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Wegschauen ist keine Option!

01 Februar 2022 13:30

Die Tierquälereivorwürfe, die jüngst gegen den deutschen Springreiter Ludger Beerbaum öffentlich in einer TV-Reportage erhoben wurden und nun Gegenstand von strafrechtlichen Untersuchungen sind, haben eine Frage in die internationalen Schlagzeilen gebracht, die sich unter Umständen jeder auch schon im Kleinen gestellt hat: Was kann ich tun, wenn ich ein mutmassliches Vergehen gegen die Tierschutzgesetzgebung beobachte?

Wer bei einem privaten Training mutmasslich tierschutzrelevante Handlungen beobachtet, muss sich an die Polizei wenden. Der SVPS hat in einem solchen Fall heute keine Sanktionsmöglichkeiten.  |  imago Wer bei einem privaten Training mutmasslich tierschutzrelevante Handlungen beobachtet, muss sich an die Polizei wenden. Der SVPS hat in einem solchen Fall heute keine Sanktionsmöglichkeiten. | imago

«Das melde ich dem Tierschutz!» Man würde sich wünschen, dass einem heutzutage solche Gedanken nicht mehr durch den Kopf schiessen müssten. Tatsache ist aber, dass es jedem von uns passieren kann, dass man im Alltag Situationen mit Pferden beobachtet, die mutmasslich der Tierschutzgesetzgebung zuwiderlaufen.

 

Zwei Wege

Als tierliebende Menschen ist es unsere ethische und moralische Pflicht, mutmassliche Tierschutzvergehen, die wir im Pferdesport beobachten, zu melden. Grundsätzlich gibt es hierfür zwei Optionen: die Meldung beim Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) oder die Anzeige bei der Polizei. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, ihre Möglichkeiten und Grenzen. Jeder muss für sich selbst und in Anbetracht der Sachlage entscheiden, welchen Weg er einschlagen möchte. Nur eines gilt immer: Wegschauen ist keine Option!

Im Verdachtsfall können die Offiziellen auf dem Turnierplatz Gamaschenkontrollen durchführen, um sicherzustellen, dass beispielsweise keine Spitzen Gegenstände darin verborgen sind.  |  imago Im Verdachtsfall können die Offiziellen auf dem Turnierplatz Gamaschenkontrollen durchführen, um sicherzustellen, dass beispielsweise keine Spitzen Gegenstände darin verborgen sind. | imago

Bussen und Sperren beim SVPS

Der SVPS kann nur in spezifischen Situationen selbst Sanktionen verhängen. Dies ist dann der Fall, wenn beispielsweise auf Turnieren, die dem SVPS unterstellt sind, oder in Trainings, die vom SVPS organisiert und bezahlt sind, Handlungen oder Unterlassungen beobachtet werden, die gegen die Reglemente des SVPS oder gegen die Tierschutzgesetzgebung verstossen.

Wer Zeuge einer solchen Szene wird, sollte umgehend den zuständigen Jurypräsidenten, Technischen Delegierten oder anderen Verantwortlichen des SVPS beiziehen. Dieser hat dann die Möglichkeit, eine mündliche oder schriftliche Verwarnung auszusprechen. Mündliche und schriftliche Verwarnungen - Letztere werden umgangssprachlich auch «gelbe Karten» genannt, weil sie auf dem «gelben Formular» des SVPS vermerkt werden - werden im Juryrapport bzw. im Rapport des Technischen Delegierten festgehalten, im Falle von mündlichen Verwarnungen allerdings ohne den Namen der betreffenden Person zu nennen. Auch wenn ein Richter ein Verhalten beobachtet, das aus seiner Sicht kritisch, aber noch nicht drastisch ist, kann er den Reiter mündlich verwarnen. Wenn der Reiter dann nicht reagiert, kann eine schriftliche Verwarnung mit Registrierung des Namens erfolgen. Wird eine Pferdesportlerin oder ein Pferdesportler innerhalb von zwölf Monaten zweimal schriftlich verwarnt, gelangt der Fall vor die Sanktionskommission (SAKO) des SVPS. Diese entscheidet dann über Sanktionen wie Bussen oder Turniersperren.

Natürlich kann der Richter den fehlbaren Reiter auch von der Prüfung ausschliessen oder sogar vom Platz verweisen. Eine direkte Anzeige bei der SAKO ist ebenfalls möglich. Je nach Schwere des Vergehens verfügt der Richter also über eine ganze Palette an Handlungsmöglichkeiten.

Tierschutzfälle, die beim SVPS zur Anzeige gelangen, werden dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und allenfalls, wenn die Zuständigkeit des SVPS nicht gegeben ist, der Polizei gemeldet. Tierschutzvergehen, die anlässlich von dem SVPS unterstellten Veranstaltungen vorfallen, verfolgt der SVPS selbst.

Bei der Beurteilung von gemeldeten Regelverstössen oder Tierschutzvergehen hält sich die SAKO an die Grundlagen in den SVPS-Reglementen, insbesondere im Rechtspflegereglement. Sie hat die Möglichkeit, Bussen und Turniersperren auszusprechen. Verstösse, die anlässlich einer in der Schweiz durchgeführten und dem SVPS unterstellten Veranstaltung beobachtet wurden, müssen innerhalb eines Monats der Geschäftsstelle des SVPS gemeldet werden, um dann von der SAKO aufgenommen zu werden. Danach wird es schwierig, eine zuverlässige Beweisführung und Zeugenbefragung sicherzustellen.

Gegen Entscheide der SAKO kann beim Verbandsgericht Beschwerde eingereicht werden. Dieses Gremium entscheidet als Schiedsinstanz bei Streitigkeiten über die Anwendung der Rechtssätze des SVPS zwischen Parteien, die der Verbandsgerichtsbarkeit unterstehen, sowie als Beschwerdeinstanz über erstinstanzliche Entscheide der SAKO und über die Absetzung von Offiziellen.

Bei Fehlverhalten ausserhalb des Wettkampfes kann die SAKO eine provisorische Sperre aussprechen, über die allenfalls das Verbandsgericht in zweiter Instanz zu entscheiden hat. In solchen Fällen ist eine Anzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden in der Regel der beste Weg.

Der Präsident des SVPS-Verbandsgerichts, Carl-Gustav Mez, bedauert den eingeschränkten Handlungsspielraum des Pferdesportdachverbands: «Es wäre an sich wünschenswert, dass die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Sportlerinnen und Sportlern, die ausserhalb von Wettkämpfen im Training oder ganz allgemein gegen das Tierwohl verstossen, auch von der SAKO beurteilt werden könnten. Dafür bräuchte es aber eine Änderung der entsprechenden reglementarischen Grundlagen.»

Anhand von Wärmebildkameras kann am Turnier geprüft werden, ob die Pferdebeine mittels chemischer Substanzen überempfindlich gemacht wurden.  |  imago Anhand von Wärmebildkameras kann am Turnier geprüft werden, ob die Pferdebeine mittels chemischer Substanzen überempfindlich gemacht wurden. | imago

Tierschutzvergehen sind Offizialdelikte

Etwas anders liegt der Fall, wenn es sich um Verstösse gegen das Tierschutzgesetz handelt, die nicht anlässlich einer vom SVPS regulierten Veranstaltung vorkommen. Die Schweiz verfügt über eines der weltweit strengsten Tierschutzgesetze, und jede Missachtung der darin enthaltenen Bestimmung gilt als Offizialdelikt und wird bei Anzeige zwingend von der Strafverfolgungsbehörde untersucht.

In Artikel 16 (Verbotene Handlungen bei allen Tierarten) und Artikel 21 (Verbotene Handlungen bei Equiden) der Tierschutzverordnung (TSchV) sind verbotene Handlungen enumerativ aufgezählt. Das Barren ist explizit unter Artikel 21 Buchstabe g der TSchV erwähnt und ist in der Schweiz somit ein Offizialdelikt.

Vorkommnisse, die beispielsweise in privaten Trainings oder im Wald beobachtet werden, erfordern eine polizeiliche Meldung und Untersuchung. Eine solche Anzeige kann auch anonym erfolgen. Um den zuständigen Behörden tatsächlich eine rechtliche Handhabe bieten zu können, sollte wenn möglich Beweismaterial wie Fotos oder Videoaufnahmen gesichert werden und die Kontaktinformationen von Zeugen vermerkt werden.

Bei Delikten und Vergehen, die den Tierschutz betreffen und behördlich verfolgt werden, sieht das Tierschutzgesetz (TSchG) namentlich folgendes Strafmass vor:

  • Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich ein Tier misshandelt, vernachlässigt, es unnötig überanstrengt oder dessen Würde in anderer Weise missachtet (Art. 26 TSchG).
  • Mit Busse bis zu 20 000 Franken wird bestraft, sofern nicht Artikel 26 anwendbar ist, wer vorsätzlich andere durch das Gesetz oder die Verordnung verbotene Handlungen an Tieren vornimmt (Art. 28 TSchG).

Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung bei Vergehen (d. h. Taten, die entweder mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind) beträgt 7 Jahre.

Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung bei Übertretungsdelikten (d. h. Taten, die nur mit Bussen bedroht sind) beträgt 5 Jahre.

In der Pferdehaltung ist das Verwenden von Stacheldraht für Zäune von Gehegen in den meisten Fällen verboten (Art. 63 TschV). Dennoch kann hier der SVPS rechtlich nicht eingreifen.  |  imago In der Pferdehaltung ist das Verwenden von Stacheldraht für Zäune von Gehegen in den meisten Fällen verboten (Art. 63 TschV). Dennoch kann hier der SVPS rechtlich nicht eingreifen. | imago

Anzeige beim internationalen Dachverband

Auch beim internationalen Pferdesportverband (FEI) können tierschutzrelevante Handlungen zur Anzeige gebracht werden, sofern der betreffende Vorfall Pferde und/oder Personen involviert, die beim internationalen Pferdesportverband (FEI) registriert bzw. akkreditiert sind. Zu diesem Personenkreis gehören beispielsweise auch die Mitglieder des Organisationskomitees einer FEI-Veranstaltung, FEI-Offizielle, Besitzer von FEI-Pferden oder deren Grooms.

Zu diesem Zweck hat die FEI 2010 die Equestrian Community Integrity Unit (ECIU) ins Leben gerufen. Es handelt sich hierbei um eine unabhängige, outgesourcte Einheit von der britischen Ermittlungsfirma Quest Global Ltd. Jeder kann bei dieser Stelle anonym oder namentlich Anzeige erstatten, um Vorfälle in den Bereichen Tierschutz und Doping, aber auch Ungereimtheiten im Zusammenhang mit Korruption, verbotenen Wettspielen und Ähnlichem zu melden.

Tatsächlich hält das FEI-Generalreglement fest, dass jede Person, die eine Misshandlung eines Pferdes beobachtet - sei es im Rahmen eines Turniers oder zu jedem anderen Zeitpunkt -, dies unverzüglich mittels eines «Protests» entweder einem FEI-Offiziellen oder dem FEI-Generalsekretär zu melden hat. Der FEI-Generalsekretär prüft den Protest und entscheidet, ob die Angelegenheit vor das FEI-Gericht kommt. Als Misshandlung gilt - ebenfalls gemäss FEI-Generalreglement - jede Handlung oder Unterlassung, die beim Pferd Schmerzen oder unnötiges Unwohlsein verursacht oder verursachen kann.

Wird eine Athletin bzw. ein Athlet bei der FEI gesperrt, wird diese Sperre in der Schweiz auch für den nationalen Turniersport übernommen. Umgekehrt kann wer auf nationaler Ebene gesperrt ist, auch nicht an internationalen Wettkämpfen teilnehmen.

 

Wenige Vorfälle im Schweizer Pferdesport

Es ist sicherlich der hohen Sensibilität für das Pferdewohl, das in der Schweiz vorherrscht, aber auch der hervorragenden Arbeit der Offiziellen des SVPS und der guten Zusammenarbeit zwischen dem Schweizer Tierschutz (STS) und dem SVPS zu verdanken, dass es in den vergangenen Jahren nur äusserst selten zu Anzeigen wegen Tierquälerei im Pferdesport gekommen ist.

Dennoch sieht SAKO-Präsident Thomas Räber auch hier Optimierungspotenzial: «Aufgrund der Entwicklungen auf allen Ebenen ist es wahrscheinlich an der Zeit, dass man in den Reglementen des SVPS die Möglichkeit schafft, bereits strafrechtlich Angeschuldigte, die dem Ansehen des Pferdesports schaden, schon im polizeilichen Ermittlungs- und staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsstadium vorläufig bis zum Abschluss eines entsprechenden Strafverfahrens zu sperren und damit von Veranstaltungen im In- und Ausland auszuschliessen.»

Egal ob Offizieller, Tierarzt oder einfach nur Pferdefreund: Es liegt in der Verantwortung von uns allen, schwere Regelmissachtungen oder tierschutzrechtliche Verfehlungen, die wir beobachten, beim SVPS oder bei der Polizei zur Anzeige zu bringen - zum Wohle des Pferdes und des Pferdesports.

 

Cornelia Heimgartner

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