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Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Leistung und Stresslevel bei Maultieren während eines fünftägigen Gotthardtrecks

18 September 2017 13:20

Im Sommer 2016 haben Freiwillige im Rahmen von «Schweiz aktuell am Gotthard» das Gotthardmassiv auf verschiedenste Arten mehrfach bezwungen - unter anderem mit Maultieren. Während fünf Tagen vom 18. bis am 22. Juli hat eine Gruppe mit drei Maultieren den Weg von Altdorf (UR) nach Giornico (TI) bewältigt. Das sind insgesamt 94,46 Kilometer und 3364 Höhenmeter.

Seit den 1940er-Jahren sind keine Studien mehr zur Leistungsfähigkeit von Maultieren gemacht worden. Diese basierten damals auf der Pulsmessung am Start und am Ziel.

Studentinnen der Agronomie mit Spezialisierung Pferdewissenschaften an der Hochschule für Agrar-, Forst und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) haben die fünftägige Gotthardüberquerung genutzt, um Daten zur Leistungserfassung im Rahmen von Herzfrequenzmessungen, der Atemfrequenz, Körpertemperatur und Cortisol- konzentrationen im Kot zur Bestimmung des Stresslevels zu erheben.

Maultiere und Etappen Gotthardtreck

Die Maultiere Brenda (Stute, 24 Jahre), Pasqua (Stute, 12 Jahre) und Pesche (Wallach, 19 Jahre) standen für den Gotthardtreck zur Verfügung. Sie werden regelmässig für Trekkingtouren eingesetzt und wurden nicht spezifisch für diese Tour trainiert. Der Gotthardtreck war für sie allerdings der erste Treck im Jahr 2016.

Jedes der Maultiere trug während des Trekkings ein Gewicht von 80 kg. Während der letzten beiden Etappen wurde Pesche geritten, das Gewicht der Reiterin betrug 53 kg, weiteres Gepäck kam nicht dazu.

Der fünftägige Gotthardtreck hatte eine totale Länge von 94,46 km, wobei insgesamt 3364 Höhenmeter überwunden wurden. Total wurden 1655 Höhenmeter bergauf und 1709 Höhenmeter bergab zurückgelegt.  

Erhebung der Leistung

Die Beurteilung von Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden eines Tieres kann anhand der Messung von Vital-Parametern (Herz- bzw. Pulsfrequenz, Atemfrequenz und Körpertemperatur) erfolgen. Mithilfe der Herzfrequenzmessung kann bestimmt werden, in welchem Intensitätsbereich die körperliche Anstrengung anzusiedeln ist. Beim Pferd ist bekannt, dass im Ausdauerleistungsbereich mit Herzfrequenzen von bis zu etwa 150/min gearbeitet wird. Dies ist bei Distanzpferden überwiegend der Fall, wenn sie Strecken von bis zu 160 km laufen. Demgegenüber arbeiten Rennpferde in einem viel höheren Leistungsbereich. Bei ihnen kann die Herzfrequenz bis auf 240/min steigen. Natürlich sind solche Höchstleistungen nur über kurze Zeit möglich. Bei Maultieren gab es eine Untersuchung, bei der Pulsfrequenzen vor und nach der Arbeit gemessen wurden. Es handelte sich um eine dem Gotthardtreck vergleichbare Strecke, allerdings mit grösserer Höhendifferenz und höherem Bastgewicht (155 kg versus
80 kg). Die durchschnittlichen Pulsfrequenzen lagen dabei vor dem Start bei
42/min, am Ziel bei 92/min.

Die Erholungsherzfrequenzen der drei Maultiere lagen während der fünf Trek-
kingetappen zwischen 40-72 Schlägen/min. Im Distanzsport, bei dem die Pferde Strecken zwischen 80 und 160 km zurücklegen, dürfen sie bei den Zwischenkontrollen, den sogenannten Vet-Checks erst weiter laufen, wenn die Herzfrequenz unter
65/min gesunken ist. An Tag 1, 4 und 5 lag die Herzfrequenz bei allen drei Maultieren nach max. 10 min unter 65/min. Während der Etappen 2 und 3 lag die Erholungsherzfrequenz bei Pesche viermal über 64/min, bei Pasqua zweimal. Maximal betrug sie
72/min. Während der Etappen 2 und 3 wurden die grössten Steigungen bei Temperaturen über 20 °C zurückgelegt. Bei der Interpretation muss aber auch berücksichtigt werden, dass es einen Unterschied ausmacht, ob die Herzfrequenz 5 oder 10 min nach Anhalten bestimmt wird, was bei diesem Datensatz nicht genau protokolliert werden konnte. Grundsätzlich lagen die Erholungsfrequenzen aber zu keiner Zeit in einem Besorgnis erregenden Bereich.

Die Atemfrequenzen lagen 5-10 min nach dem Anhalten zwischen 12 und 52/min. Die höchste Atemfrequenz wurde am Tag 2 bei Pesche gemessen. An diesem Tag betrug die Aussentemperatur 27 °C, und die Tiere mussten die grösste Steigung zurücklegen. Im Durchschnitt lag die Atemfrequenz bei den drei Maultieren am Tag 1 maximal bei 37/min, an Tag 2 bei 46/min, Tag 3 bei 34/min und an Tag 5 bei 22/min. Zum Vergleich: Bei Pferden kann sich die Atemfrequenz im Wettkampf bis auf 100/min steigern.

Die maximale Körpertemperatur, die 5-10 min nach Belastungsende gemessen wurde, betrug 38,9 °C bei Pesche. Damit waren die drei Maultiere zu keinem Zeitpunkt zu stark erhitzt. Es wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen Körper- und Aussentemperatur gefunden. Bei Belastung steigt die Körpertemperatur alle 3 min um 1 °C, nach 10 min wäre die Körpertemperatur auf einem kritischen Level. Als kritisch wird eine Körpertemperatur über 41 °C angesehen, dann muss das Tier möglichst schnell mit kühlem Wasser und Ventilatoren heruntergekühlt werden. Damit der Körper nicht zu rasch überhitzt, setzen die Mechanismen zur Thermoregulation ein, die beim Pferd/Maultier in erster Linie im Schwitzen und der damit verbundenen Wärmeverdunstung zu suchen sind. Bei hohen Aussentemperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit erhitzt der Körper dennoch schneller als bei tiefen Aussentemperaturen bzw. geringerer Luftfeuchtigkeit.

Das Maultier Pesche wurde auf den Etappen 4 und 5 geritten. Die Herzfrequenz stieg zu keiner Zeit über 150/min, woraus geschlossen werden kann, dass das Maultier Pesche ausschliesslich im Ausdauerleistungsbereich gearbeitet hat. Es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse über die Beanspruchung bei anderen Wegabschnitten oder die Leistung der anderen Maultiere daraus ziehen.

Untersuchungen zum Stresslevel

Stress wird als eine unspezifische Reaktion des Körpers auf äussere Reize (Stressoren) verstanden. Diese Reize können sehr vielfältig sein und positiv oder negativ wahrgenommen werden. Eine körperliche Anstrengung löst physiologischerweise eine «Stressantwort» des Körpers aus, aber auch geistige Erlebnisse führen dazu. Stress ist somit eine lebenswichtige Reaktion für die Anpassungsfähigkeit eines Individuums. Erst langanhaltender Stress kann zu körperlichen oder geistigen Schäden führen. Beim Pferd ist im Rahmen der Entwicklungsgeschichte bekannt, dass die Stressreaktion eine überlebenswichtige Reaktion bei der Flucht darstellte. Eine Trainingsanforderung versetzt den Körper in eine Situation der erhöhten Aufmerksamkeit und Anspannung, was durch einen Anstieg der Hormone Adrenalin und Noradrenalin erreicht wird. Adrenalin ist als «Stresshormon» bekannt - es führt bei der Freisetzung im Blut dazu, dass die Herzfrequenz und der Blutdruck ansteigen, die Bronchien weit gestellt werden und eine schnelle Energiebereitstellung durch Fettabbau gewährleistet ist. Also alles Reaktionen des Körpers, die zur Leistungserbringung notwendig sind. Erst nach der Belastung kommt es zum Cortisolanstieg.

Mithilfe der Analyse von Glucokortikoid-Metaboliten (GCM) im Kot ist es möglich, Aussagen über die Höhe des «Stressniveaus» der letzten 24 Stunden zu treffen, da diese Metaboliten beim Pferd oder auch Maultier mit 24 Stunden Verzögerung ausgeschieden werden.

Abbildung 4 zeigt den GCM-Verlauf im Heimatstall, vor Beginn und während des Trekkings. Die am 18.7. entnommene Probe korrespondiert mit den Ereignissen am Vortag, an dem die Maultiere transportiert wurden. Insbesondere bei Brenda, dem weiblichen und ältesten Maultier, ist eine erhöhte Stressreaktion zu sehen. Allerdings zeigte dieses Maultier auch im Heimatstall einen erhöhten Basalwert. Durch andere Forschergruppen wurde festgestellt, dass weibliche und ältere Tiere grundsätzlich einen höheren Basalwert der GCM haben als männliche und jüngere (Krüger persönliche Mitteilung). Möglicherweise ist der erhöhte Wert im Heimatstall zusätzlich auf die Hitze an jenem Tag (35 °C) und die herabgesetzte Thermoregulation bei älteren Tieren zurückzuführen. Während des Trekkings blieben die Werte in einem Bereich, die bei jeder physischen Arbeit zu erwarten ist. Erst am letzten Tag wurde bei allen drei Maultieren ein Anstieg deutlich, eine Beobachtung, die durch die Kumulation nach mehreren Tagen Anstrengung über insgesamt 95 km erklärbar ist. Zudem ist wiederum zu bedenken, dass sich diese Werte auf Ereignisse des Vortages beziehen, an dem die grössten Höhenunterschiede bewältigt wurden (1148 m), vor allem bergab. Die
Bergab-Bewegung beansprucht andere Muskelgruppen als beim Bergauf-Laufen und kann somit ebenfalls eine Art Stress darstellen. Zudem betrug die durchschnittliche Temperatur an jenem Tag 15 °C weniger als am heissesten Tag. Bei Maultier Pesche kann der deutliche GCM-Anstieg zusätzlich darauf zurückzuführen sein, dass er an dem korrespondierenden Tag geritten wurde. Obwohl die Reiterin leichter war als das auf dem Traggestell transportierte Gepäck, kann das Einwirken der Person als solches als Stressfaktor gewirkt haben.

Schlussfolgerung

Historisch gelten Maultiere als genügsame, trittsichere und ausdauernde Tragtiere im unwegsamen Gelände. Anhand dieser Studie konnten wertvolle Informationen zu Vitalparametern und der Beanspruchung von Maultieren während eines fünftägigen Gotthardtrecks gewonnen werden. Es hat sich gezeigt, dass die drei Maultiere auch ohne vorheriges Training die Strecke problemlos bewältigen konnten.

Wie nach einer mehrtägigen körperlichen Anstrengung zu erwarten ist, stieg der Stresslevel, gemessen an den Glucokortikoid-Metaboliten im Kot, gegen Ende des Trecks bei allen Maultieren an. Hätte die Tour länger gedauert, wäre ggf. ein Erholungstag mit geringerer Aktivität angezeigt gewesen. Die hier gemachten Erfahrungen sind eine wertvolle Grundlage dafür, wie weitere und umfassendere Untersuchungen bei grösseren Populationen angegangen werden können. Für die Zucht und genetische Erfassung von Maultieren, als erstaunlich genügsame Tiere, könnte die Erhebung zeitgemässer Leistungsparameter wertvoll sein.

Originalartikel mit weiterführenden Informationen:

https://www.agrarforschungschweiz.ch/aktuelles_heft_10de.php?id_artikel=2316

Conny Herholz, Marie Pfammatter,
Sina Huwiler

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