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Wie viele Kilos dürfen es sein?

10 Mai 2021 09:00

Was Pferde und Ponys schadlos zu tragen imstande sind, hängt von verschiedenartigen Einflüssen ab. Das Gewicht der Reiter muss zur Tragfähigkeit der vierbeinigen Partner passen, liegt es über 20% des Idealgewichts des Pferdes, ist mit möglichen Überbelastungen zu rechnen.

Zu viele Kilos im Sattel? Viele Faktoren spielen in diese Beurteilung mit hinein.  |  © Thomas Frei Zu viele Kilos im Sattel? Viele Faktoren spielen in diese Beurteilung mit hinein. | © Thomas Frei

Am meisten Stresssymptome, weist eine Studie nach, zeigen Pferde beim Aufsitzen. Lässt sich der Einfluss des Reitergewichts noch eindrücklicher dokumentieren? Über diese schwergewichtige Frage schien jedoch ein massiger Instruktor anlässlich einer Demonstration an einer Pferdemesse noch nie nachgedacht zu haben. Unsanft plumpste er in den Sattel eines jungen Schimmels, der mit ein paar Schritten nach vorne der Last ausweichen wollte und dafür mit Rückwärtsrichten korrigiert wurde - ein Pferd hat beim Aufsitzen schliesslich still zu stehen. Ernsthaft geht dagegen die Schweizer Armee mit dem Gewicht auf dem Pferderücken schon immer um. Dem Aufladen von Lasten sind im Trainreglement mehrere Seiten gewidmet. Seitenlasten sind nur «ruhig auf das Tier zu bringen» und müssen «gleichzeitig an- respektive abgehängt» werden. Beladen wird mit einer Last zwischen 80 und 90 kg, wobei der Unterschied zwischen links und rechts nicht mehr als 1 kg betragen darf. Ist es mehr, wird ausgeglichen. Im Normalfall wird die schwerere Last erleichtert.

Schwergewichtig werden auch im Rennsport die Kilos im Sattel behandelt. Tierschützerische Überlegungen stehen allerdings nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um den Wettmarkt, den eigentlichen Lebensnerv des Rennsports. Geht man von einer Renndistanz von 2000 m aus, wird bei Zielankunft eine Länge Abstand mit 2 bis 2½ kg, ein Halsvorteil mit 1 kg eingeschätzt. Stuten haben zudem grundsätzlich 1½ kg weniger zu tragen.

Aufsitzhilfen reduzieren die Belastung.  |  © imago Aufsitzhilfen reduzieren die Belastung. | © imago

Offensichtliche Missverhältnisse zwischen Reitergewicht und Pferdegewicht werden zum Teil mit bissigen Bemerkungen zur Kenntnis genommen wie: Da frisst der Reiter auch mehr als das Pferd! Vielleicht auch weil man noch die mittelalterlichen Ritter vor Augen hat, die in ihren Eisenpanzern oft so schwer waren, dass sie in den Sattel gehoben werden mussten. In jüngster Zeit ist jedoch das für die Tragkraft eines Pferdes oder Ponys zumutbare Reitergewicht aus tierschützerischen Überlegungen heraus zu einem häufig diskutierten Thema geworden. Das Reitergewicht wurde denn auch im Turnierbericht 2020 des Schweizer Tierschutz STS kritisiert und an der Sitzung zwischen SVPS und STS traktandiert. Mit dem erfreulichen Resultat, dass der SVPS eine Arbeitsgruppe bilden wird, in der auch eine Fachperson des STS Einsitz haben wird. Für Sandra Schaefler, Verantwortliche Fachstelle Pferd beim STS, ist es erfreulich, dass sich der SVPS mit dem Thema Gewicht auseinandersetzt: «Zu viel Gewicht auf einem Pferd ist tierschutzrelevant, weil es bei den Pferden Schmerzen und Schäden verursacht. Der Verband ist für das Wohlbefinden der Sportpferde mitverantwortlich. Es ist wichtig, dass Reiterinnen und Reiter zu diesem Thema sensibilisiert werden. Wenn die Kampagne mit unserem in Vorbereitung befindlichen Merkblatt auch die Freizeitreitereiszene positiv mitbeeinflusst, umso besser.»

Es mag wohl auffallen, wenn eine heranwachsende Reiterin über ihr Pony hinausgewachsen oder ein fein gebautes Pferd mit dem menschlichen Gewicht auf dem Rücken einfach überladen ist. Doch wie viele Kilos es im Sattel sein dürfen, hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann bestenfalls mit in Prozenten definierten Richtwerten angegeben werden. Eine Antwort darauf hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung: «Aus unserer Sicht ist eine maximale Gewichtsbelastung von 15 bis 20 Prozent des Körpergewichtes des Pferdes als Richtwert angemessen. Eine ‹scharfe› Grenze wird der Sache in keiner Weise gerecht.» Im Ponyland England wurden allerdings schon vor ein paar Jahren Richtwerte festgelegt. Seit 2016 können Stewards und Richter bei Ponyreitern Gewichtskontrollen durchführen und sie zum Absitzen auffordern oder gar ausschliessen. Und die FEI hat jüngst den brasilianischen Dressurreiter Leandro Aparecido Da Silva für drei Jahre gesperrt und mit einer Busse von 5000 Franken bestraft, weil er letztes Jahr beim Reiten und Misshandeln des sehr kleinen Ponys seiner Tochter gefilmt worden war.

Wie schwer ist mein Pferd eigentlich? Eine Formel aus Brustumfang und Körperlänge kann Aufschluss geben.  |  © Thomas Frei Wie schwer ist mein Pferd eigentlich? Eine Formel aus Brustumfang und Körperlänge kann Aufschluss geben. | © Thomas Frei

Was als Faustregel gilt

Als Faustregel für grundsätzliche Traglastgrenzen (prozentuales Gewichtsverhältnis Mensch zum Eigengewicht Pferd) gibt der VFD an:

  • 15% Belastungsgewicht bei alten, jungen und wenig trainierten Pferden
  • 17,5% Belastungsgewicht bei Reitanfängern, Gelegenheitsreitern und schwerfälligen Reitern
  • 20% Belastungsgewicht als maximale Belastungsgrenze für alle anderen Reiter
  • 25 oder gar 30% Gewichtsbelastungen gehen zunehmend mit Schäden an der Muskulatur einher und können dauerhafte Schäden verursachen.

Das Lebendgewicht seines Pferdes lässt sich auf der Grosswaage einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, auf einer mobilen Pferdewaage oder mit dem Gewichtsmessband ermitteln.

Es gibt zudem einfache Methoden zur Abschätzung der maximalen Gewichtsbelastung respektive des Körpergewichts:

Mit den Gewichten von Pferd und Reiter ist für die deutschen Tierschutz-Tierärzte die tatsächliche Tragfähigkeit eines Pferdes noch nicht abschliessend ermittelt. Einen vertieften Einblick gewähren die Breite der Lendenpartie sowie der Umfang des Röhrbeines. Für sie bietet der sogenannte «Röhrbeinbelastungsindex» eine Methode zur Einschätzung der Stabilität des Fundaments: Je höher der Wert, desto belastbarer ist das Pferd. Er variiert vom Minishetlandpony von 9,5 bis zum Kaltblut von 3,0. Berechnet werden kann der RI mit folgender Formel:

Anhand des Röhrbeinumfangs kann die Belastbarkeit des Pferdes berechnet werden.  |  © Thomas Frei Anhand des Röhrbeinumfangs kann die Belastbarkeit des Pferdes berechnet werden. | © Thomas Frei

Den Wert von 20 Prozent des Körpergewichts des Pferdes nennt auch eine aktualisierte britische Studie1 als oberste Grenze. Versuche mit schweren und sehr schweren Reitern (20% Gewichtsbelastung und höher) mussten abgebrochen werden, weil alle Pferde Zeichen von Unwohlsein, Schmerzen und Lahmheit zeigten. Zu ähnlichen Werten kommt die deutsche «Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz» im Merkblatt «Reitergewicht». Seit Pferde geritten würden, stelle sich die Frage nach ihrer maximalen Belastbarkeit. Eine Frage, die aktueller denn je sei. Bei der Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten sei - wird richtigerweise festgehalten - zu beachten, dass ein Pferd zusätzlich zum Gewicht seines Reiters unter Umständen auch durch eigenes Übergewicht belastet werde. Unter dem Begriff «Pferd» verstehen die deutschen Tierärzte normal gewichtige, regelmässig trainierte und ausreichend bemuskelte Pferde und Ponys. Als Sonderfall werten sie das Islandpferd: «Islandpferde werden seit Jahrhunderten auf eine reiterliche Nutzung durch erwachsene Reiter gezüchtet. Trotz ihrer relativ geringen Widerristhöhe und dem dadurch auch geringeren Gewicht gegenüber anderen Pferden und Kleinpferderassen haben Isländer in den vergangenen Jahrhunderten einige Besonderheiten entwickelt, die sie befähigen, vergleichsweise hohe Gewichte relativ schadlos zu tragen. Die etwas höhere Belastbarkeit von Isländern wurde in Studien von 2017 auch wissenschaftlich nachgewiesen.»2,3

Auf einen oberen, noch vertretbaren Wert kommt auch der Fachbeirat «Ethik und Tierschutz» der «Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer Deutschland» (VfD) in seinem Positionspapier zum im letzten Frühjahr durchgeführten Symposium. Viele Faktoren beeinflussten - schreibt der VfD - die Tragfähigkeit eines Pferdes. Typische «Gewichtsträger» gebe es nicht. Ein Pferd aber könne durchaus in einem bestimmten Rahmen dahin entwickelt werden. Die Tragfähigkeit der Pferde unterliege verschiedenartigen Einflüssen, die einzeln oder zeitgleich zusammenwirken können. Dabei unterlässt er nicht, die Reiter in die Pflicht zu nehmen: «Reiter müssen alle Auswirkungen kennen und berücksichtigen, denn die biomechanischen Zusammenhänge und die Gesetze der Physik geben den Rahmen für alle Betrachtungen hinsichtlich der Tragfähigkeit vor.»

Nebst dem Gewicht des Reiters wirken geforderte Leistung, gewähltes Tempo, Ausrüstung und reiterliche Fähigkeiten stark auf die Tragbelastung ein. Die Grundsätze «Mit einem unpassenden Sattel ist jeder Reiter zu schwer» und «It’s the speed that kills the horse» gilt es so ernst zu nehmen wie reiterliches Können. Ist das Pferd körperlich fit und bezüglich seiner Körperhaltung unter dem Sattel adäquat trainiert, haben die Reiterinnen und Reiter hinsichtlich ihres Gewichts einen grösseren Spielraum. Es liegt vor allem in der Verantwortung der Reiterinnen und Reiter, dass sie den für ihre gewählte Disziplin und ihr Körpergewicht verantwortbaren Pferdetyp als Partner auswählt.

Thomas Frei



1 S. Dyson, A. D. Ellis, R. Mackechnie-Guire, J. Douglas, A. Bondi, P. Harris (2019): «The influence of rider:horse bodyweight ratio and rider-horse-saddle fit on equine gait and behaviour: A pilot study.»

2 G. J. Stefansdottir, V. Gunnarson, L. Roepstorff, S. Ragnarsson, A. Jansson (2017): «The effect of rider weight and additional weight in Icelandic horses in tölt: part I. Physiological responses.» Animal (2017), 11:9, 1558–1566 

3 V. Gunnarsson, G. J. Stefansdottir, A. Jansson, L. Roepstorff (2017): «The effect of rider weight and additional weight in Icelandic horses in tölt: part II. Stride parameters responses.» Animal (2017), 11:9, 1567–1572

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