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Dossier: Pferdehaltung & Raumplanung

Rangordnung und soziale Beziehungen in Pferdegruppen

19 August 2020 09:00

Die Gruppenhaltung von Pferden ist sicher die artgerechteste Form der Haltung. Sie setzt allerdings eine gute Raumeinteilung und genügend Platz voraus. Zudem ist die Eingliederung von neuen Pferden in bestehende Gruppen eine äusserst wichtige und kritische Phase. Sie erfordert viel Fachkenntnis und Zeit von den Pferdehaltenden, eine gut strukturierte Anlage sowie sozialisierte Pferde, d. h. Pferde, die gelernt haben, sich in direktem Kontakt mit Artgenossen artgemäss zu verhalten.

Viel Platz auf der Weide  |  © Agroscope Viel Platz auf der Weide | © Agroscope

Pferde haben ein grosses Bedürfnis nach direktem Sozialkontakt zu Artgenossen. Zur Erfüllung der natürlichen Ansprüche ist die Gruppenhaltung für die meisten Pferde wünschenswert. Gut geplant und betreut ist sie grundsätzlich für alle Rassen und Nutzungsrichtungen möglich. Sie eignet sich aber sicher am besten für Pferdegruppen, die über lange Zeit in ihrer Zusammensetzung stabil bleiben. Tatsächlich gibt es vereinzelt auch völlig unverträgliche Pferde. Sie sollten nicht in Gruppen gehalten werden. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Gruppenhaltung für Jungpferde. Sehr zu empfehlen ist sie für Pferde, die nicht regelmässig geritten oder gefahren werden und somit wenig Bewegungsmöglichkeiten haben.

 

Raumgestaltung als wichtiger Faktor einer funktionierenden Gruppenhaltung

Die Gruppenhaltung setzt viel Fachkenntnis der Pferdehaltenden und Zeit, die Tiere zu beobachten, voraus. Gemäss Tierschutzverordnung müssen in Gruppenhaltungsanlagen Ausweichs- sowie Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sein (ausgenommen für Jungpferde). Sackgassen sind zu vermeiden.

In jeder Gruppenanlage muss die Möglichkeit bestehen, kranke oder neu zu integrierende Pferde abzutrennen. Eine Notbox bzw. Krankenbox sollte also vorhanden oder einfach einzurichten sein. Diese kann gleichzeitig der Unterbringung eines Pferdes, das neu in die Gruppe integriert werden soll, dienen.

Beispiel einer flexiblen Not- oder Integrationsbox  |  © Agroscope Beispiel einer flexiblen Not- oder Integrationsbox | © Agroscope

Die Gruppenhaltung setzt viel Fachkenntnis der Pferdehaltenden und Zeit, die Tiere zu beobachten, voraus.

Die Rangordnung schränkt Konflikte in der Gruppe ein

Die Rangordnung bezeichnet die soziale Ordnung in einer Gruppe, d. h. die Beziehungen der Individuen zueinander. Der «Sieger» einer Konfliktsituation wird als dominant bzw. ranghöher und der andere als dominiert bzw. rangniedriger bezeichnet. Ein ranghohes Pferd ist demnach ein Pferd, das mehrere andere Pferde dominiert.

Die Hauptfunktion der Rangordnung besteht darin, Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Tieren zu minimieren, um einen unnützen Energieverlust zu vermeiden und das Risiko von Verletzungen, die in der freien Wildbahn tödlich sein könnten, zu verringern. Die Überlebenschancen werden so optimiert, da Pferde die einmal etablierte Rangordnung nur selten infrage stellen.

Studien haben ergeben, dass relativ wenige Faktoren die Rangordnung beeinflussen. Geschlecht, Widerristhöhe oder auch Charakter spielen beispielsweise keine Rolle. Lediglich das Alter und die Dauer der Gruppenzugehörigkeit sind ausschlaggebend, ebenso wie die Statur, wenn letztere auch eine deutlich untergeordnete Rolle spielt.

Der Rang bestimmt den Zugang zu den limitierten Ressourcen. Ein rangniedriges Pferd hat also grundsätzlich weniger leicht Zugang zu Futterstellen und Ruheplätzen. Die Pferdehaltenden müssen daher darauf achten, dass die Ressourcen für alle Herdenmitglieder zugänglich sind. Studien haben gezeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen Dominanz und Aggressivität gibt. Das Pferd, das als Erstes Zugang zu einem Heuhaufen hat, ist also nicht unbedingt aggressiver als ein rangniedriges Individuum. Eine mehrjährige Studie, die Pferde in verschiedenen Herden begleitete, ergab, dass sich die Rangordnung zwischen diesen Pferden über die Zeit entwickelte. Die Stabilität des Ranges eines einzelnen Pferdes hängt also mehr von der Stabilität der Gruppe als von den Eigenschaften des einzelnen Pferdes ab. Die Zusammensetzung der Gruppe ist daher als ein für die Rangordnung entscheidendes Element zu sehen.

Sehr anspruchsvoll und enorm wichtig ist die vorsichtige Eingliederung neuer Pferde in die Gruppe.

Das «Patensystem» kann eine Integration vereinfachen

Sehr anspruchsvoll und enorm wichtig ist die vorsichtige Eingliederung neuer Pferde in die Gruppe. Das zu integrierende Pferd soll sich zuerst an die ihm fremde Umgebung gewöhnen können und anfangs nur Sichtkontakt und später Schnupperkontakt zur Gruppe erhalten. Es empfiehlt sich, dem Pferd die Möglichkeit zu geben, die unbekannte Anlage ohne die anderen Pferde kennenzulernen (z. B. wenn sich die Gruppe auf der Weide befindet). Anschliessend wird es vorerst nur mit einem freundlichen, interessierten Mitglied der bestehenden Gruppe zusammengelassen.

Wenn sich die zwei Pferde gut verstehen, das neue Pferd entspannt wirkt und ruhig frisst, trinkt oder sich ausruht, kann das Paar gemeinsam auf die Weide gelassen werden. Zur besseren Raumorientierung wird der Neuling zuerst dem Zaun entlanggeführt, bevor er zusammen mit dem zweiten Pferd freigelassen wird. Wenn sich das neue Pferd gut an diese Situation gewöhnt hat, kann es tagsüber zusammen mit dem Integrationspferd stundenweise und schliesslich schrittweise immer länger in die Gruppe gebracht werden.

Integrationsbereich mit vertikalen Stangen. Der Kontakt zu allen Gruppenmitgliedern ist möglich.  |  © Agroscope Integrationsbereich mit vertikalen Stangen. Der Kontakt zu allen Gruppenmitgliedern ist möglich. | © Agroscope

Pferdefreundschaften

Auch wenn die Zusammensetzung einer Gruppe sehr wichtig ist, so beschränkt sich das Zusammenleben innerhalb dieser nicht ausschliesslich auf die Rangordnung. Pferde knüpfen nämlich wahrhaftige Freundschaften. Diese Freundschaften hängen nicht mit dem jeweiligen Rang der Beteiligten zusammen, denn Pferde sind nicht unbedingt mit anderen Individuen befreundet, die eine ähnliche hierarchische Stellung wie sie selbst innehaben. Eine wissenschaftliche Studie hat zudem gezeigt, dass junge Pferde, die in einer ausschliesslich aus Altersgenossen bestehenden, homogenen Gruppe aufwuchsen, nicht die Gesamtheit ihres Verhaltensrepertoires voll ausschöpften, aggressiver wurden und weniger freundschaftliche Verhaltensweisen ausführten als Jungpferde, die mit erwachsenen Pferden zusammenlebten. Es scheint demnach sinnvoll, junge Pferde gemeinsam mit erwachsenen Pferden zu halten.

Auch die Geschlechterzusammensetzung beeinflusst die Interaktionen in der Herde, wobei individuelle Eigenschaften wie soziale Erfahrungen und Persönlichkeit die wichtigsten Faktoren darstellen.

Da sich aus Zuneigung oft Zweiergruppen bilden, ist es insbesondere in kleinen Gruppen vorteilhaft, eine gerade Anzahl an Herdenmitgliedern zu halten.  |  © Agroscope Da sich aus Zuneigung oft Zweiergruppen bilden, ist es insbesondere in kleinen Gruppen vorteilhaft, eine gerade Anzahl an Herdenmitgliedern zu halten. | © Agroscope

Je stabiler die Gruppe, desto weniger Aufregung

Da die Zusammensetzung der Gruppe die Rangordnung stark beeinflusst, wird ein in einer Gruppe sehr dominantes Pferd in einer anderen Gruppe nicht unbedingt auch dominant sein; daher ist es quasi unmöglich, die hierarchischen Verhältnisse in einer neuen Gruppe oder einer Gruppe mit veränderter Zusammensetzung vorauszusehen. Eine geklärte Rangordnung ist wichtig, um Spannungen und sozialen Stress sowie die Verletzungsgefahr zu reduzieren. Weil die Rangordnung tendenziell auch beim kleinsten Wechsel innerhalb der Herde neu etabliert werden muss, stellt eine stabile Gruppe das beste Mittel dar, um das Verletzungsrisiko tief zu halten und ein ruhiges Miteinander in der gesamten Herde zu fördern.

Da sich aus Zuneigung oft Zweiergruppen bilden, ist es insbesondere in kleinen Gruppen vorteilhaft, eine gerade Anzahl an Herdenmitgliedern zu halten. Die Anzahl der Tiere muss zudem an die für jedes einzelne Pferd zur Verfügung stehende Fläche angepasst werden. Je dichter die Gruppe, desto mehr Konfliktverhalten. Dieses lässt sich bei gleicher Dichte jedoch mit zusätzlichen Futterplätzen deutlich reduzieren. Die Gruppengrösse sowie die Einrichtung und Einteilung des zur Verfügung stehenden Raumes stellen demnach wesentliche Elemente für die Optimierung des Verbandes dar.

Die Funktionsweise der Herdenverbände zu verstehen, ist unabdingbar, insbesondere um die Haltungsbedingungen unserer Pferde zu optimieren.

Der Mensch spielt eine wichtige Rolle

Der Mensch überwacht und schreitet ein, wenn es nötig ist. Er entscheidet, wann es Zeit für den nächsten Schritt ist und welche Pferde gut zusammenpassen. Es gibt kaum Empfehlungen, wie lange eine Angewöhnungsphase bzw. schrittweise Integration dauern muss. Je nach Pferd und je nach Gruppe kann dies zwischen einigen Tagen und einigen Monaten dauern.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass ein Pferd aus konventioneller Boxenhaltung nicht an die ständige Bewegung während 24 Stunden am Tag und den direkten Sozialkontakt mit Artgenossen gewöhnt ist. Zu Beginn kann ein solches Tier daher emotional und konditionell überfordert sein und abmagern. Der Pferdehalter muss daher unbedingt gut beobachten, ob insbesondere das neue Gruppenmitglied, aber auch die rangtiefen Tiere der Gruppe ausreichend fressen, trinken und ruhen können.

Die Funktionsweise der Herdenverbände zu verstehen, ist unabdingbar, insbesondere um die Haltungsbedingungen unserer Pferde zu optimieren und so für jedes Individuum ein möglichst angenehmes und gesundes Umfeld zu schaffen.

Christa Wyss
Marie Roig-Pons

Agroscope
Schweizer Nationalgestüt (SNG) Avenches

Beratungsstelle Pferd

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