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Dossier: Veterinärmedizin

Trainingsermüdung beim Pferd - gibt es das?

14 Mai 2018 08:00

Schon lange benutzen Pferdetrainer die Ausdrücke «übertrainiert», «sauer» oder «steif», um Anzeichen von schlechter Leistung, Nichterholen vom Training und anhaltende Ermüdung über Wochen oder Monate zu beschreiben.

Hoher Trainingsumfang bei ungenügender Erholung können zu einer Trainingsermüdung führen. Foto: HAFL/Conny Herholz Hoher Trainingsumfang bei ungenügender Erholung können zu einer Trainingsermüdung führen. Foto: HAFL/Conny Herholz

Erfolgreiches Training zeichnet sich durch eine sorgfältige Planung der Dauer, der Intensität und der Häufigkeit der Trainingseinheiten aus. Damit soll erreicht werden, dass Spitzenleistungen gerade richtig zum Wettkampfbeginn abgerufen werden können. Das Training sollte saisonal angepasst werden, und auch in intensiveren Trainingsphasen ist die Erholung und Abwechslung sehr wichtig, damit es nicht zur Ermüdung des Pferdes kommt.

Leistungskapazität beim Pferd

Das Leistungsvermögen eines Pferdes basiert nicht allein auf Training und Erholung, sondern auch auf der Konstitution und einer Reihe physischer und psychischer Faktoren, wie Rasse, Gesundheit, Ernährung, Management und Motivation. Ob die Leistung des Pferdes optimal gefördert wird, hängt auch von der Erfahrung der Reiterin oder des Reiters ab und davon, ob ihre bzw. seine Erwartung mit dem Vermögen des Pferdes vereinbar ist (Grafik 1).

Die Rasse und das Pedigree sind erblich gesteuerte Eigenschaften. Erblich bestimmt sind zum Beispiel die Muskelfaseranteile und ob es sich um Muskelfasern handelt, die schnell und kraftvoll arbeiten können (Vollblut), oder ob sie eher für Ausdauerleistungen (Araber, Distanzpferd) geeignet sind.

Die Gesundheit des Pferdes ist eine Grundvoraussetzung, um Leistung erbringen zu können. Lahmheiten und Rückenprobleme sind der häufigste Grund für Leistungseinbussen bzw. Ausfälle, gefolgt von Erkrankungen des Verdauungsapparates, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.

Kontinuierliche Überbelastungen, zu harte und einseitige Trainingsformen, physische und psychische Überbelastungen sowie schlechte Haltungsformen können zu massiven Störungen der körperlichen Gesundheit und auch der Psyche des Pferdes führen.

Neben der optimalen Gesundheit spielt deswegen auch die Motivation eines Athleten eine entscheidende Rolle. Die Motivation des Pferdes hängt wiederum von vielen Faktoren ab: z.B. von ausreichender Erholung (regelmässiger Weidegang), Abwechslung im Training, der Haltung (Hygiene, Belüftung, Platz, Kontakt zu Artgenossen) und der Fütterung. Die Fütterung und das Management müssen der Leistung und dem Typ des Pferdes angepasst sein.

Grafik 1: Faktoren der Leistungskapazität beim Pferd (nach Emmanuelle van Erck, Equine Sports Medicine Practice, eigene Darstellung). Grafik 1: Faktoren der Leistungskapazität beim Pferd (nach Emmanuelle van Erck, Equine Sports Medicine Practice, eigene Darstellung).

Das Syndrom der Trainingsermüdung

Unter Trainingsermüdung versteht man ein Missverhältnis zwischen Training und Erholung, was zu Leistungseinbussen führt, die auch nach zwei Wochen Pause oder reduziertem Training nicht verschwinden. Eine offensichtliche Erkrankung liegt dabei nicht vor. Schwache Leistungen, erhöhte Müdigkeit und fehlende Erholung nach Arbeitsphasen zeichnen das Syndrom der Trainingsermüdung aus, im englischen Sprachraum «overtraining» genannt.

Das sogenannte Übertraining, im Englischen «over-reaching», ist eine frühe Form der Trainingsermüdung. Diese Form verschwindet aber nach einer Erholungsphase innert einigen Tagen bis maximal zwei Wochen.

Beim Menschen wird das Syndrom der Trainingsermüdung oder des «overtraining» auch als «sportliches Burn-out» beschrieben. Bei Spitzenathleten wird die Toleranz von intensiven Trainingseinheiten mittels Fragebögen und eines Punktesystems erhoben. Die Fragen beziehen sich vor allem auf den mentalen Status des Sportlers, wie Erregbarkeit, Angst, Probleme in der Familie, bei der Arbeit, in der Schule, Depressionen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Bulimie und Gewichtsabnahme. Trotz zahlreichen physiologischen, biochemischen, immunologischen und psychologischen Kenngrössen konnte bis heute kein messbarer Standardparameter für die Trainingsermüdung beim Humanathleten gefunden werden.

Auch beim Pferd sind die ersten Anzeichen einer Trainingsermüdung zuerst im Verhalten zu suchen, sie scheinen «sauer» oder «launisch» zu sein. Mit fortgesetztem Training kommt es nicht mehr zu einer Leistungssteigerung. Die Erhebung des Ermüdungsstatus ist mithilfe eines Fragebogens beim Pferd nicht möglich. Stattdessen muss die Vorgeschichte des betroffenen Pferdes genau analysiert werden: Seit wann zeigt das Pferd herabgesetzte Leistung? Zeigt es Gewichtsverlust trotz guter Futteraufnahme? Kam es zu gleichzeitigem Auftreten anderer, unspezifischer Erkrankungsanzeichen? Spricht das Pferd auf Behandlungen an? Besteht verändertes Verhalten?

Zwei Fliegen mit einer Klappe: Auf der Weide Galoppieren ist Ausdauertraining und Erholung in einem. Foto: HAFL/Conny Herholz Zwei Fliegen mit einer Klappe: Auf der Weide Galoppieren ist Ausdauertraining und Erholung in einem. Foto: HAFL/Conny Herholz

Die zugrunde liegenden Mechanismen für das Syndrom der Trainingsermüdung beim Pferd sind, obwohl seit vielen Jahren intensiv erforscht, bis heute nicht vollends geklärt. Forscher haben sowohl beim Menschen als auch beim Pferd mit Trainingsermüdung herausgefunden, dass die hormonelle Steuerung vom «Stresshormon» Kortisol im Gehirn beeinträchtigt ist . Andere Forscher konnten zeigen, dass die Ausschüttung vom Wachstumshormon, das eine Rolle bei der Erholung von Stress spielt, bei Pferden mit Trainingsermüdung unregelmässiger erfolgt als bei nicht betroffenen Pferden.

Neben den hormonellen Veränderungen gibt es eine Anzahl anderer Parameter, die zur Erkennung einer Leistungsermüdung untersucht wurden. Dazu gehören Leistungsparameter wie Geschwindigkeit versus Herzfrequenz und Milchsäureanstieg, Gewicht, Verhalten, Herzfrequenzvariabilität als Stressindikator, Sauerstoffverbrauch, metabolische Störungen sowie Muskel- und Blutparameter. Trotzdem wurde auch beim Pferd noch kein universeller Parameter gefunden, der eine Trainingsermüdung in den verschiedenen Pferdeportarten zuverlässig messen könnte.

Management beim Syndrom der Trainingsermüdung

Um eine vorrübergehende Leistungseinbusse (over-reaching) auszuschliessen, sollte zunächst eine mehrtägige Trainingspause eingelegt werden. Verschwinden die Anzeichen der Müdigkeit, des Unwillens oder gar der Aggressivität beim Pferd nicht, muss eine andauernde Trainingsermüdung (overtraining) befürchtet werden.

Das Pferd sollte durch einen Tierarzt untersucht werden, um krankhafte Ursachen für die reduzierte Leistung auszuschliessen. Erkrankungen, die zu einer Trainingsermüdung beitragen können, sind beispielsweise Magengeschwüre, Lahmheiten, Rückenprobleme oder Atemwegserkrankungen. Weiterhin sind Stressfaktoren in der Umgebung des Pferdes zu berücksichtigen.

Zum Teil besuchen viele verschiedene Akteure den Stall, um das Pferd zu betreuen und zu optimaler Leistung zu bringen - auch das kann zum Stress für das Pferd werden. Lange Transporte, Stallwechsel oder Wechsel der Stallnachbarn (soziales Gefüge) sind zudem Stressoren, die Leistungseinbussen begünstigen. Deshalb ist es sehr wichtig, Pferde in einem anstrengenden Trainingsprogramm in einer weitgehenden Routine zu belassen und ein möglichst stabiles Umfeld mit nicht zu vielen verschiedenen Kontaktpersonen zu gewährleisten.

Die Arbeit mit Stangen und Cavaletti kann Abwechslung in den Trainingsalltag bringen. Foto: HAFL/Conny Herholz Die Arbeit mit Stangen und Cavaletti kann Abwechslung in den Trainingsalltag bringen. Foto: HAFL/Conny Herholz

Demgegenüber sollte das Training aber möglichst abwechslungsreich gestaltet werden. Manche Reiter trainieren ihre Pferde fünf Mal pro Woche in der Halle oder auf dem Platz mit sich häufig wiederholenden Übungen. Das macht niemandem Spass, vor allem den Pferden nicht. Arbeit im Gelände, auf dem Laufband, kleine Sprünge oder Stangenarbeit, Wassertreten u.a. können beispielsweise Abwechslung bieten. Zudem muss sich das Pferd auf der Weide austoben und entspannen können.

Bei Humanathleten wurde die Methode des «Tapering» als Vorbeuge einer Trainingsermüdung empfohlen. Unter «Tapering» versteht man die Reduktion des Trainingsumfanges (Frequenz, Dauer, Intensität) vor einem Wettkampf. Bei Ausdauersportlern (z.B. Marathon, Schwimmen, Triathlon) wird eine Reduzierung des Trainingsumfanges zwei bis drei Wochen vor dem Wettkampf empfohlen, bei Sportarten mit intensiver, kurzer Belastung (z.B. Sprinter, Gewichtheber) dauert die Trainingsreduzierung in der Regel länger. In dieser Zeit soll die Muskulatur von intensiver Arbeit regenerieren und sollen sich die Energiereserven auffüllen.

Auch im Pferdesport kann die Methode, das «Tapering» bei bestimmten Disziplinen, z.B. Distanzreiten, angewandt werden. Bei Pferdesportanlässen, bei denen über mehrere Tage auf hohem Niveau Leistung verlangt wird, werden «Taper»-Perioden von fünf bis zehn Tagen, sonst von drei bis fünf Tagen empfohlen. Grundsätzlich gibt es hier keine starren Regeln, die Entscheidung sollte individuell und dem Athleten (sei es Mensch oder Pferd) angepasst erfolgen.

Wenn eine lang anhaltende Trainingsermüdung besteht, sind die Chancen für das Pferd, zur vollen Leistungsfähigkeit zurückzukommen, vorsichtig zu betrachten. Werden die Symptome frühzeitig bemerkt und entsprechende Massnahmen ergriffen bzw. eine Behandlung eingeleitet, kann es gelingen, das Pferd wieder in seine frühere athletische Form zu bringen.

Trainingsermüdung beim Pferd? Ja, die gibt es. Trainer, Reiter, Pferdebesitzer und Pfleger sollten daher die Trainingssaison gemeinsam sorgfältig planen und dem Verhalten und Wohlbefinden ihrer Pferde grosse Aufmerksamkeit schenken.

Conny Herholz, Leiterin Pferdewissenschaften, BFH-HAFL Zollikofen

Nach der Arbeit ins Grüne - auf den Ausgleich kommt es an. Foto: HAFL/Conny Herholz Nach der Arbeit ins Grüne - auf den Ausgleich kommt es an. Foto: HAFL/Conny Herholz

Symptome einer Trainingsermüdung beim Pferd

  • Müdigkeit
  • Leistungsmangel (z.B. plötzliches Stoppen, Unwille)
  • Gewichtsabnahme trotz ungestörter Futteraufnahme
  • Appetitlosigkeit

Anzeichen von psychischem Stress wie:

  • Nervosität
  • Aggressivität
  • Muskelzittern
  • Schwitzen
  • Durchfall
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