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Sportpferdehaltung im Offenstall: Vorteile und Herausforderungen

20 September 2021 09:00

Freizeit- und Sportpferde differieren in ihrer Nutzung. Immer öfter wird die Forderung laut, dass in der Haltung die Unterscheidung zwischen diesen beiden Pferdetypen überwunden werden sollte. Ein Workshop über Umbauprojekte von Boxen- zu Aktivstallhaltung zeigt sinnvolle Lösungsansätze, aber auch Herausforderungen der Sportpferdehaltung im Offenstall auf.

Eine Umfriedung aus Trockenholz schützt junge Bäume vor Verbiss und bietet kleinen Tieren Unterschlupf, im Hintergrund der Reitplatz. | © Muriel Willi Eine Umfriedung aus Trockenholz schützt junge Bäume vor Verbiss und bietet kleinen Tieren Unterschlupf, im Hintergrund der Reitplatz. | © Muriel Willi

Im Rahmen seiner Kampagne «Pferde raus» lud der Schweizer Tierschutz STS Ende August 2021 zu einem Umbauworkshop für Pferdeställe ins Reitsportzentrum Heimenhausen (BE) ein. Gemeinsam mit der Eigentümerfamilie und Fachpersonen aus den Bereichen Pferdehaltung sowie Stallbau wurden anhand des Aktivstallprojekts der Familie Zahnd Aspekte wie Konzipierung, Fütterung, Bewegung und Ökologie präsentiert und vor allem diskutiert. Rund 30 interessierte Personen, die meisten davon selbst Stallbesitzerinnen und -besitzer, erhielten einen Einblick in das noch laufende Umbauprojekt. Im Vordergrund stand der Erfahrungs- und Ideenaustausch dazu, wie eine Bewegungsstallhaltung von Sportpferden sinnvoll umgesetzt werden kann.

 

Artgerechte Haltungsform

Davon, dass die Haltung von Pferden in der Gruppe mit viel Bewegung an der frischen Luft und langen Fressphasen artgerecht ist, musste niemand mehr überzeugt werden. Im Offenstall, der auf der Anlage von Familie Zahnd am Entstehen ist, wird die Pferdegruppe durch verschiedenste Fress- und Beschäftigungsanreize wie Baumstrünke, eine Wasserfurth oder einen Tunnel aus Weidensträuchern auf einem rund 700 Meter langen Trail in Bewegung gehalten. Die soziale Interaktion ist in einem viel höheren Mass als bei Boxenhaltung mit z.B. Einzelweiden möglich, und ein geschicktes (Rau-)Fütterungskonzept wird dem natürlichen Verhalten des Pferdes gerecht, das sich in der freien Wildbahn rund 16 Stunden pro Tag mit Fressen beschäftigt. Auch für Sportreiter liegen die Vorteile einer solchen Haltung auf der Hand: Durch die ständige Bewegung bleiben Muskeln locker und Verspannungen können sich lösen, die Durchblutung u.a. der Beine wird angeregt, die Regeneration wird gefördert und die Pferde können in den Trainings- und Wettkampfpausen mental besser abschalten.

Ein Durchgang aus Weidensträuchern soll später Schatten spenden und zum Knabbern einladen. | © Muriel Willi Ein Durchgang aus Weidensträuchern soll später Schatten spenden und zum Knabbern einladen. | © Muriel Willi

Knackpunkte im Bewegungsstallkonzept

Wäre es so einfach, hätte sich die Boxenhaltung längst zum Auslaufmodel gewandelt. Doch wie es Stallbauer Martin Klaus so schön formulierte: Wo ein Weg ist, ist auch ein Stolperstein. Es gibt einige Aspekte bei der Offenstallhaltung, die durchdachte Lösungen erfordern, um die Akzeptanz der Pferdebesitzenden zu gewinnen.

Die Angst vor Verletzungen und dem damit verbundenen möglicherweise monatelangen Ausfall des Pferdes ist gerade bei Sportreiterinnen und -reitern gross. Dass diese nicht unbegründet ist, lässt sich nicht leugnen. Während Erkrankungen der Atemwegs- oder Verdauungsorgane, Stehschäden oder Verhaltensstörungen durch Offenstallhaltung reduziert werden, besteht das Risiko von Schlag- oder Bissverletzungen. Um dieses gering zu halten, ist ein durchdachtes Integrationskonzept gefragt, das bereits bei der Planung des Offenstalls berücksichtigt und im Idealfall zusammen mit einer Fachperson für Ethologie und Herdenhaltung ausgearbeitet werden sollte. Wichtig zur Unfallverhütung sind zudem stabile Pferdegruppen, genügend Platz und ausreichend Fressmöglichkeiten, die für alle Gruppenmitglieder gut zugänglich sind. So kann Frust vermieden werden, der neben Schmerzen zu den Hauptgründen für Aggressivität gehört

Ein grosser Stein als Strukturelement lädt zum Schubbern ein, im Hintergrund das Gebäude, das heute den Boxenstall und die Reithalle beherbergt. | © Muriel Willi Ein grosser Stein als Strukturelement lädt zum Schubbern ein, im Hintergrund das Gebäude, das heute den Boxenstall und die Reithalle beherbergt. | © Muriel Willi

Flexible Lösungen für das Lauftier Pferd

Beim Thema Schlagverletzungen ist die Frage nach dem optimalen Beschlag von Offenstallpferden nicht weit. Für Familie Zahnd besteht die praktikable Lösung darin, die Vorderhufe beschlagen und die Hinterhufe unbeschlagen zu lassen. Andere gangbare Optionen wären, speziell für Sportpferde, sicher wünschenswert.

Damit die Hufgesundheit nicht zu einem Problem wird, muss der Bodenbelag gut durchdacht sein. Matsch sollte vermieden werden, der Huforganismus angeregt, jedoch nicht überstrapaziert werden, und die Trittsicherheit muss überall gegeben sein. Ein Mix von befestigten und mit Kies, Sand oder Holzschnitzeln ausgelegten Wegen, wie sie in Heimenhausen vorhanden sind, ist hier eine gute Lösung. Christa Wyss von der Beratungsstelle Pferd von Agroscope rät bei langen Kiesstrecken zu parallelen Trampelpfaden für feinfühlige Pferde.

Für flexible Wegkonzepte plädiert auch Martin Klaus von der Schauer Agrotronic AG, die das Umbauprojekt der Familie Zahnd begleitet. Denn neben zu wenig Bewegung kann es gerade bei verspielten Pferden auch mal zu einem Zuviel an Vorwärtsdrang kommen. Hier leisten Abkürzungen, die je nach Bedarf geöffnet oder geschlossen werden können, gute Dienste, um Ruhe in die Herde zu bringen

Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten fördern Trittsicherheit und Hufgesundheit. | © Muriel Willi Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten fördern Trittsicherheit und Hufgesundheit. | © Muriel Willi

Hightech für Pferdeathleten

Erholung ist bei Sportpferden ein wichtiger Faktor für gute Leistungen. Sportreiterinnen und -reiter sind oft skeptisch, ob gerade rangniedrige Tiere in einer Gruppe genügend Gelegenheiten für Schlaf- und Ruhepausen bekommen. Unter Beachtung einiger wichtiger Aspekte kann für angenehme Erholungsphasen gesorgt werden. Der Liegebereich muss genügend Platz bieten - 12 m² pro Pferd, wie in der Boxenhaltung, sind das Minimum; die Einstreu muss komfortabel sein, wobei Gummimatten keine Einstreu ersetzen sollten, und der Ruhebereich nicht zu einer Durchgangszone werden darf.

In Heimenhausen soll auf das Rückzugsbedürfnis mit einer Chill-Out-Box eingegangen werden, wo sich einzelne Pferde hineinbegeben und darin so lange wie gewünscht verweilen können. Diese Box funktioniert wie die Futterstationen über automatische Steuerung.

Bei der Fütterung kann so die Raufutterration sowie die Kraftfuttermenge und -sorte auf jedes Pferd individuell eingestellt werden. Dies erlaubt auch für Sportpferde ein genau abgestimmtes Futtermanagement. Lediglich bei der Abgabe von Futterzusätzen oder Mash muss noch nach einer Lösung gesucht werden beziehungsweise muss diese in Heimenhausen durch die Besitzerinnen und Besitzer selbst vorgenommen werden

Fritz Zahnd erklärt den Workshopteilnehmenden das Fütterungsmanagement bei einer der Heuraufen. | © Muriel Willi Fritz Zahnd erklärt den Workshopteilnehmenden das Fütterungsmanagement bei einer der Heuraufen. | © Muriel Willi

Analyse des Vorhandenen - Offenheit für Neues

Bei der Umstellung von Boxen- auf Bewegungsstallhaltung gilt es gerade bei Sportpferden einige Aspekte zu bedenken. Wichtig ist eine eingehende Analyse der Bedürfnisse von Pferd und Besitzerschaft, aber auch der vorhandenen Anlage und von einschränkenden Komponenten. Am Beispiel der Reitsportanlage der Familie Zahnd zeigt sich schön, welche Faktoren - nebst der Bereitschaft, finanziell zu investieren - zu einem gelungenen Haltungskonzept führen können: eine gute bestehende Infrastruktur mit Reithalle, Sandplatz, Weiden und einer Galoppbahn, die in einen Rundlauf umgenutzt werden konnte. Eine grosse Portion Mut, viel Engagement, Offenheit und Inspiration sowie eine enge professionelle Begleitung und Beratung. So kann, wie in Heimenhausen, ein Aktivstall für Sportpferde entstehen, der den Bedürfnissen von Tier und Mensch entspricht.

Nur mit der Umstellung ist die Arbeit jedoch nicht getan. Nun gilt es, die Herde und die einzelnen Individuen aufmerksam zu beobachten, denn nicht jedes Pferd passt in jede Gruppe. Und als Arbeitsersatz darf diese Haltungsform nicht angesehen werden. Nur mit der Begründung, dass sich das Pferd ja in der Gruppe bewegt, sollte keine Trainingseinheit ausgelassen werden. Sind der Mut und die Offenheit auch bei den Pferdebesitzerinnen und -besitzern vorhanden, steht nur wenig im Wege, dass auch Sportreiterinnen und -reiter das Abenteuer Bewegungsstall wagen können.

Muriel Willi

Die Projektskizze des Aktivstalls Heimenhausen, wie er in etwa einem Jahr fertiggestellt sein wird. | © zVg Die Projektskizze des Aktivstalls Heimenhausen, wie er in etwa einem Jahr fertiggestellt sein wird. | © zVg

Die Referenten des STS-Workshops (v. l. n. r.): Anja Zollinger & Christa Wyss (Agroscope), Carla Zahnd (Reitsportzentrum Heimenhausen), Martin Klaus (Schauer Agrotronic AG), Nadja & Fritz Zahnd (Reitsportzentrum Heimenhausen), Beni Strickler (Neutal), Sandra Schaefler (STS-PSA), Fabienne Meier (Faunadea) | © zVg Die Referenten des STS-Workshops (v. l. n. r.): Anja Zollinger & Christa Wyss (Agroscope), Carla Zahnd (Reitsportzentrum Heimenhausen), Martin Klaus (Schauer Agrotronic AG), Nadja & Fritz Zahnd (Reitsportzentrum Heimenhausen), Beni Strickler (Neutal), Sandra Schaefler (STS-PSA), Fabienne Meier (Faunadea) | © zVg

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