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Dossier: Pferdezucht

Mehrteilige Serie zum Thema Erbkrankheiten beim Sportpferd – Teil 5: Probleme des Bewegungsapparates – Was haben Strahlbeinlahmheit und Gelenks-Chips mit der Zucht zu tun?

19 Oktober 2015 08:01

Beim Pferdekauf sowie bei der Auswahl von Zuchttieren ist Vorsicht geboten. Darum ist ­Vorsorgen besser als Nachsehen. Entsprechend wichtig ist die Erforschung solcher Krankheiten. In einer mehrteiligen Serie im «Bulletin» werden einige der häufigeren Krankheiten näher beschrieben, die beim Pferd eine erbliche Komponente haben. Im fünften und letzten Teil dieser Serie geht es um Erkrankungen des Bewegungsapparates, die zum Teil auch genetisch bedingt sein können.

Vor zwei Problemen, die den Bewegungsapparat des Pferdes betreffen und die in ihrem Auftreten zumindest teilweise durch erbliche Faktoren beeinflusst sind, haben Züchter und Reiter gleichsam grossen Respekt: Strahlbeinlahmheit und Osteochondrose. Was steckt hinter diesen beiden Krankheiten? Wir schauen genauer hin.

Strahlbeinlahmheit

Die Erkrankung der Hufrolle, die anatomisch aus dem Strahlbein mit seinen Aufhängebändern, dem über den Knochen hinwegziehenden Anteil der tiefen Beugesehne und dem Hufrollenschleimbeutel gebildet wird, war früher eine sehr häufige Ursache für Lahmheiten beim Pferd. Wir haben den Eindruck, dass die «klassische» Strahlbein­erkrankung heutzutage eher seltener auftritt als früher. Von dieser Erkrankung sind meistens beide Vorderbeine betroffen. Typischerweise zeigen Pferde im «mittleren» Alter, also zwischen 10 und 16 Jahren, erstmals Anzeichen einer Strahlbeinerkrankung.

Symptome
Bei Strahlbeinlahmheit können die betroffenen Pferde neben einer klaren Lahmheit auch folgende verschiedene andere Symptome zeigen:

  • nach vorne abgestellte Gliedmasse
  • Umtreten, Unwohlsein auf den Vorder­beinen
  • klammer Gang
  • verkürzte Vorführphase
  • Zehenfussen, erhöhtes Abnutzen der Zehen
  • Stolpern
  • verkümmerter Strahl, Trachten-Zwanghuf
  • positive Brettprobe
  • Zangenprobe: Schmerzhaftigkeit Mitte Strahl

Was sind die Ursachen der Strahlbein­erkrankung? 
Die genauen Gründe, warum das eine Pferd «strahlbeinerkrankt» und ein anderes scheinbar gleich gebautes und genutztes Pferd zeitlebens keine Probleme der Strahlbeinregion zeigt, sind kaum zu klären. Erkannt wurde aber längst, dass verschiedene Faktoren zur Entstehung der Strahlbeinerkrankung beitragen können, welche teilweise auch erblich veranlagt sind.

Die gängigen Theorien zur Entstehung der Strahlbeinerkrankung stellen entweder schädigende mechanische Einwirkungen wie übermässige Druck- und Zugkräfte oder aber vaskuläre Schädigungen, also eine gestörte Blutversorgung dieser Region, in den Vordergrund. Sicher treten bei dieser degenerativen Erkrankung früher oder später Schäden im Bereich der kleinen Blutgefässe auf, welche die Strahlbeinregion mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Somit schliesst die eine Theorie die andere sicher nicht aus.

Auffallend häufig beobachtet man bei Pferden mit Strahlbeinproblemen einen Körperbau – insbesondere der Fesselregion und der Hufe –, der zu einer einseitigen, mechanischen Überbelastung der Strahlbeinregion beiträgt. Typischerweise werden hier Hufe mit langen Zehen und untergeschobenen, schwach entwickelten Trachten oder Zehen mit einer gebrochenen Achse beobachtet.

Neben diesen sogenannten Konformations-eigenschaften kann eine mechanische Überbelastung der Strahlbeinregion natürlich auch durch vernachlässigte Hufkorrektur und Beschlag sowie durch repetitive und einseitige Beanspruchung wie zum Beispiel schnelle Wendungen und abruptes Stoppen auf hartem Untergrund die Entstehung einer Strahlbeinerkrankung begünstigen.

Behandlung
Da es sich um eine degenerative Erkrankung handelt, bei welcher die betroffenen Gewebe zunehmend und praktisch unaufhaltsam ihre normale Struktur verlieren, ist der Krankheitsverlauf in aller Regel progressiv. Das heisst, dass man die krankhaften Prozesse nicht komplett unterbinden kann und lediglich durch ein optimales Management so gut wie möglich entschleunigt und versucht, die Schmerzen im Fersenbereich effektiv zu lindern. Dazu tragen in erster Linie Massnahmen wie kontrollierte Bewegung, Anpassungen des Hufbeschlags sowie der gezielte Einsatz von Medikamenten bei.

Wie so häufig bei degenerativen, orthopädischen Erkrankungen ist tägliche, regelmäs­sige und wohl dosierte Bewegung empfehlenswert. Hufbeschlagstechnisch muss alles darauf hinzielen, die Fersenregion beim «Abstos­sen» der Gliedmasse zu entlasten. Einfache und effektive Mittel, um ein verbessertes «Abrollen» zu erreichen, sind das regelmäs­sige Kürzen der Zehe (kurze Beschlagsintervalle von fünf bis sechs Wochen), eine gute «Zehenrichtung» und gegebenenfalls ein Anheben der Fersenregion mit Keilsohlen oder verdickten Schenkelruten. 

Medikamentös werden in erster Linie Entzündungshemmer verabreicht. Diese können sowohl systemisch – über das Futter und die Blutbahn – als auch durch Injektionen direkt in das Hufgelenk oder den Hufrollen-Schleimbeutel verabreicht werden. Andere Medikamentengruppen, wie beispielsweise die Bi-Phosphonate, prominentester Vertreter ist Tildren®, sollen unter anderem den schmerzverursachenden Druck innerhalb des entzündeten Gewebes reduzieren und den Knochenumbau, der bei der Strahlbeinerkrankung radiologisch beobachtet wird, hemmen.

Als Ultima Ratio bietet sich noch immer ein Nervenschnitt an, der die Schmerzübertragung über mehrere Jahre unterbinden kann. Dieser Eingriff ist jedoch nicht ohne Risiken für den Patienten und bedingt unter anderem das sofortige Ausscheiden aus dem Pferdesport.

Prognose
Die Prognose bei der Diagnose Strahlbeinlahmheit ist eher vorsichtig bis sogar ungünstig. Gerade bei Sportpferden kann in der Regel eine sportliche Leistungskarriere nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt weiterverfolgt werden. Ein konsequentes Management der betroffenen Pferde, welches eine Kombination aller oben genannter Massnahmen (kontrollierte Bewegung, Hufbeschlagsanpassungen und gezielter Einsatz von Medikamenten) beinhaltet, kann jedoch eine uneingeschränkte Nutzung betroffener Pferde über Jahre hinweg ermöglichen.

Prophylaxe
Damit es erst gar nicht so weit kommt, sollte darauf geachtet werden, Pferde regelmäs­sig zu bewegen und vielseitig einzusetzen. Ausserdem tragen die regelmässige und fachmännische Hufpflege und ein optimaler Hufbeschlag massgeblich dazu bei, die mechanische Belastung der Strahlbeinregion zu mindern. Da aber auch immer eine erbliche Komponente mitspielen kann, ist es von Vorteil, wenn Pferde mit Strahlbeinlahmheit nicht in der Zucht eingesetzt werden.

Züchterische Bedeutung von Strahlbeinlahmheit

In der Schweiz werden Hengste der Warmblut- und Freibergerrasse vor ihrem Zuchteinsatz klinisch und radiologisch kontrolliert. Zeigen sie deutliche Veränderungen am Strahlbein, werden sie von der Zucht ausgeschlossen. Dies gilt für Hengste des ZVCH, von Cheval Suisse sowie des Freiberger Zuchtverbands.

Osteochondrose

Die Osteochondrose (OC) gehört zum Komplex der entwicklungsbedingten Skelett­erkrankungen, wobei die Erscheinungsformen der «Osteochondrose dissecans» (OCD) und der subchondralen Knochenzysten zu der Osteochondrose gezählt werden. Die OC ist vermutlich die wirtschaftlich gesehen wichtigste Skelettveränderung bei wachsenden Pferden und wird relativ häufig diagnostiziert. Bei unbehandelten Fällen kann sie zu degenerativen Gelenksveränderungen (Arthrosen) führen, was eine chronische Lahmheit nach sich ziehen kann.

Die OC wird beim Pferd vor allem in den Gelenken angetroffen und rührt von einer mangelhaften Verknöcherung des Knorpels her. Beim Jungtier kommt es im Verlaufe der Skelettentwicklung zu einer Verknöcherung von gelenksständigen Skelettanteilen, welche zunächst nur in Form einer Knorpel­anlage angelegt sind. Diese Verknöcherung geschieht im Bereich einer sogenannten Verknöcherungsfront, in der die Stoffwechselvorgänge eine enorm gute Blutversorgung benötigen. Bei einem (zu) raschen Wachstum kann die Gefässversorgung dieser Region ungenügend sein und es kommt zu einer ungenügenden Ernährung der Zellen, welche dann absterben.

Die OCD ist eine spezielle Form der OC, bei der sich sogenannte «Dissecate» (daher das «D») von der normalen Kontur der Knorpel­anlage lösen. Diese Dissecate (auch «Chips» genannt), bestehend aus knöchernen und knorpeligen Anteilen, können an ihrem Entstehungsort verharren (die meisten «Chips») oder sich aber ablösen und als «Gelenksmäuse» im Gelenk frei bewegen. In beiden Fällen können diese Chips oder Gelenksmäuse über kurz oder lang zu einer Irritation und damit Entzündung der Gelenke führen, welche wiederum auf die Dauer zu einer degenerativen Erkrankung des betroffenen Gelenkes führt.

Bei den subchondralen Knochenzysten handelt es sich um einen meist rundlichen Knochendefekt in unmittelbarer Nähe des Gelenks, der im Röntgenbild gut zu erkennen ist. Diese Zysten stellen «Aushöhlungen»  der Knochenplatte direkt unterhalb des Gelenkknorpels dar und werden meist von einer feinen, entzündlichen Membran ausgekleidet. Häufige Lokalisationen von OC sind das Sprung-, Knie- und Fesselgelenk, aber auch andere Gelenke können betroffen sein, inkl. der Wirbelsäule.

Symptome
Bei Pferden mit OC kann das betroffene Gelenk angefüllt sein, wobei es eventuell auch lahm geht. Typischerweise fallen diese vermehrt angefüllten Gelenke bei Jungtieren im Alter von 1 bis 3 Jahren erstmals auf.
  
Ursachen
Ähnlich wie die Strahlbeinerkrankung ist auch OC eine multifaktorielle Erkrankung. Das heisst, dass die Entstehung und die Ausprägung von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Neben genetischen, also erblichen Veranlagungen kann zum einen eine inadäquate Fütterung, insbesondere zu viel Energie, bei jungen Pferden ein zu rasches Wachstum und dadurch die Entstehung von OC begünstigen. Zum anderen kann sich eine zu grosse Belastung des Bewegungsapparates von jungen Pferden unvorteilhaft auf die Verknöcherung auswirken, zum Beispiel viel schnelle Bewegung von Fohlen, die mehrzeitlich im Stall gehalten werden und nur sporadisch auf die Weide dürfen. 

Behandlung
In der Regel gibt es je nach Art der Osteochondrose verschiedene Möglichkeiten und es wird zwischen konservativ – ohne Operation – und chirurgisch unterschieden:

OCD

  • Konservativ: Kleinere Fragmente, welche noch mit dem Knochen verbunden sind, können, falls sie keine Lahmheit verursachen, ohne Behandlung belassen werden.
  • Chirurgisch: Ein arthroskopischer Eingriff – Gelenksspiegelung – ist in den meisten Fällen das Mittel der Wahl, um die Dis­secate aus dem Gelenk zu entfernen. 

Knochenzysten

  • Die konservative Behandlung mit gezielter Applikation von steroidalen Entzündungshemmern direkt in die Knochenzyste oder die chirurgische Entfernung der Zyste und anschliessende Füllung mit verschiedenen Füllmaterialien scheinen vergleichbare Erfolgsraten von circa 70 Prozent zu erzielen. 

Prognose
Die Prognose hängt von der Lokalisation – dem betroffenen Gelenk – und dem Zeitpunkt der Behandlung ab: Sie ist tendenziell günstig in Huf-, Fessel- oder Sprunggelenken und weniger günstig in anderen Gelenken wie beispielsweise dem Schultergelenk. Ganz allgemein kann man in der Regel sagen, dass die Heilungschancen bei jungen Tieren besser sind. Bei älteren Tieren und fortgeschrittener Gelenkszerstörung sieht es eher ungünstig aus.

Prophylaxe
Osteochondrose kann man bis zu einem gewissen Mass vorbeugen. Wichtig ist sicher in der Aufzucht, die Fütterung zu optimieren. Das heisst Energieüberschuss vermeiden, eine gleichmässige Wachstumskurve anstreben und die Fohlen und Jungpferde nicht «mästen». Weiter sollte man auf eine optimale Mineralstoffversorgung achten. Das Verhältnis von Calcium zu Phosphor sollte beispielsweise 2:1 sein. In der Aufzuchtphase sollten die Pferde das ganze Jahr über regelmässige, ruhige Bewegung, das heisst täglichen Auslauf von mindestens sechs Stunden, geniessen. Junge Pferde sollten keinesfalls überbeansprucht werden. OC-betroffene Pferde sollten nur mit Bedacht in der Zucht eingesetzt werden.

Nicole Basieux & Dr. med. vet. Christoph Koch (Institut Suisse de Médecine Equine ISME) 

Züchterische Bedeutung von Osteochondrose

Mehrere Untersuchungen bestätigen, dass für OC eine erbliche Prädisposition besteht. Insbesondere sind die Heritabilitäten für die OCD im Sprung- und Kniegelenk relativ hoch, so zum Beispiel im Sprunggelenk gemäss einer deutschen Studie 40 Prozent. Eine andere Untersuchung in Schweden zeigte, dass Hengste mit OCD im Sprunggelenk fast dreimal mehr Fohlen mit OC erzeugen als gesunde Hengste. Im Fesselgelenk wird die Heritabilität generell tiefer eingeschätzt, das heisst, vorwiegend andere Faktoren als genetische führen dort zu einer OCD.

Die spezifischen genetischen Veränderungen konnten bislang noch nicht identifiziert werden. In der Schweiz werden derzeit Hengste mit OCD im Sprunggelenk weder beim ZVCH noch bei Cheval Suisse zur Zucht zugelassen.

Ergänzung von Michel Dahn, Präsident des ZVCH: 
Für die Vorbeugung und Bekämpfung der OC, inklusive OCD und Zysten, müssen beim ZVCH von allen Hengsten Röntgen vorliegen von den Zehen vorne, allen vier Fessel-, den Sprung- und Kniegelenken. Die Veterinärkommission bestehend aus Prof. Emeritus Gottlieb Ueltschi und fünf Tierärzten beurteilt diese auf Basis der aktuellen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Hierbei wird im Rahmen der World Breeding Federation for Sport Horses WBFSH auch mit den Kommissionen der anderen europäischen Verbände zusammengearbeitet. Weiter müssen die Hengstbesitzer eine Erklärung unterschreiben, dass ihr Hengst nicht operiert wurde. Die Zuchtkommission des ZVCH sowie der Vorstand planen, einen «Swiss»-Qualitätsstempel für Hengste zu schaffen: Hengste, die beim ZVCH gekört wurden – mit Röntgen, Laryngoskopie usw. –, würden diese Auszeichnung erhalten – nicht jedoch solche mit Einzeldeckbewilligung.

Ergänzung von Barbara Knutti, Vizepräsidentin von Cheval Suisse: 
Bei der OCD werden nicht nur Hengste mit Veränderungen in den Sprunggelenken, sondern auch solche mit OCD in den Fesselgelenken aus der Zucht ausgeschlossen. Wir basieren unseren Entscheid auf der Röntgenbeurteilung von Prof. Dr. med. vet. Kirchner der Universität Zürich. Aufgrund dieser Beurteilung teilen wir die Hengste in vier Röntgengruppen ein: 

  • I = keine Veränderungen,
  • II = leichtgradige Veränderungen, die mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht vererbbar sind,
  • III = Veränderungen, die evtl. vererbbar sein könnten,
  • IV = Veränderungen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit vererbbar sind.

Die Hengste der Gruppe IV sind kategorisch aus der Zucht ausgeschlossen, die Hengste der Kategorie III können decken, aber die Röntgenkategorie wird publiziert, d. h., der Züchter kann selber entscheiden, ob er das Risiko eingehen will. Die Hengste der Kategorie I und II sind sowieso zur Zucht zugelassen. Ein Hengst mit einer eindeutigen OCD in Sprung- oder Fesselgelenken wird in die Kategorie IV eingeteilt, also von der Zucht ausgeschlossen. 

Serie über Erbkrankheiten

Diese mehrteilige Serie über Erbkrankheiten beim Sportpferd wird in Zusammenarbeit mit dem Institut suisse de médecine équine ISME sowie mit dem Zuchtverband CH Sportpferde ZVCH publiziert. Bereits erschienen:

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