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Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Nutztier oder Heimtier?
Klärungsbedarf bei der Statusfrage

19 Juli 2021 09:00

In weniger als einem Jahrhundert hat sich der Stellenwert des Pferdes in der Schweizer Bevölkerung drastisch verändert. Vom Helfer in der Landwirtschaft und Mobilität hin zum Freizeit- und Sportpartner. Früher eindeutiger ein Nutztier, ist heute fast die Hälfte aller Pferde als Heimtier registriert. Ein Thema, das der Pferdebranche «unter den Hufen brennt» und das auf Transparenz, Koordination und Lösungen angewiesen ist.

Das traditionelle Nutztier Pferd gibt es in der Schweiz kaum noch. (Foto: IMAGO / Future Image) Das traditionelle Nutztier Pferd gibt es in der Schweiz kaum noch. (Foto: IMAGO / Future Image)

Ein majestätisches Tier, stolz und dynamisch, elegant und schön. Das Pferd. Früher noch weitaus logischer als Nutztier bezeichnet, war es ein wichtiger und wesentlicher Teil der landwirtschaftlichen Arbeit sowie der Mobilität. Und sein Fleisch wurde meist der Nahrungsmittelkette zugeführt. Doch die Zeiten ändern sich, die Gesellschaft wandelt sich. Das Pferd, einst starker Helfer auf dem Acker, ist heute viel mehr Freund und Gefährte, Sport- und Freizeitpartner oder allenfalls Physio- und Psychotherapeut. Kein Wunder kam da auch immer häufiger der Wunsch auf, sein Pferd eben nicht als Nutztier zu bezeichnen und zu verwenden, und es am Ende seines Lebens keinesfalls schlachten, geschweige denn essen lassen zu wollen.

Fast die Hälfte sind Heimtiere

Man ahnt es: Das Thema ist ein tiefgründiges und weitläufiges und mitunter auch ein sehr philosophisches. Fakt ist, rund 48% der Equiden sind in der Schweizer Tierverkehrsdatenbank www.agate.ch als Heimtier eingetragen. Dies kann abhängig von der Entwicklung in Agrarpolitik, Raumplanung, Steuerwesen, Veterinärmedizin und Ethik einen Einfluss auf die Pferdebranche der Schweiz haben. Doch was bedeutet das überhaupt?

Um dieser und noch vielen anderen Fragen zum Thema nachzugehen, hat der «Schweizer Rat und Observatorium der Pferdebranche» (COFICHEV) Ende März 2021 ein Symposium mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus der Pferdebranche durchgeführt.

Entwicklung nach Verwendungszweck 2016-2021 (Foto: identitas) Entwicklung nach Verwendungszweck 2016-2021 (Foto: identitas)

Hauptgrund: «Für mich ist mein Pferd ein Heimtier»

Um den Problematiken und Bedürfnissen auf die Spur zu kommen, muss man sich erst einmal die Frage stellen: Warum soll mein Pferd seine Eintragung als Nutztier beibehalten bzw. warum deklariere ich es neu als Heimtier? Und welche Konsequenzen hat dies überhaupt? Eine Umfrage, die im Rahmen einer Semesterarbeit durchgeführt worden ist und an der rund 450 Pferdeeigentümerinnen und -eigentümer teilgenommen haben, ergab folgendes Bild: Fast 65% begründeten den Statuswechsel mit «Für mich ist das Pferd ein Heimtier», 50% wollen nicht, dass ihr Pferd einmal geschlachtet wird - ihnen ist es lieber, es wird an seinem Lebensende eingeschläfert, 35% wollen nicht, dass das Fleisch ihres Pferdes einmal gegessen wird. Rund ein Viertel aller Befragten antwortete, dass sie ihrem Pferd so alle Medikamente verabreichen können, weitere rund 20% gaben an, dass das Pferd beim Kauf bereits als Heimtier eingetragen war, und nochmal 20% begründeten ihren Entscheid damit, dass sie so kein Behandlungsjournal führen müssten. Mehrfachantworten waren bei dieser Umfrage möglich.

In der Schweiz gibt es nur noch ganz wenige Pferdemetzgereien. Pferdefleisch wird hierzulande mehrheitlich aus Drittländern importiert. Foto: IMAGO / Ralph Peters) In der Schweiz gibt es nur noch ganz wenige Pferdemetzgereien. Pferdefleisch wird hierzulande mehrheitlich aus Drittländern importiert. (Foto: IMAGO / Ralph Peters)

Unwissenheit und falsche Vorstellungen

Folgende Faktoren beeinflussen den Entscheid, ob ein Pferd als Nutztier oder als Heimtier deklariert wird, signifikant: Geschlecht und Sprache der eintragenden Person, Rasse des Pferdes: Freiberger werden häufiger als Nutztiere deklariert als andere Rassen, ob die eintragende Person selbst Pferdefleisch konsumiert oder nicht und ob sie Pferdezüchterin oder Pferdeeigentümerin ist. Charles Trolliet, Präsident des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport (SVPS) und Mitglied des COFICHEV-Vorstands, erläutert: «Der Entscheid, ein Pferd vom Nutztier in ein Heimtier umzudeklarieren, ist in vielen Fällen von ungenügenden Kenntnissen und falschen Vorstellungen geprägt.» Der COFICHEV hat dank dem Symposium diverse Problematiken, Handlungsfelder und Bedürfnisse feststellen können:

- Unklare Bezeichnungen
Die Bezeichnungen Nutztier/Heimtier scheinen irreführend zu sein und sollten angepasst werden. Geeigneter wäre, wenn man zwischen der Gruppe unterscheidet, die der menschlichen Nahrungsmittelkette dienen soll, und derjenigen, die nicht für die menschliche Nahrungsmittelkette bestimmt ist. Hier gilt es zu beachten, dass die Begrifflichkeiten betreffend Nahrungsmittelkette (Tierarzneimittelverordnung) von den Begrifflichkeiten in der Landwirtschaft und der in der Tierschutzgesetzgebung klar unterschieden werden. Beispielsweise gilt das Pferd in der Futtermittelgesetzgebung - also im Agrarrecht - immer als Nutztier, da es potenziell der Lebensmittelkette zugeführt werden könnte. Der veterinärrechtliche Status hat hierauf keinerlei Einfluss.

Ausserdem definiert die Tierschutzgesetzgebung Nutztiere als «Tiere von Arten, die direkt oder indirekt zur Produktion von Lebensmitteln oder für eine bestimmte andere Leistung gehalten werden oder dafür vorgesehen sind», und Heimtiere als «Tiere, die aus Interesse am Tier oder als Gefährten im Haushalt gehalten werden oder die für eine solche Verwendung vorgesehen sind». Anhand dieser Begriffsdefinitionen lassen sich Pferde jedoch nicht eindeutig der einen oder anderen Gruppe zuordnen, denn sie werden meistens «für eine bestimmte Leistung gehalten» (Reiten, Fahren usw.), werden auf der anderen Seite aber auch «als Gefährten gehalten» …

- Pferd als Teil der Landwirtschaft
Das Pferd muss seinen angestammten Platz in der Landwirtschaft behalten. Die Pferdehaltung generiert einen wichtigen Teil des Einkommens der landwirtschaftlichen Bevölkerung, unabhängig vom Status des Pferdes in Bezug auf die mögliche Verwendung in der Nahrungsmittelkette.

- Emotionaler Entscheid - klarere Kommunikation
Der Entscheid zur Umdeklarierung eines Pferdes vom Nutztier zum Heimtier wird stark von den Emotionen seines Eigentümers bzw. seiner Eigentümerin beeinflusst. Dabei existieren oft falsche Vorstellungen über die Folgen des Entscheids, oder es herrscht Unkenntnis über die möglichen Alternativen bei der Beibehaltung des Nutztierstatus. Die Kommunikation muss diesbezüglich verbessert werden. Der Eigentümer bzw. die Eigentümerin, die über die Umdeklarierung zum Heimtier bestimmt, ist oft nicht die gleiche Person, die am Ende des Equidenlebens den Entscheid über die Art des Abschieds vom Kameraden Pferd trifft (Schlachtung oder Euthanasie).

- Administration für Nutztiere aufwendig
Es bestehen heute kaum Anreize, ein Pferd im Status des Nutztieres zu belassen. Das tägliche Management von Equiden, die als Nutztier eingetragen sind, ist administrativ aufwendiger und damit auch teurer. Eine Umdeklarierung als Heimtier eröffnet neue Behandlungsmöglichkeiten und entbindet von der Pflicht der Führung des Behandlungsjournals. Der Halter des Equiden ist zwar verantwortlich für das Führen des Behandlungsjournals, der Eigentümer bestimmt jedoch über den Status des Tieres.

- Diskussion um den Entscheid am Lebensende
Die Tötung der Equiden, sei es von Tierärzten (Euthanasie) oder Metzgern (Schlachtung), muss korrekt ausgeführt werden, sonst kommt es am Lebensende eines Tieres zu unnötigem Leiden. Beide Formen des Abschieds vom Pferd haben ihre Vor- und Nachteile. Eine offene Information und vorurteilsfreie Diskussion zu diesem Thema haben aktuell noch nicht die Bedeutung, die einer respektvollen Beziehung zum Partner Pferd gerecht wird.

- Produktion von Pferdefleisch
Pferdefleisch aus der Schweiz ist eine gute Alternative zu Importen aus dem Ausland, bei denen die Haltungs- und Schlachtbedingungen oft nicht den Schweizer Standards entsprechen. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Nachfrage nach Pferdefleisch in der Schweiz rückläufig ist. Dennoch könnte der bewusste Entscheid für eine Aufzucht zu Schlachtzwecken neue Einnahmemöglichkeiten für die Landwirtschaft und eine nutzbringende Verwendung von Tieren, die für Zucht-, Freizeit- oder Sportzwecke weniger gut geeignet sind, eröffnen. Dabei können die seit Kurzem erlaubten Hofschlachtungen bei Pferden eine Verbesserung bezüglich dem Tierwohl beim Schlachten darstellen.

Das Pferd als Therapeut, eine moderne Form des Nutztieres. (Foto: IMAGO / Sylvio Dittrich) Das Pferd als Therapeut, eine moderne Form des Nutztieres. (Foto: IMAGO / Sylvio Dittrich)

Pferd als Partner des Menschen

Einigkeit herrschte bei allen Symposium-Teilnehmenden darin, dass das Pferd als Partner des Menschen nicht auf den Status Nutztier oder Heimtier reduziert werden darf. Nun wird sich COFICHEV mit den gewonnenen Erkenntnissen weiter beschäftigen und entsprechende Änderungen in den rechtlichen Grundlagen anregen. Gleichzeitig soll eine zielgerichtete Kommunikation zur Problematik «Das Pferd, Nutztier oder Heimtier?» initiiert und nachhaltig begleitet werden.

Nicole Basieux

 

Weitere Informatinen: 

Schweizer Rat und Observatorium der Pferdebranche COFICHEV:
cofichev.ch > Aktuelles 2021 > Medienmitteilung & Aufzeichnung vom Symposium «Das Pferd, Nutz- oder Heimtier» sowie Agroscope Science zur 16. Jahrestagung Netzwerk Pferdeforschung

Identitas: identitas.ch > Tierstatistik > Equiden

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen: www.blv.admin.ch

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