohl überlegt gewählt werden. Eine Anhäufung von weiteren Mehrbelastungen wie Futterumstellungen, Transporten, Impfungen oder Entwurmungen zum Zeitpunkt des Absetzens ist zu vermeiden. Dies erfordert ein umsichtiges und vorausschauendes Management, um den Fohlen einen gesunden und vertrauensvollen Start in das Erwachsenenleben zu ermöglichen.

Cornelia Heimgartner

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