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Dossier: Pferdewissenschaften

Gebisse und Nasenriemen: Arbeitsgruppe des SVPS lernt von internationalen Fachleuten

14 November 2018 10:00

Die Pferdeklinik des Tierspitals Bern bot den idealen Rahmen für den Themennachmittag «Zäumungen - Funktionen und Auswirkungen des Nasenbands sowie von Gebissen». Es referierten der deutsche Gebissexperte Martin Plewa und die dänische FEI-Tierärztin Mette Uldahl. Sie lieferten überraschende Erkenntnisse, die so manche althergebrachte Überzeugung ins Wanken brachte.

Die Arbeitsgruppe «Zäumungen und Gebisse» des SVPS ist stets daran interessiert, ihren Horizont zu erweitern, damit neue wissenschaftliche Erkenntnisse den Weg zu pferdefreundlichen Regelungen weisen können. Tierschutz und Ethik spielen im Pferdesport eine immer wichtigere Rolle. So erstaunt es nicht, dass der Hörsaal des Tierspitals Bern aus allen Nähten platzt und nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Regionalverbände, sondern auch Studierende der Veterinärmedizin und Tierärzte der Pferdeklinik das Expertentreffen gespannt verfolgen.

Kein Platz im Pferdemaul

Der deutsche Pferdewirtschaftsmeister und Gebissexperte Martin Plewa stellt gleich zu Beginn seines Referats ein paar verbreitete Missverständnisse im Zusammenhang mit Gebissen klar. Er bringt auf den Punkt, was jedem Reiter klar sein sollte und doch nicht selbstverständlich ist:

Das Gebiss ist weder zum Festhalten noch zum Durchparieren da!

Dass dicke Gebisse für das Pferd angenehmer und milder seien, enthüllt er als Irrmeinung, denn im Pferdemaul ist grundsätzlich kein Platz für Gebisse. Das bedeutet: Je dicker die Trense, desto grösser der Druck auf die Zunge - sogar schon bei geringem Zügelzug. Um diesem Druck auszuweichen, schiebt das Pferd die Zunge nach vorn, streckt sie im Extremfall sogar aus dem Maul heraus - «eine Beobachtung, die auch Richter nicht als Fehlverhalten des Pferdes deuten sollen, sondern als Zeichen des Unwohlseins», wie Plewa betont.

Anhand von Röntgenaufnahmen und Berechnungen erläutert der Reitmeister schliesslich eindrücklich, dass gerade die doppelt gebrochenen Gebisse, die einen pferdefreundlichen Ruf geniessen, im Pferdemaul eher mehr Druck auf Zunge und Unterkiefer ausüben als einfach gebrochene Gebisse.

Unabhängig davon, welches Gebiss man verwendet, hat jedoch der Reiter selbst den grössten Einfluss darauf, wie zufrieden ein Pferd mit seinem Gebiss ist: «Das Pferd fühlt sich besonders wohl bei guter Reiterhand», so Plewa.

Für Martin Plewa steht fest: Die Reiterhand entscheidet, wie scharf ein Gebiss wirkt. Foto: Cornelia Heimgartner Für Martin Plewa steht fest: Die Reiterhand entscheidet, wie scharf ein Gebiss wirkt. Foto: Cornelia Heimgartner

Kraftverstärkung für sensible Hände

Martin Plewa hat sich insbesondere intensiv mit der Wirkungsweise von Kandaren beschäftigt und stellt mit Bedauern fest: «Bis in die 1970er-Jahre sah man kaum Bilder mit vorherrschender Kandare, das Genick war grundsätzlich der höchste Punkt. Heute haben wir uns an Bilder von falschem Kandareneinsatz gewöhnt und hinterfragen ihn nicht mehr.» Auf den irreführenden Sprachgebrauch der «Baby-Kandare» geht er kritisch ein und erklärt gestützt auf physikalische Skizzen, dass diese Gebisse mit kürzerem Unterbaum keineswegs «Kinderspielzeuge» sind, sondern deutlich direkter und somit schärfer wirken als herkömmliche Kandaren mit längerem Unterbaum.

Den Begriff der Zungenfreiheit - die gerundete oder eckige Aussparung in der Mitte der Kandarenstange - erläutert Plewa eingehend und deckt auf, dass eine grössere Freiheit in diesem Fall keineswegs mehr Pferdewohl bedeutet: Je ausgeprägter diese Wölbung ausfällt, desto direkter wird der Druck des Zügelzugs auf den Unterkiefer übertragen. Auch das «Wettrüsten» im Pferdemaul, um mehr Kontrolle über das Pferd zu gewinnen, missbilligt der ehemalige deutsche Bundestrainer der Vielseitigkeit vehement: «Ein scharfes Gebiss muss immer zu einer feineren Hilfe führen, sonst ist es abzulehnen.»

Immer mehr Gebisse dienen dazu, Ausbildungsmängel zu kaschieren, und sind bisweilen sogar tierschutzrelevant.

Dies gilt für ihn im Ponysport genauso wie für Profireiter. «Gerade bei den Ponys», so betont er, «sind Gebisse mit Hebelwirkung sehr kritisch zu betrachten und dürfen die sorgfältige Ausbildung von Kindern und Ponys nicht ersetzen.»

Aufruf zum Umdenken

Die Erfindungsgabe der Gebisshersteller scheint fast grenzenlos. Dies sei für die Reglementierung eine grosse Herausforderung, erklärt Plewa, und warnt auch hier: «Immer mehr Gebisse dienen dazu, Ausbildungsmängel zu kaschieren, und sind bisweilen sogar tierschutzrelevant.» Deshalb solle man deren Wirkungsweise sehr genau analysieren, bevor man sie am Pferd benutzt.

Gerade im Zusammenhang mit der Maultätigkeit des Pferdes ruft Plewa als weltweit gefragter Ausbilder von Reitern und Funktionären zu einem Umdenken auf. Es müsse wieder vermehrt Wert auf eine solide Grundausbildung von Pferden und Reitern gelegt werden, um Fehleinwirkungen über das Gebiss zu vermeiden. Er plädiert dafür, dass ein locker verschnallter Nasenriemen Sinn ergibt, um das Öffnen des Maules zu begrenzen und damit den Zügeldruck auf die Nase zu übertragen. Er fügt jedoch an: «Ist das Pferd durchlässig und kaut zufrieden, kann man das Nasenband auch weglassen.» Er gibt zu bedenken, dass der Missbrauch des Gebisses im Grunde ein Missbrauch der Reiterhand ist. Dies gilt es bei der Bewertung von Ritten zu berücksichtigen.

Ist das Pferd durchlässig und kaut zufrieden, kann man das Nasenband auch weglassen.

Martin Plewa beantwortet fachlich fundiert auch Fragen aus dem Publikum. Foto: Cornelia Heimgartner Martin Plewa beantwortet fachlich fundiert auch Fragen aus dem Publikum. Foto: Cornelia Heimgartner

Vorreiter Dänemark

Als ideale Ergänzung zu den Ausführungen von Martin Plewa erläutert anschliessend die veterinärmedizinische Beraterin des dänischen Pferdesportverbandes Mette Uldahl die Ergebnisse einer breit angelegten Studie, die in Dänemark die Verletzungen im Zusammenhang mit Gebissen, Nasenriemen, Sporen und Gerten bei Turnierpferden untersuchte. Diese Studie soll wissenschaftliche Daten liefern, die Reitsportverbände als Grundlage für Reglementierungsentscheidungen heranziehen können. Die Resultate der Studie gaben in Dänemark Anlass zur Einführung der für alle Disziplinen geltenden Vorschrift, dass zwischen Nasenrücken und Nasenriemen mindestens 1,5 cm Platz sein muss - damit nimmt das nordeuropäische Land eine Vorreiterrolle ein bei der Regelung dieses immer wieder kontrovers diskutierten Themas.

Mette Uldahl, die Leiterin der dänischen Studie über Maulverletzungen bei Turnierpferden. Foto: Cornelia Heimgartner Mette Uldahl, die Leiterin der dänischen Studie über Maulverletzungen bei Turnierpferden. Foto: Cornelia Heimgartner

Viele Verletzungen im Pferdemaul

Über 3000 Pferd-Reiter-Paare der Disziplinen Dressur, Springen, Concours Complet und Distanzreiten wurden an verschiedenen Turnieren im Anschluss an ihre Ritte nach einem vorgegebenen Protokoll kontrolliert und erfasst. Erhoben wurden nebst der Disziplin und der Leistungsklasse Aspekte wie der Trensentyp, das Reithalftermodell und die Enge der Verschnallung sowie das Vorhandensein von Verletzungen und Vernarbungen auf der Innen- und Aussenseite der Lippen und Maulwinkel.

Bei mehr als 9% aller untersuchten Pferde wurden Verletzungen im Maul festgestellt.

Bei mehr als 9% aller untersuchten Pferde wurden Verletzungen im Maul festgestellt - eine hohe Zahl. Während sich bezüglich Gebisstyp und Reithalftermodell kein Muster abzeichnete, das Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Maulverletzungen gibt, zeichnete sich eine deutliche Abhängigkeit ab zwischen der Enge der Verschnallung des oberen Nasenriemens und dem Vorkommen von Maulverletzungen: Waren zwischen Nasenrücken und Nasenriemen weniger als 2 cm Platz, wurde bei knapp 11% der Pferde Maulverletzungen festgestellt.

In der Gruppe der Pferde mit sehr locker verschnalltem Nasenriemen (>3 cm Platz zwischen Nasenrücken und Nasenriemen), gab es nur bei ca. 3,5% der Pferde Maulverletzungen. Wurde ganz auf einen Nasenriemen verzichtet, lag die Verletzungsrate jedoch wieder bei über 13%. Bei den Verletzungen bei Pferden, die ohne Nasenband geritten wurden, handelt es sich jedoch vorwiegend um alte, durch Druck verursachte Verletzungen.

Ausserdem kann dieser Wert nicht direkt mit den anderen Werten verglichen werden, da in Dänemark Dressurprüfungen nicht ohne Nasenband geritten werden dürfen. Wie Martin Plewa sieht auch Mette Uldahl den korrekt verschnallten Nasenriemen als Entlastung für das Pferd, wenn es versucht, sich einem zu starken Zügelzug durch Öffnen des Mauls zu entziehen. Somit setze das Reiten ohne Nasenband viel reiterliches Können voraus, sei dann aber nicht negativ.

Jeweils zwei speziell instruierte Funktionäre erfassten auf dänischen Turnierplätzen systematisch die Verletzungen am Pferd anhand einer eigens entwickelten Software. Foto: Mette Uldahl Jeweils zwei speziell instruierte Funktionäre erfassten auf dänischen Turnierplätzen systematisch die Verletzungen am Pferd anhand einer eigens entwickelten Software. Foto: Mette Uldahl

Dressurponys am stärksten betroffen

Bei der Aufschlüsselung nach Disziplin, unterteilt in Ponys und Grosspferde, hat sich gezeigt, dass der Anteil der Maulverletzungen bei den Dressurponys am grössten ist (16,43%), gefolgt von den Distanzponys (11,76%) und den Dressurpferden (11,22%). Auch die Leistungsstufe scheint das Vorhandensein von Maulverletzungen zu beeinflussen: Entgegen den Erwartungen stellte das Forscherteam fest, dass in höheren Leistungsklassen mehr Maulverletzungen auftraten als in tieferen - dies im Gegenteil zu den Beobachtungen bei den Sporenverletzungen im Rahmen derselben Studie, die mit steigender Leistungsklasse abnahmen.

Maulverletzungen wie diese wurden im Rahmen der dänischen Studie bei Turnierpferden erstmals systematisch erfasst. Foto: Mette Uldahl Maulverletzungen wie diese wurden im Rahmen der dänischen Studie bei Turnierpferden erstmals systematisch erfasst. Foto: Mette Uldahl

Schwierige Umsetzung der Reglementsänderung

Mit der Einführung der neuen Nasenbandvorschrift will der dänische Verband das Wohlbefinden der Pferde im Reitsport verbessern, wobei die geforderten 1,5 cm Platz, wie Uldahl eingesteht, ein zögerlicher erster Schritt sind. Dies habe damit zu tun, dass das Vorgehen bei den Amateurreitern im In- und Ausland zwar mehrheitlich auf grosse Zustimmung stiess, bei den Profireitern in den Spitzenklassen jedoch Proteste auslöste. Es sei ein langer politischer Prozess gewesen, diese Kompromisslösung durchzubringen, in der Hoffnung, allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Lockerung des Nasenbandes fordern zu können.

Auf den Abreiteplätzen sind schon deutliche Verbesserungen sichtbar; die Ponys und Pferde gehen sichtbar losgelassener.

Auch die Stewards, die die Nasenriemen auf dem Turnierplatz überprüfen müssen, reagierten verunsichert, da sie die ablehnende Haltung der Profireiter fürchteten. Dennoch fällt die Bilanz nach der ersten Turniersaison weitgehend positiv aus: «Auf den Abreiteplätzen sind schon deutliche Verbesserungen sichtbar; die Ponys und Pferde gehen sichtbar losgelassener», so Uldahl. Fehlbare Reiter werden zunächst verwarnt und in einem elektronischen System erfasst. Bei wiederholter Zuwiderhandlung werden sie mit Sanktionen belegt.

Vertreter des SVPS und der Regionalverbänden sowie Tierärzte und Veterinärstudenten füllen den Hörsaal des Tierspitals Bern. Foto: Cornelia Heimgartner Vertreter des SVPS und der Regionalverbänden sowie Tierärzte und Veterinärstudenten füllen den Hörsaal des Tierspitals Bern. Foto: Cornelia Heimgartner

Ausbildung notwendig

Diese jüngsten Entwicklungen sind ermutigend. Dennoch sieht Uldahl weiteren Ausbildungsbedarf bei den Stewards, aber auch bei den Richtern und Trainern:

Wir müssen unsere Vorbilder überdenken und wieder lernen, dass ein natürliches Kauen ein gutes Zeichen ist.

Wir müssen unterscheiden können, zwischen einer positiver Maultätigkeit und einer negativen Reaktion des Pferdemauls.» Auch bei der Interpretation der Daten gibt es noch Unsicherheiten; weitere Studien müssen hier klarere Antworten liefern. Trotzdem sollte die dänische Studie als wichtiger Wegweiser dienen für künftige Reglementsänderungen zugunsten des Pferdewohls.

Cornelia Heimgartner

Warum eine Arbeitsgruppe «Zäumungen und Gebisse»?

Bei der Erarbeitung der ethischen Grundsätze für den Pferdesport vertrat der Vorstand des SVPS die Auffassung, dass dem Thema der Zäumungen und Gebisse die nötige Beachtung geschenkt werden muss. Deshalb wurde eine Arbeitsgruppe (AG) mit Vertreterinnen und Vertretern aus den verschiedenen Disziplinen und Kommissionen eingesetzt, mit dem Auftrag, dem Vorstand bis Ende Jahr Vorschläge zu unterbreiten, wie der Verband mit dieses Thema umgehen soll.

An den bisherigen Sitzungen wurden der Istzustand etabliert, die Handhabung der Thematik anderer nationaler Pferdeportverbände analysiert und entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse eingeholt.

Jetzt geht es darum, einen Antrag zuhanden des Vorstands zu erarbeiten, wie wir in der Schweiz mit diesem Thema umgehen. Braucht es (neue) Vorschriften, Weisungen und Reglemente?

Gut ausgebildete Reiter und Fahrer sind sich bewusst, dass ihre Athleten - die Pferde - nur gute Leistungen erbringen können, wenn die Losgelassenheit stimmt und die Pferde sich wohl fühlen. Tatsache ist jedoch auch, dass gute Reiter, unabhängig von der Zäumung, ihre Pferde weniger beeinträchtigen als Reiter mit unruhigen und störenden Händen! Damit ist klar, dass der Ausbildung in dieser Frage eine sehr grosse Bedeutung zukommt. Die irrige Meinung, dass mit ausgeklügelten Hilfsmitteln der oft beschwerliche und lange Ausbildungsweg bei Pferden und Reitern verkürzt werden könne, führt nicht zum Ziel!

Ohne Weisungen und Regelungen in den verschiedensten Sparten wird es sicher nicht gehen. Dabei sind nicht nur die verschiedenen Disziplinen zu beachten - einige haben schon Vorschriften, andere nicht -, sondern auch die verschiedenen Leistungsstufen. Deshalb können auch nicht einfach die Regelungen der FEI übernommen werden, die die Reglemente und Vorschriften für den internationalen Spitzensport erarbeitet.

Anträge zuhanden des Vorstands zu machen, das ist das eine. Diese dann in Vorschriften und Reglemente einzuarbeiten, ist das andere. Der schwierigste Teil jedoch wird sein, diese in der Praxis umzusetzen

Dieser Einsatz ist wichtig und die vielen Diskussionen müssen zielgerichtet geführt werden - für das Wohl der Pferde und für das gute Image des Pferdesportes.

Peter Christen, Vorsitzender AG Zäumungen und Gebisse

Fachleute unter sich: Mette Uldahl im Gespräch mit Marco Hermann, Präsident Veterinärkommission. Foto: Cornelia Heimgartner Fachleute unter sich: Mette Uldahl im Gespräch mit Marco Hermann, Präsident Veterinärkommission. Foto: Cornelia Heimgartner

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