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Sind Spitzen- und Amateurturniersport vereinbar mit dem Wohlbefinden des Pferdes?

10 März 2020 08:00

Die Frage, inwiefern Stress von Hochleistungs- und Amateurturnierpferden mit Managementfaktoren und Verhaltenseigenschaften der Pferde zusammenhängt, bildete den Ausgangspunkt eines Projekts der Pferdeklinik ISME Bern und Avenches in Zusammenarbeit mit den Disziplintierärzten des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport (SVPS).

Der Transport ist einer der Stressfaktoren von Turnierpferden. (Foto: iStockphoto) Der Transport ist einer der Stressfaktoren von Turnierpferden. (Foto: iStockphoto)

Es waren die Stärke, Geschwindigkeit und Ausdauer, die den Vorfahren unserer heutigen Reit- und Sportpferde das Überleben als Flucht-, Herden- und Steppentier ermöglichten. Sie halfen ihnen bei der täglichen Suche nach Futter und Wasser und erlaubten ihnen, vor Raubtieren zu fliehen. Diese natürlichen Eigenschaften des Pferdes machen es aber auch zum idealen Athleten und werden dementsprechend heutzutage durch selektive Zucht und gezieltes Training noch weiter gefördert, mit dem Ziel, bestmögliche sportliche Leistungen zu erbringen.

 

Spitzensportpferde leben wenig naturnah

Aber die Lebensbedingungen der Pferde haben sich geändert: Das heutige Haltungs- und Fütterungsmanagement entspricht unter Umständen nur begrenzt den natürlichen, ursprünglichen Bedürfnissen, da Raufutter vielfach rationiert wird und Auslauf und Sozialkontakt nur eingeschränkt möglich sind. Zudem steigen die Anforderungen an Spitzensportpferde. Die besten Pferde der verschiedenen Disziplinen reisen regelmässig im Lastwagen oder Flugzeug an wichtige Turniere auf der ganzen Welt. Ist diese Anstrengung für die Pferde, gerade im Vergleich zu den Pferden von Amateurturnierreiterinnen und -reitern vertretbar? Ist der Stress während des Flugs, während tagelanger Reisen im Transporter, auf wechselnden Turnieren an vielen Wochenenden der Saison und bei anstrengenden Trainingseinheiten zu Hause mit dem Wohlbefinden des Tieres vereinbar? Und gehen die geänderten Haltungsbedingungen, die das natürliche Verhalten der Pferde unter Umständen stark einschränken, mit negativem Stress einher? Diese Bedenken bewegen so manchen Reiter, Trainer, Pferdeliebhaber, Tierschützer und Funktionär.

 

Stress objektiv messen

Stress beim Pferd mit objektiven Methoden besser messen und beurteilen zu können, war bereits das Ziel zahlreicher Studien. Dabei ging es meist um sogenannten akuten Stress, den das Pferd in bestimmten Situationen erlebt, sei es auf einem Transport, beim Anreiten des jungen Pferdes oder auf Turnieren. Um zu beurteilen, ob ein Pferd Stress hat, lassen sich unterschiedliche Beurteilungsmethoden heranziehen. Eine Möglichkeit besteht darin, das Verhalten des Pferdes in den jeweiligen Situationen zu beobachten, zu dokumentieren und entsprechend auszuwerten. Zusätzlich oder alternativ besteht zum Beispiel die Möglichkeit, die Variation der Herzfrequenz oder den Spiegel bestimmter Hormone zu erheben und mit Messungen in stressfreien Situationen zu vergleichen. Ein häufig mit Stress in Verbindung gebrachtes Hormon, das dabei gemessen wird, ist Kortisol.

Speichelprobenentnahme zur Festlegung des Kortisolspiegels. (Foto: ISME) Speichelprobenentnahme zur Festlegung des Kortisolspiegels. (Foto: ISME)

Die Studie des ISME

Konkretes Ziel des Projekts der Pferdeklinik ISME Bern war, vor dem Hintergrund bereits erfolgter Studien eine Möglichkeit zu finden, stressanfällige oder womöglich chronisch gestresste Spitzen- und Amateursportpferde frühzeitig zu entdecken. Pferde also, die insofern auch ein höheres Risiko haben könnten, stressbedingt Gesundheitsprobleme zu entwickeln. Gerade der Vergleich beider Gruppen, so die Hoffnung, könnte helfen, die Frage zu beantworten: «Haben Hochleistungssportpferde mehr Stress als Amateursportpferde?» Gleichzeitig sollte untersucht werden, ob Faktoren wie Alter, Rasse und Geschlecht, Managementfaktoren, Haltung, Fütterung und Training oder Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit, Trainierbarkeit oder Freundlichkeit gegenüber dem Menschen einen Effekt darauf haben, ob das Pferd unter chronischem Stress leidet. Um diese Fragen zu beantworten, galt es, die «Stressantwort» von Pferden verschiedener Disziplinen und unterschiedlichen Niveaus zu untersuchen und zu vergleichen.

Dazu wurde ein Test verwendet, bei welchem dem Pferd ein im Körper natürlicherweise vorkommendes Hormon - das sogenannte Adrenokortikotrope Hormon (ACTH) - einmalig gespritzt wird. Dieses Hormon gelangt normalerweise von der Hirnanhangsdrüse in den Kreislauf des Pferdes und bewirkt, dass Kortisol aus der Nebenniere freigesetzt wird. Für den Test wird eine synthetisch hergestellte Form des Hormons ACTH verabreicht. Um die Wirkung des Hormons im Körper zu messen, werden Speichelproben aus dem Maul der Pferde genommen, in denen dann die Menge an Kortisol vor und nach der ACTH-Gabe bestimmt wird.

Der Test soll Auskunft über die Reaktivität der Nebenniere geben und Hinweise darauf liefern, ob das Tier chronisch gestresst ist. Frühere Studien haben gezeigt, dass Pferde mit bestimmten Krankheitsbildern, die gemeinhin mit Stress assoziiert werden, wie Koppen und Magengeschwüre, auf diesen Test mit einer höheren Kortisolausschüttung reagieren. So konnte bei Pferden mit Magengeschwüren im Bereich des Magenausgangs (Equine Glandular Gastric Disease, EGGD) mehr Kortisol gemessen werden als bei Pferden ohne Magengeschwüre oder als bei Pferden mit Magengeschwüren in anderen Teilen des Magens (Equine Squamous Gastric Disease, ESGD). Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass Pferde mit diesen Magengeschwüren sensibler auf Stress reagieren und damit häufiger von dieser Erkrankung betroffen sind.

Weltklassereiter wie Caroline Gerber haben an der Studie des ISME teilgenommen. (Foto: FEI) Weltklassereiter wie Caroline Gerber haben an der Studie des ISME teilgenommen. (Foto: FEI)

Bunte Palette an Studienpferden

Insgesamt haben 96 Spitzensportpferde der Disziplinen Springen, Dressur, Concours Complet, Endurance, Fahren, Voltigieren und Para Equestrian sowie 53 Amateurturnierpferde der Disziplinen Springen, Dressur, Concours Complet und Endurance aus weiten Teilen der Schweiz an der Studie teilgenommen. Alle Pferde wurden zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung besucht. Bei jedem Pferd wurde der Test durchgeführt, und für jedes Pferd wurde ein Fragebogen ausgefüllt mit Fragen zur Haltung und Fütterung, zum Training, zu Krankheiten und zur Persönlichkeit. Mithilfe der Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen und zum Verhalten des Pferdes in spezifischen Situationen sollte ermittelt werden, ob das jeweilige Pferd eher ängstlich oder mutig, stur oder kooperativ, offen und dem Menschen zugewandt oder eher zurückhaltend ist.

 

Mehr Stress bei Spitzensportpferden?

Bemerkenswert war, dass bei der Auswertung der Speichelproben und der Fragebogen kein Unterschied zwischen Spitzen- und Amateurturnierpferden festgestellt werden konnte. Im Hochleistungssport eingesetzte Pferde scheinen angesichts dieser Resultate also nicht stressempfindlicher oder gestresster zu sein als Amateurpferde. Möglicherweise trägt auch eine gewisse Selektion zu diesem Ergebnis bei, indem nur Pferde, die den physischen und psychischen Ansprüchen des Spitzensports gewachsen sind, dort auch eingesetzt werden.

 

Einfluss der Rasse

Auch die Persönlichkeitsfaktoren, die erhoben wurden, zeigten keinen Effekt. Die Analysen offenbarten jedoch einige andere Faktoren, die die Höhe des gemessenen Stresshormons Kortisol beeinflussten. So zeigte sich, dass zum Beispiel die Rasse einen Einfluss zu haben scheint. Freiberger hatten im Gegensatz zu Warmblütern und Vollblütern eine verminderte Kortisolantwort als Reaktion auf den Test. Dieses Ergebnis bestätigt eine frühere Studie der Pferdeklinik ISME Bern, bei der sich derselbe Effekt zeigte. Ob dabei die Genetik eine Rolle spielt und der Freiberger als eher schwerer Pferdetyp weniger sensibel auf Stress reagiert, gilt es durch weitere Studien herauszufinden.

Pferde, die mehr Zeit ausserhalb ihrer Box verbringen, sind weniger gestresst. (Foto: Pexels) Pferde, die mehr Zeit ausserhalb ihrer Box verbringen, sind weniger gestresst. (Foto: Pexels)

Managementfaktoren entscheidend

Pferde mit mehreren Reiterinnen und Reitern - im Vergleich zu Pferden mit nur einem Reiter oder einer Reiterin - genauso wie Pferde, die mehr Zeit ausserhalb ihrer Box verbrachten, sei es beim Training, in der Führanlage oder auf der Weide, zeigten ebenfalls tiefere Kortisolwerte. Dieses Ergebnis liefert einen Hinweis darauf, dass Pferde, die mehr Reizen ausgesetzt sind und ständig neu gefordert werden, womöglich besser mit unvorhergesehenem Stress umgehen und leichter schwierige Situationen meistern können.

Ein letzter Faktor mit Einfluss auf die Kortisolantwort war die Haltungsform, wobei Pferde, die ganz oder teilweise mit anderen Pferden zusammen gehalten wurden, eine höhere Antwort zeigten. Obwohl der Gruppenhaltung im Allgemeinen bisher positive Effekte zugesprochen werden und solche auch wissenschaftlich gezeigt werden konnten, geht sie wohl auch mit sozialen Herausforderungen einher, die sich möglicherweise in einer erhöhten Kortisolantwort der betroffenen Pferde widerspiegeln. In diesem Zusammenhang erscheint es für zukünftige Studien besonders wichtig, Gruppenhaltungen differenziert zu betrachten und andere Faktoren, zum Beispiel die Gruppenstabilität, das Alters- und Geschlechterverhältnis sowie die Gruppengrösse, den zur Verfügung stehenden Platz und das Fütterungsmanagement mit zu berücksichtigen.

Entsprechend den Ergebnissen der Studie gibt es somit keinen Hinweis, dass die erhöhten Anforderungen, die an Spitzensportpferde im Vergleich zu Amateurturnierpferden gestellt werden, einen langfristigen negativen Effekt auf deren Wohlbefinden haben. Andere Faktoren jedoch wie die Rasse, die Anzahl der Reiterinnen und Reiter, die Zeit, die das Pferd draussen verbringt, und die Gruppenhaltung zeigten einen signifikanten Einfluss, was bekräftigt, dass es insbesondere von Bedeutung ist, das Haltungsmanagement genau zu betrachten und gegebenenfalls zu optimieren.

Dr. med. vet. Fay Sauer
Institut suisse de médecine équine ISME

Die Studie wurde unter dem Titel «Effects of breed, management and personality on cortisol reactivity in sport horses» im Fachjournal Plos One publiziert:

Fay Sauer, Marco Hermann, Alessandra Ramseyer, Dominik Burger, Stefanie Riemer, Vinzenz Gerber

PLoS One. 2019;14(12):e0221794
doi: https://doi.org/10.1101/739847

Diese Art von wissenschaftlichen Studien ist sehr wichtig, um uns zu helfen, den Stress für die Pferde zu minimieren. In der Tat sind das Wohlbefinden und die Gesundheit meiner Pferde meine allererste Priorität. Eine gute Trainings- und Wettkampfplanung, die ihre natürlichen Bedürfnisse berücksichtigt und ihnen die Möglichkeit bietet, ihre Batterien wieder aufzuladen (tägliche Weide, Ausritte usw.) sowie eine ruhige und positive Einstellung zu ihnen haben meiner Meinung nach einen grossen Einfluss auf ihr körperliches und geistiges Gleichgewicht.

Caroline Gerber,
Studienteilnehmerin, Long List Concours Complet Olympische Spiele Tokyo 2020

Ich freue mich, dass ich mit meinem Pferd Dandy de la Roche CMF CH an der Studie teilnehmen konnte, den die Forschung rund um den Stress von Sportpferd erscheint mir äusserst wichtig.

Antonella Joannou,
Studienteilnehmerin, Elite-Kaderreiterin Dressur

Die Möglichkeit, das Stressniveau unserer Vielseitigkeitspferde zu kennen, ist ein sehr wichtiger Faktor für die tägliche Arbeit und die Wettkämpfe. In einer Disziplin, in der wir unser Pferd perfekt kennen müssen, um gute Ergebnisse zu erzielen, erlauben uns diese Tests, unser Verhalten an jedes Pferd anzupassen. In diesem Sinne helfen uns Studien dieser Art, und ich hoffe, dass andere folgen werden.

Robin Godel,
Studienteilnehmer, Long List Concours Complet Olympische Spiele Tokio 2020

Toll, durften unsere Pferde an dieser Studie zum Thema «Stress bei Sportpferden» teilnehmen.
Eine wertvolle Studie, die uns beim Management der Sportpferde unterstützen kann.

Nicole Geiger,
Studienteilnehmerin, Kandidatin Para-Dressur Paralympische Spiele Tokyo 2020

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