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Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Gibt es für Galopper ein Leben nach der Rennbahn?

16 Januar 2017 08:00

Vollblüter im Allgemeinen und Rennpferde im Speziellen gelten landläufig als schwierig im Charakter und als hypersensibel. Vergleicht man Vollblutpferde mit dem gängigen Warmblut-Sport- und -Freizeitpferd, scheinen diese Annahmen in gewisser Weise bestätigt. Die stoische Ruhe, die viele Warmblüter selbst bei grossem Lärm, dichtem Strassenverkehr oder an Sportveranstaltungen an den Tag legen, erlebt man bei Vollblütern eher selten. Doch wenn man sich intensiver mit Vollblutpferden – seien das nun Englische Vollblüter, Araber, Achal-Tekkiner oder andere – befasst, merkt man schnell, dass diese weder ängstlich noch verrückt oder gar gefährlich sind.

Rain Man mit seiner Besitzerin Priska Eigenmann, die für den Ex-Galopper nur lobende Worte findet. Rain Man mit seiner Besitzerin Priska Eigenmann, die für den Ex-Galopper nur lobende Worte findet.

Vollblüter reagieren meistens sensibler, schneller und intensiver auf Einflüsse jeder Art als ihre Warmblutkollegen. Dies erfordert von den Menschen, die Vollblüter betreuen und reiten, die Bereitschaft, sich ganz auf diesen Pferdetyp einzulassen, selber aufmerksamer zu werden und mehr darauf zu achten, welchen Einflüssen das Pferd ausgesetzt ist. Denn wenn man sich ins Verhalten und auch in die Psyche eines Vollblüters hineinfühlen kann, erspürt man dessen Reaktion auf eine Situation oft schon, bevor sie eintritt, und man kann ent­sprechend entschärfen.

Daher sind ehemalige Rennpferde genauso als Freizeitpferde geeignet wie jede andere Rasse, sofern die zukünftigen Besitzer sich bewusst für einen Vollblüter und dessen Charaktereigenschaften entscheiden. Vollblüter sind sehr aufmerksam, lernfreudig und leistungsbereit. Zudem sind sie enorm menschbezogen und sehr verlässlich und mutig, wenn sie zu ihren Menschen einmal Vertrauen gefasst haben. Wichtig ist, dass sie genügend Auslauf und Beschäftigung haben. Vollblüter werden dann schwierig, wenn sie körperlich und vom Kopf her unterfordert sind und kein Ventil für ihre Energie und ihr Temperament finden.

Englische Vollblüter werden als Rennpferde geboren 
Allerdings ist eine zweite Karriere als Freizeit- oder Sportpferd in einer anderen Dis­zlipin nicht das, was für ein Rennpferd grundsätzlich geplant wird. Galopprennen dienen von jeher der Zuchtauswahl für das Englische Vollblut. Die Züchter ziehen also nicht ein Pferd, das zweijährig eine erste Grundausbildung bekommt, dreijährig eingeritten und dann je nach Veranlagung in der einen oder anderen Sportart ausgebildet und gefördert wird, wie es oft bei Warmblütern der Fall ist.

Englisch-Vollblut-Züchter richten alles darauf aus, Galopper zu ziehen, die zweijährig bereits rennbereit sind und so gute Resultate erzielen, dass sie eine zweite Karriere als Zuchthengst oder -stute bekommen können. Weltweit ist die Dreijährigensaison für Vollblüter bereits eine der wichtigsten ihrer ganzen Karriere, da viele Zuchtauswahlrennen – wie zum Beispiel das Derby jedes Rennsportlandes – nur für dreijährige Hengste und Stuten offen ist. 

Der Zuchtauswahl dienen nur die grössten Rennen von sogenannten Listenrennen über Gruppe-III- und Gruppe-II-Rennen bis hin zu Gruppe I, wo nur die international besten Cracks an den Start gehen. Sind junge Galopper in Flachrennen auf höchster Stufe mehrfach erfolgreich, passiert es nicht selten, dass diese – obwohl kerngesund – bereits am Ende ihrer Dreijährigensaison mit manchmal weniger als zehn Lebensstarts in die Zucht wechseln. Denn auch wenn die Gruppe-I-Rennen in den wichtigsten Rennsportländern wie Frankreich, England oder den USA mit Millionenbeträgen dotiert sind, ist ein Wechsel in die Zucht für die Besten der Besten lukrativer. 

Galoppsport in der Schweiz bescheidener
In der Schweiz haben Pferderennen einen weitgehend anderen Hintergrund. Zwar wünscht sich auch hier jeder Besitzer einen Galopper, der Höchstleistungen erzielt unddie Zuchtauswahlkriterien erfüllt, aber die Bedingungen dafür sind eher schlecht. Die Schweizer Vollblutzucht ist sehr klein, und wir haben hierzulande nur wenige Listen- und gar keine Gruppenrennen. Somit müssen sich die Hengste und Stuten in Rennen im Ausland messen, um das begehrte «Black type» – mindestens ein 1., 2. oder 3. Rang in einem Gruppen- oder in einem Listenrennen – zu erreichen, das es braucht, damit Fohlen dieser Elterntiere für eventuelle Käufer interessant werden. Somit sind die Pferderennen in der Schweiz mehr Sportwettkämpfe, die der Unterhaltung dienen, als Zuchtauswahlrennen.

Trotzdem gibt es in der Schweiz trainierte und gelaufene Galopper, die es schaffen, in der Zucht Fuss zu fassen. Die Kosten für die Vollblutzucht sind aber in der Schweiz sehr hoch, so dass hiesige Besitzer mit Zuchtambitionen ihre Black-type-Stuten oft in einem Gestüt in einem Nachbarland aufstellen. Die wenigen zur Zucht geeigneten Hengste werden meistens ins Ausland verkauft.

Beste Beispiele dafür sind der unvergessene Glavalcour, der in den Farben des Thurgauers Paul Zöllig jahrelang für Furore gesorgt hat und bei 41 Starts 21 Siege und 14 Platzierungen erreicht hat, oder die kampfstarke Soul of Magic, die für ihre Trainerin und Besitzerin Karin Suter-Weber ähnliche Erfolge erzielt hat und sich in Mailand und Baden-Baden auch viermal das begehrte Black type holen konnte.

Glavalcour wurde als Zuchthengst verkauft und deckt heute in Serbien. Einer seiner Nachfahren, der vierjährige Glavalino, hat aber den Weg zurück in die Schweiz gefunden und wird aktuell hierzulande trainiert und eingesetzt. Soul of Magic ist im deutschen Gestüt Berwangerhof, nahe der Schweizer Grenze, aufgestellt und hat ihrer Besitzerin bereits sechs Nachkommen beschert, drei davon – She’s Magic, Soul Princess und Sweet Soul Music – konnten sich bereits in Siegerlisten verewigen.

Glückliches zweites Leben als Freizeitpferd
Neben den wenigen Rennpferden, die in die Zucht wechseln, ist es in der Schweizer Galoppszene üblich, dass die Besitzer – meistens zusammen mit den Trainern – für Pferde, deren Karriere beendet ist, einen Platz als Freizeitpferd suchen, sofern die Tiere unverletzt sind. Einen Lebensplatz hat der ehemalige Galopper Rain Man bei Priska Eigenmann und ihrer Familie in Muolen gefunden. Nach seiner Rennkarriere kam Rain Man in den Weinfelder Stall Erlenhof von Jörg Bornhauser.

Dort bekam er eine erste Grundausbildung als vielseitiges Freizeitpferd und wurde von Priska Eigenmann, die bereits davor 20 Jahre eine Vollblutstute ihr Eigen nannte und sehr zufrieden mit ihr war, entdeckt. Nachdem die beiden nun bereits fünf Jahre zusammen verbracht haben, findet die neue Besitzerin nur lobende Worte für Rain Man. Sie beschreibt ihn als unkompliziertes Pferd, das zum Beispiel auch im Gelände problemlos in der Gruppe galoppiert werden kann, egal ob an der Spitze oder hinter anderen Pferden. Im Sport wird Rain Man nicht eingesetzt, weil Priska Eigenmann keine Ambitionen hat. Sie ist aber überzeugt, dass er problemlos auch für Springprüfungen geschult werden könnte.

«Guter Platz» wird zum Alptraum
Doch nicht alle Exgalopper haben dieses Glück. Die Rennpferdetrainerin und Besitzerin Claudia Schorno hatte im Sommer 2012 für ihren Pool of Knowledge einen vermeintlich guten Platz gefunden und war erleichtert, dass der treue «Pooli» eine zweite Chance bekam. Doch es kam ganz anders. Ein halbes Jahr später geschah es, dass der zuständige Amtstierarzt, dank dem Entgegenkommen der Familie Züger, in deren Gestüt in Galgenen sechs Pferde aus einer Beschlagnahmung im Marchgebiet platzieren konnte. Eine Freundin Zügers, die auch im Galopprennsport verkehrt, sah in einem der Pferde ein typisches Rennpferd. Also wurde der Pferdepass kontaktiert, und es stellte sich heraus, dass es sich um eben diesen Pool of Knowledge handelte, der nur noch ein Schatten seiner selbst war.

Die ehemalige Besitzerin Claudia Schorno wurde informiert und war zuerst einmal heftig geschockt. Für sie war klar, dass sie Pooli wieder zu sich nehmen wollte. Sie setzte sich mit der Familie Züger und dem Amtstierarzt in Verbindung, und kurze Zeit später konnte sie ihn wieder zurückkaufen. Fürs Erste also ein Happyend. Der Schimmel wurde aufgepäppelt, erholte sich gut und wurde wieder zusammen mit den aktiven Rennpferden von Claudia Schorno trainiert. Allerdings erreichte er seine ­frühere gute Gesundheit langfristig nicht mehr. Nach wiederholten gesundheitlichen Problemen musste Pooli ein Jahr später erlöst werden. 

Wo Licht ist, ist auch Schatten
Ein gewisses Problem entsteht oft bei Pferden, die verletzungsbedingt aus dem Galoppsport ausscheiden. Wenn nicht garantiert werden kann, dass die Verletzungen wieder ganz ausheilen und das Pferd eventuell nicht mehr im üblichen Rahmen in der Freizeitreiterei belastet werden kann, ist es schwierig, einen Lebensplatz zu finden. So passiert es auch, dass Besitzer solche Pferde lieber über die Regenbogenbrücke gehen lassen, als das Risiko einzugehen, dass sie hohe Heilungskosten auf sich nehmen und das Pferd danach trotzdem nicht mehr vermitteln können.

Wie bereits im Fall von Pool of Knowledge beschrieben, gibt es auch die Fälle, bei denen ehemalige Galopper in schlechte oder überforderte Hände geraten und irgendwann bei Organisationen wie «Pferde in Not» landen. Gemäss Yardena Malka von «Pferde in Not» bekommt ihr Verein pro Jahr Platzierungsanfragen für rund ein Dutzend ehemalige Rennpferde. 
Allerdings handelt es sich nicht bei allen um Exrennpferde aus der Schweiz. Yardena Malka selber hat zum Beispiel einen Vollblut-Araber privat übernommen, der früher Rennen in Warschau, Polen, gelaufen ist.

Viele Vollblüter, die bei «Pferde in Not» landen, sind schon durch mehrere – oft überforderte – Hände gegangen und sind entsprechend schwierig im Umgang und gelten oft sogar als unreitbar. Yardena Malka betont, dass Galopper, die direkt von der Rennbahn kommen, meistens problemlos umgeschult und danach vermittelt werden können. Bei Pferden, die bereits eine Odyssee hinter sich haben und gesundheitlich oder psychisch angeschlagen, schwierig im Umgang oder unreitbar sind, sei die Chance, noch Lebensplätze zu finden, aber praktisch gleich null.

Trotz diesen genannten Negativbeispielen darf die Chance auf ein gutes zweites Leben nach der Karriere für Schweizer Galopper als hoch eingestuft werden. Viele ehemalige Rennpferde finden Lebensplätze und neue Aufgaben in der Zucht, im Freizeitbereich oder in anderen Sportarten. Dass der Galoppsport in der Schweiz relativ klein ist und jedes Jahr nur vergleichsweise wenige Pferde aus dem Sport ausscheiden, ist also für einmal ein Vorteil. 

Barbara Würmli

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