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Wie lernen Pferde?

13 Februar 2023 09:00

Was der eine Reiter intuitiv richtig macht, ist für den anderen völliges Neuland. Anlässlich eines Seminars der IENA-Academy in Avenches hat das interessierte Publikum das Lernverhalten von Pferden theoretisch und praktisch unter die Lupe genommen - und bestimmt konnte jeder etwas auf seinem Weg mit den Pferden mitnehmen.

Verhaltensforscherinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich seit Jahrhunderten eingehend mit dem Wesen und dem Lernverhalten des Pferdes. Dabei bestätigt sich immer wieder: Die wichtigste Grundvoraussetzung, damit ein Pferd gut lernen kann, ist, dass es sich wohlfühlt. Heute braucht es dazu laut Forschern ganz kurz zusammengefasst die drei F: Freiheit, Freunde, Futter (engl: Freedom, Friends, Fourrage). Im Lernumfeld kommt eine weitere zentrale Komponente hinzu: Vertrauen. Ohne Vertrauen geht nichts, und das Vertrauen eines Pferdes gewinnt man - wissenschaftlich gesprochen - über Konditionierung. Doch was heisst das? Wir holen etwas aus und tauchen ein in die Welt der Lernpsychologie.

 

Erst das Vertrauen …

Die meisten der Leserinnen und Leser werden sich - mindestens vage - an das Thema im Biologieunterricht «klassische Konditionierung» nach Iwan P. Pawlow (1849-1936) erinnern. Bei dieser Lerntheorie geht es darum, Assoziationen zu bilden. Verbindungen werden geschaffen, die vorher nicht bestanden haben. Ein Beispiel: Wir haben ein Pferd, das nichts mit dem Menschen zu tun haben möchte. Es ist nur zufrieden, wenn es grast, sich wälzt oder Körperpflege mit Artgenossen betreibt. Das Pferd stellt zu diesem Zeitpunkt keinen Zusammenhang zwischen seiner Zufriedenheit und dem anwesenden Menschen her. Nun soll dies mithilfe der klassischen Konditionierung geändert werden: Das Pferd darf nun nur noch grasen, wenn der Mensch anwesend ist. Es wird automatisch eine Verbindung zwischen Mensch und Grasen hergestellt. Nach der Konditionierung wird das Pferd den anwesenden Menschen mit etwas Angenehmem, nämlich dem Grasen, verbinden und auch zufrieden sein, wenn der Mensch anwesend ist und es gerade (noch) nicht grasen darf. Und die sprichwörtliche Liebe muss auch nicht immer über den Magen gehen. Die französische Verhaltensforscherin Léa Lansade und ihr Team konnten nachweisen, dass die Versuchspferde nach zwölf Tagen täglichen Striegelns physiologisch signifikant anders reagierten, wenn ein Mensch ihre Boxe betreten hatte. Eine positive Beziehung und somit auch Vertrauen waren entstanden.

 

… dann die Arbeit

Ist das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Mensch geschaffen, ist die Basis für effizientes Lernen beim Pferd gelegt. Und hier kommt nun eine weitere Lerntheorie zum Zug: die operante Konditionierung nach Burrhus F. Skinner (1904-1990). Nach dieser Theorie kann das Pferd zielgerichtet trainiert und ihm langfristig etwas beigebracht werden. Man kann dabei entweder mit Belohnung (auch als «Verstärkung» bezeichnet) oder Bestrafung vorgehen. Bei Pferden wird die Verstärkung vorgezogen, um das fundamentale Vertrauensverhältnis nicht zu zerstören. Weiter unterscheidet man zwischen der positiven und der negativen Verstärkung.

Bei der positiven Verstärkung macht das Pferd etwas per Zufall, zum Beispiel hebt es das Vorderbein ähnlich dem Spanischen Schritt. Man nutzt diesen Moment, indem man direkt ein Codewort nennt und das Pferd mit einem kleinen Stück Karotte belohnt. Dieses Vorgehen wird mehrmals wiederholt, und sehr rasch lernt das Pferd, was es tun muss, wenn man das Codewort als Befehl ausspricht. Mit der Zeit kann man dann das Futterlob auch durch Stimmlob ersetzen und das Pferd nur noch von Zeit zu Zeit mit einem Stück Karotte bestätigen.

Bei der negativen Verstärkung macht man beispielsweise Druck am Bein. Gibt das Pferd nach, hört der Druck auf, was für das Pferd wie eine Belohnung wirkt. Dies kann dann wiederum positiv, beispielsweise mit der lobenden Stimme, nochmals verstärkt werden.

 

Timing ist alles

Wer seinem Pferd also etwas Neues beibringen möchte, geht dabei immer Schritt für Schritt vor. Im Durchschnitt braucht es erfahrungsgemäss rund zwanzig Wiederholungen, bis das Pferd einen Befehl erlernt. Äusserst wichtig ist dabei das Timing. Die Verstärkung nach Skinner muss unmittelbar geschehen, und zwar maximal in den acht bis zwölf Sekunden, nachdem das Pferd den erlernten Befehl ausgeführt hat. Je unmittelbarer, desto besser. Geschieht dies nicht in dieser Zeitspanne, stellt das Pferd die Verbindung zwischen der Belohnung und dem ausgeführten Auftrag nicht mehr her. Mit der Zeit muss man nicht mehr jedes Mal belohnen, der sogenannte Casinoeffekt stellt sich ein, und es reicht, hin und wieder eine Belohnung zu geben. Der Casinoeffekt ist kurz zusammengefasst die Angst, etwas wie einen Gewinn zu verpassen. Das Pferd wird den Befehl also auch ohne Futterlob ausführen, immer in der Hoffnung, dass es trotzdem etwas geben könnte.

Möchten wir also einem Pferd zum Beispiel das Hinlegen beibringen, nimmt man am besten eine Situation, in der es sich hinlegen will, zum Beispiel zum Wälzen in einer Reithalle oder auf einem Sandpaddock. Das Pferd macht also etwas ganz natürlich, und wir versuchen, einen Befehl, ein Codewort, damit zu verbinden und dem Pferd mithilfe von Verstärkung beizubringen, was wir von ihm wollen. Sehr wichtig ist auch, dem Pferd nie eine Belohnung zu geben, ohne dass es zuvor etwas leisten oder ausführen musste. So verhindert man ungewünschte Verhaltensweisen wie Betteln, Schnappen oder Arbeitsverweigerung.

Nicole Basieux

Ein Vielseitigkeitspferd, das an internationalen Prüfungen teilnimmt und sich vor der Schermaschine fürchtet, muss zum Scheren jeweils sediert werden. Anlässlich des Seminars im IENA wird es auf die Schermaschine positiv konditioniert. Das Pferd wird zunächst an das Geräusch und schliesslich die Berührung einer kleinen Schermaschine gewöhnt. Jede vertrauensvolle Reaktion wird belohnt. | © Nicole Basieux Ein Vielseitigkeitspferd, das an internationalen Prüfungen teilnimmt und sich vor der Schermaschine fürchtet, muss zum Scheren jeweils sediert werden. Anlässlich des Seminars im IENA wird es auf die Schermaschine positiv konditioniert. Das Pferd wird zunächst an das Geräusch und schliesslich die Berührung einer kleinen Schermaschine gewöhnt. Jede vertrauensvolle Reaktion wird belohnt. | © Nicole Basieux

Wenn eine grosse Schermaschine zum Einsatz kommt, wird auch die Furcht grösser. | © Nicole Basieux Wenn eine grosse Schermaschine zum Einsatz kommt, wird auch die Furcht grösser. | © Nicole Basieux

Erneut wird jede vertrauensvolle Reaktion belohnt, bis das Pferd schliesslich von sich aus auf die laufende Schermaschine zukommt. Zur Belohnung erhält das Pferd Lob durch Futter, und die Schermaschine wird ausgeschaltet. | © Nicole Basieux Erneut wird jede vertrauensvolle Reaktion belohnt, bis das Pferd schliesslich von sich aus auf die laufende Schermaschine zukommt. Zur Belohnung erhält das Pferd Lob durch Futter, und die Schermaschine wird ausgeschaltet. | © Nicole Basieux

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