Überseereisen mit Pferden stellen immer eine grosse Herausforderung dar. Wenn dann noch eine Pandemie hinzukommt und eine ganze Delegation aus vier Disziplinen fit und gesund zur rechten Zeit am rechten Ort sein muss, wird die Logistik zum Hochseilakt.
Wieder festen Boden unter den Füssen! Auch im Flugzeug sind die Pferde nicht isoliert, sondern haben Kontakt zu vierbeinigen Reisekumpanen. (Foto: Peden Bloodstock GmbH)
Wir alle können es kaum erwarten, die ersten olympischen Wettbewerbe in der Liveübertragung aus Tokio am Bildschirm zu verfolgen. Doch damit es überhaupt so weit kommen kann, sind die Tage, Wochen und Monate bis zum Tag X bis ins letzte Detail geplant. Aber die aktuelle Pandemielage macht auch immer wieder klar: Was gestern noch stimmte, muss heute nicht mehr richtig sein. So erfordert die Reisevorbereitung für die zwei- und vierbeinigen Delegationsmitglieder viel Flexibilität - und Nerven wie Drahtseile.
Nichts ist wie vorher
Eigentlich hätten die Olympischen Spiele ja schon vor einem Jahr stattfinden sollen, wurden dann aber Corona-bedingt auf 2021 verschoben. Kann man für die Reisevorbereitungen also einfach die Unterlagen vom Vorjahr aus der Schublade ziehen? «Leider nein!», erklärt die Sportmanagerin Evelyne Niklaus, die beim SVPS für die Olympia-Logistik zuständig ist und die Delegation nach Japan begleiten wird. «Viele Anforderungen ändern extrem kurzfristig. Manche Formulare müssen wir fast täglich neu ausfüllen, unterschreiben und nach Japan schicken. Die Organisatoren und die Behörden in Tokio machen ganz schön Druck, damit die oft sehr kurzen Fristen auch eingehalten werden.»
Die Flüge für die Schweizer Athletinnen und Athleten sowie ihre - aufgrund der COVID-19-Auflagen stark reduzierte - Entourage werden zwar von Swiss Olympic gebucht, doch die Reisedaten müssen von Evelyne Niklaus angegeben werden. Diese Flugpläne wurden für 2020 schon einmal durchgerechnet, doch damals war die Situation eine ganz andere: «Damals gab es täglich Swiss-Flüge in die japanische Hauptstadt, aktuell wird Tokio hingegen nur noch drei- bis viermal pro Woche angeflogen», erklärt die Delegationsleiterin.
Bereit zum Boarding: Solche Transportboxen werden schliesslich im Frachtraum des Cargo-Flugzeugs verstaut. (Foto: Peden Bloodstock GmbH)
Minutiöses Timing
Bei der Ankunft in Tokio müssen die olympischen Passagiere erst einmal einen COVID-19-Test machen und drei Stunden in Quarantäne dessen Resultat abwarten. Erst dann dürfen sie weiterreisen ins olympische Dorf. Dabei dürfen die Auslanddelegationen keinerlei Kontakt zu der einheimischen Bevölkerung haben, um die Gefahr einer Ansteckungswelle möglichst gering zu halten. Kein Sightseeing also, ausser durch das Fenster der eigens für die Olympioniken bereitgestellten Shuttlebusse, denn auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind für die Gäste im Land tabu.
Bei den Flugdaten gibt es so einiges zu berücksichtigen, wie Evelyne Niklaus aufzeigt: «Die Grooms reisen vor den Pferden an, die Reiterinnen und Reiter eher danach. Da die Passagiermaschinen abends spät landen, die Transportflugzeuge der Pferde hingegen in den ersten Morgenstunden eintreffen, müssen die Grooms schon ein bis zwei Tage früher anreisen, da die Zeit sonst zu knapp ist, wenn man die Quarantänezeit aufgrund des COVID-19-Tests, die Akkreditierungswartezeiten usw. berücksichtigt.» All das muss bei der Planung berücksichtigt werden - eine Mammutaufgabe.
Keine Materialschlacht auf hoher See
Normalerweise wird der Materialtransport für die Olympischen Spiele von Swiss Olympic koordiniert und hätte für Tokyo 2020 in Seefrachtcontainern erfolgen sollen. Da der Seeweg jedoch bedeutend länger dauert als der Luftweg, hätte dieser Container bereits im April seine Reise antreten müssen. In der Pandemielage schien es im April jedoch noch allzu unsicher, ob die Olympischen Spiele überhaupt stattfinden würden, weshalb man umdisponierte.
Nun wird das Material zusammen mit den Pferden im Flugzeug transportiert. So kann man sicher sein, dass man wirklich dabei hat, was man schlussendlich auch braucht, und nicht beispielsweise auch Futter für Pferde, die am Ende gar nicht selektioniert werden.
Heuproben aus den USA. Solches Heu wird den Pferden an den Olympischen Spielen von Tokyo 2020 gefüttert. Um die Pferde und ihre empfindlichen Mägen daran zu gewöhnen, lässt der SVPS eine grosse Charge davon vorab in die Schweiz liefern. (Foto: SVPS-FSSE/Cornelia Heimgartner)
Heu aus Amerika
Das Pferdefutter stellt in der Tat eine ganz besondere Challenge dar bei einem solchen Event. Nur eine beschränkte und abschliessende Liste an Kraftfutter wurde für den Import bewilligt. Alle nationalen Pferdesportverbände konnten Vorschläge einbringen, welche Futtermittel auf diese Liste sollten, aber es konnten bei Weitem nicht alle Wünsche berücksichtigt werden.
Auch Heu darf nicht nach Japan importiert werden. Und da Japan selbst keine ausreichenden Heuvorräte hat, um die Bedürfnisse der Olympiapferde zu decken, wurde das Heu aus den USA herangeschafft. Dieses Heu unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung deutlich vom europäischen Heu. Damit das nicht zum Problem wird, hat der SVPS vorgesorgt: «Wir lassen uns gemeinsam mit anderen europäischen Ländern vorab eine Ladung dieses Heus liefern, sodass sich die Schweizer Olympiapferde langsam auf das neue Raufutter einstellen können», versichert Evelyne Niklaus.
Die Olympischen Spiele in Tokio sind also auch logistisch ein wahres Abenteuer! Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, damit die zwei- und vierbeinigen Athletinnen und Athleten sorglos reisen und schliesslich zum richtigen Zeitpunkt ihre Bestleistung abrufen können. Die Daumen sind schon jetzt gedrückt!
Cornelia Heimgartner
So wurden die Pferde 1964 mit der Swissair auf die Reise nach Tokio geschickt. (Foto: Alban Poudret.)