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Gesundheit und Reiten: Schwerpunkt Rückenbeschwerden

14 Mai 2019 10:00

Mit Beginn der Turniersaison werden auch die Trainings der Reiterinnen und Reiter intensiver. Ob Amateur oder Profi, ihre Rücken sind dauernd starken Belastungen ausgesetzt. Wie erkennt man die ersten Warnsignale, bevor es zu Schmerzen kommt, und wie kann man sich Gutes tun?

Über 80% der Reiterinnen und Reiter geben an, unter wiederkehrenden Rückenschmerzen zu leiden. Über 80% der Reiterinnen und Reiter geben an, unter wiederkehrenden Rückenschmerzen zu leiden. Foto: E. Loria

Biomechanik des Reiters

Oftmals lassen sich im Rücken des Reiters dieselben Asymmetrien feststellen wie bei seinem Pferd, auch wenn der Reiter stets bemüht ist, dem Pferd das Leben möglichst angenehm zu machen. Doch Reiten ist ein anspruchsvoller Sport, wenn es darum geht, das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsbereitschaft des Pferdes aufrechtzuerhalten. Es liegt in der Verantwortung des Reiters, seine körperliche Fitness immer im Auge zu behalten.

Nackenschmerzen, Schulterverletzung, Wirbelsäulenverkrümmung, Ischiasreizung oder zu straffer Lendenmuskel (Psoas) - der Körper des Reiters wird auf dem Pferd bei jeder Bewegung stark beansprucht. Die genannten Beschwerden trifft man leider immer häufiger an, unabhängig von Alter und Niveau.

Die Haltung des Reiters variiert zudem je nach Disziplin, und oft wird mit unterschiedlich langen Steigbügeln geritten. Solche kleinen Fehler haben grosse Auswirkungen auf das Gleichgewicht und die Haltung des Reiters, was im Pferderücken wiederum zu Ungleichgewichten mit schwerwiegenden Konsequenzen führen kann.

Der Rücken, unser Körperstamm

Er verleiht uns Stabilität und Mobilität. Er dient als Achse der Kraftübertragung bei jeder unserer Bewegungen. Dennoch genügt eine Verletzung oder eine Normabweichung und schon treten verschiedene Beschwerden auf, sodass diese knöcherne Säule ins Wanken gerät. Für die Beweglichkeit spielen der Grosse Rückenmuskel und die Zwischenrippenmuskeln eine entscheidende Rolle - genauso wie der Trapezmuskel, der wohl am stärksten beanspruchte Muskel beim Reiten.

In einer Studie der Rheumaliga Schweiz aus dem Jahr 2017 gaben 48,6% der Frauen in der Schweiz an, unter Rückenschmerzen zu leiden. Am häufigsten wurden mit 81% Schmerzen im Lendenbereich genannt, gefolgt vom Nacken mit 75%, den Schultern mit 57% und dem mittleren Rücken mit 47% (Mehrfachnennungen möglich).

Eine epidemiologische Studie, die das Institut français du cheval et de l’équitation bei 258 Berufsreitern durchgeführt hat, untersuchte die Häufigkeit von Schmerzen im Lendenbereich, im mittleren Rücken und im Nacken sowie die entsprechenden Risikofaktoren. Berufsreiter sind hier ganz besonders exponiert, da sie häufig junge Pferde reiten, deren unvorhersehbaren Reaktionen zu wiederholten Stürzen führen. Hinsichtlich der Disziplinen sind sicher die Springreiter am stärksten betroffen: Verweigerungen vor dem Hindernis sind für den Reiterrücken eine enorme Belastung.

Ein schiefer Sitz kann Ursache oder Folge von Rückenproblemen bei Reiter und Pferd sein. Ein schiefer Sitz kann Ursache oder Folge von Rückenproblemen bei Reiter und Pferd sein. Foto: S. Mumprecht

Verbreitetste Beschwerden

Kein Mensch und kein Tier ist völlig symmetrisch. Eine Körperseite ist immer stärker als die andere. Diese fehlende Gleichförmigkeit, die die Koordination zwischen Ober- und Unterkörper bestimmt, und die mangelnde Balance und Symmetrie zwischen der rechten und der linken Seite kann zu körperlich wahrnehmbaren Verformungen führen. Sie sind bei jedem Reiter individuell und von seiner Lebensgeschichte, seinen Verletzungen, seinen allfälligen Stürzen oder Unfällen aufgrund von punktuellen oder wiederholten körperlichen Betätigungen beeinflusst.

Es gibt zwei Arten von Asymmetrien: strukturelle und kompensatorische. Im ersten Fall führt die Asymmetrie zu einer diagonalen Kompensation der Muskeln, um den Körperbau wieder auszugleichen. Im zweiten Fall kann die Asymmetrie auch von einem externen Faktor ausgehen (schlecht sitzende Schuhe, ein Portemonnaie in der hinteren Hosentasche, ein einseitig stärker gepolsterter Sattel usw.), was den Körper dauerhaft oder kurzfristig aus dem Gleichgewicht bringt.

Nicht selten zeigt sich beim Pferd eine Fehlbemuskelung, um eine Asymmetrie des Reiters auszugleichen. Im Idealfall geht der Reiter mit der Unterstützung von Gesundheitsfachleuten der Ursache seiner Asymmetrien auf den Grund, um rasch die Symptome und zwingend auch die Wurzel des Problems zu beseitigen.

Ausgleichssport

Die Haltungsmuskeln, namentlich der Psoas und die paravertebrale Muskulatur, sind für den Reiter von enormer Bedeutung. Ist der Reiter nicht in der Lage, den Bewegungen seines Pferdes in jeder Gangart zu folgen, verspannen sich seine Muskeln und es kommt zu Muskelkrämpfen, Muskelkater oder Muskelfaserrissen. Leidet ein Berufsreiter unter anhaltendem Muskelkater, ist dies ein Alarmzeichen einer Überlastung.

Jeder Reiter muss die Anatomie, die Körperfunktionen und die Bewegungsabläufe seines eigenen Körpers und diejenigen des Körpers seines Pferdes kennen. Es kann sich auszahlen, sich zwischen zwei Turnierstarts Pausen zu gönnen, um eine alternative Sportart auszuüben. Schwimmen stärkt die tiefen Rückenmuskeln und entlastet die Gelenke, Fahrradfahren trainiert die unteren Gliedmassen und die Koordination. Diese Sportarten aktivieren die Körperwahrnehmung (Propriozeption) und kräftigen die Haltungsmuskeln des Reiters.

Die Abfolge der Yogaübung «Sonnengruss» eignet sich hervorragend, um rasch beweglicher und elastischer zu werden. Die Abfolge der Yogaübung «Sonnengruss» eignet sich hervorragend, um rasch beweglicher und elastischer zu werden. Foto: E. Loria

Aufwärmen vor dem Reiten

Um deutliche und rasche Fortschritte zu erzielen, braucht es eine bessere Synergie zwischen dem Bewegungsverhalten des Pferdes und dem seines Reiters. Anhand von Beweglichkeitstest lässt sich gut nachvollziehen, welche Fortschritte man bei der Beweglichkeit und dem Bewegungsradius gemacht hat.

Zur Behandlung oder Prävention von Rückenbeschwerden steht jedoch nicht das Stretchingprogramm an erster Stelle, sondern Übungen zur Mobilisierung und zur Muskelkräftigung. Bei Schmerzen im unteren Rücken können gewisse Yogaübungen hilfreich sein. Insbesondere die Sonnengruss-Abfolge hat sich als sehr effizient erwiesen, um schrittweise die Muskeln im ganzen Körper zu dehnen, vom Rücken bis in die Beine, begleitet von einer tiefen und langsamen Atmung.

Das Ziel jeder Reiterin und jedes Reiters muss sein, stets nach Balance zu streben, um im Sattel mit dem Pferd zu verschmelzen.

Marie Debombourg,
Massagetherapeutin für Pferde und
Fachfrau für Posturologie

Studie zur Rückengesundheit von Reiter und Pferd
Die Abteilung für Sportmedizin der Pferdeklinik des Tierspitals Zürich führte 2017 eine Übersichtsstudie über die Rückengesundheit der Schweizer Pferdepopulation durch, die auch vom Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) unterstützt wurde. Das Ziel der Studie war die Ausarbeitung von objektiven Kriterien zur Prävention von reiter- und ausrüstungsinduzierten
Rückenproblemen. Dafür wurden insgesamt 240 Pferde mit ihren Reitern einer umfassenden Untersuchung unterzogen. Sie beinhaltete die detaillierte tierärztliche Beurteilung des Bewegungsapparates, eine Untersuchung der Sattelpassform (manuell und mittels elektronischer Satteldruckmessung) und eine gründliche physiotherapeutische Abklärung der Reiterfitness. Zudem wurde ein Fragebogen für den Reiter ausgearbeitet, der neben seiner subjektiven
Einschätzung der Situation auch Fragen zu Haltung, Verhalten und Nutzung des Pferdes beinhaltete.
Verschiedene Faktoren wie Nutzung, Haltung, Ausrüstung und Qualität des Beritts beeinflussen die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Pferdes. Die Beschwerden können sich unter anderem in Schäden an knöchernen Strukturen und Beeinträchtigungen von Bändern und Muskeln im Bereich des Rückens äussern. Die Veränderungen führen zu Schmerzen, Entlastungshaltungen
und Kompensationserscheinungen. Hier beginnt ein Teufelskreis: Denn je mehr das Bewegungsmuster von der anatomisch-funktionellen Vorgabe abweicht, desto mehr werden die zugehörigen Strukturen strapaziert.
Pferde haben eine enorme Leidensfähigkeit. Sie kompensieren nicht nur die zu geringe Sensibilität von Reitern und Trainern gegenüber dem Einfluss des täglichen Trainings auf die Rückengesundheit, sondern auch die Auswirkungen einer mangelhaften Sattelpassform.
Die Auswertungen der umfangreichen Datensätze sind noch in vollem Gang. Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Mehrheit der vorgestellten Sättel mindestens ein Passformkriterium nicht erfüllte. Einige der Passformprobleme können zu einer Fehlhaltung des Pferdes unter dem Reiter und somit zum genannten Teufelskreis beitragen. Der Reiter und das Pferd sind in dem
Zusammenspiel jedoch mindestens ebenso relevant: Mittels verschiedener Datensätze konnte gezeigt werden, dass die Bewegungen und die Konformation des Pferdes sowie die Körperhaltung des Reiters Grund für ein asymmetrisches Satteldruckbild sein können. Während das Einknicken des Reiters in einer Hüfte zu vermehrtem Druck auf der gegenüberliegenden Seite der
Satteldruckmessmatte führte, kam es beim Kippen des Oberkörpers zur Seite zu mehr Druck auf der gleichen Seite. Die Reitleistung hängt aber auch mit der physischen Fitness (Ausdauer, Schnelligkeit und Kraft) des Reiters zusammen.
Weitere Einflussfaktoren der Asymmetrie von Reiter und Pferd, aber auch jene der Sattelpassform, sowie Kriterien zur Objektivierung der Reitleistung und die Suche nach Zusammenhängen zwischen klinischen und radiologischen/ultrasonographischen Befunden beim Pferd sind Gegenstand der Auswertungen über den Sommer 2019. Umfangreichere Berichterstattungen folgen in späteren Ausgaben des «Bulletin».
Am Symposium PFERDE im November 2019 sollen die aktuellen Ergebnisse veröffentlicht und in einen praktischen Kontext gestellt werden. Die Veranstaltung richtet sich zum einen als Fachveranstaltung an Gesundheitsberufsleute rund um das Pferd und zum anderen als Publikumsveranstaltung an alle Pferdesporttreibenden.

Informationen und Anmeldung unter:
www.corinnehauser.ch > Symposium Pferde 2019

Team Abteilung für Sportmedizin, Pferdeklinik des Tierspitals Zürich; ZHAW

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