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Dossier: Pferdewissenschaften

Pferdefütterung - Raufutter ist das A und O

30 Oktober 2022 23:58

Kunterbunte Müslimischungen, leistungsunterstützende Zusatzfuttermittel sowie hochwertiges Heu oder Heulage. Wenn sich die Pferdehalterin und der Sportreiter einmal mit der ganzen Palette an Futtermitteln beschäftigen, könnte es ihnen schon fast schwindelig werden. Das «Bulletin» war an einem Workshop des Schweizer Tierschutz STS zum Thema Pferdefütterung dabei.

Die Fachleute sind sich einig: «Back to the roots» oder in diesem Fall wohl besser «Zurück zum Grundnahrungsmittel» muss das Mantra lauten. Ganz wichtig und zuoberst auf dem Futtermittelzettel der Pferde sollte Gras stehen, in seiner bekannten ursprünglichen Form oder dann getrocknet als Heu oder allenfalls als Heulage. Aus klimatischer Sicht besteht in unseren Breitengraden grundsätzlich die Möglichkeit, Pferde ganzjährig auf Weiden zu halten. In der Schweiz könnte dies allerdings vielerorts wegen mangelnder Böden eher schwierig werden. Mindestens über die Wintermonate werden wohl die meisten Pferdehalter ihren Pferden Heu hinzufüttern müssen, um den täglichen Nahrungsbedarf der Vierbeiner zu decken.

Heu bildet die Basis der Pferdefütterung. | © imago Heu bildet die Basis der Pferdefütterung. | © imago

Effizienter Dickdarmverdauer

Es ist äusserst aufschlussreich zu wissen, wie der Verdauungstrakt eines Pferdes aufgebaut ist und wie seine Verdauung überhaupt funktioniert. Denn sie unterscheidet sich ganz erheblich von jener beim Menschen oder auch bei anderen Nutztieren wie etwa Schafen oder Kühen, die Wiederkäuer sind. Das Magenvolumen ist beim Pferd im Vergleich zu seinem Körper eher klein, nämlich lediglich 8 bis 15 Liter. Die Nahrung verweilt in diesem Verdauungstrakt nur sehr kurz, nämlich ein bis fünf Stunden. Danach durchläuft sie den 16 bis 24 Meter langen Dünndarm zur enzymatischen Verdauung, was so viel bedeutet wie: Hier werden Kohlenhydrate, Proteine und Fette durch körpereigene Enzyme verdaut.

Die Verweildauer der Nahrung in diesem Trakt ist ebenfalls eher kurz und liegt bei rund 1,5 Stunden. Dann kommt der ganze Verdauungsbrei in den stark erweiterten Dickdarm, der in Blind- (Länge: 1 m; Verweildauer: 20 h), Grimm- und Mastdarm (3-4 m; 20 h) aufgeteilt wird. In diesem Teil findet die Verdauung von Rohfasern wie Cellulose und Hemicellulose sowie von sonstigen noch nicht verdauten Kohlenhydraten durch Mikroben statt. Der Nahrungsbrei verbringt rund 40 Stunden im Dickdarm. Die ganze Verdauung dauert beim Pferd als effizientem Dickdarmverdauer fast zwei komplette Tage.

Die Anatomie des Pferdes mit (v.l.n.r.) den Lungen und dem Verdauungstrakt mit den Gedärmen | © imago Die Anatomie des Pferdes mit (v.l.n.r.) den Lungen und dem Verdauungstrakt mit den Gedärmen | © imago

Raufutter - das Lebenselixier

Ganz grundsätzlich braucht ein Pferd eine möglichst kontinuierliche Futteraufnahme. Die Futterpausen sollten nicht länger als drei bis fünf Stunden sein. Die Basis einer Futterration bildet Raufutter wie Heu, Heulage oder Gras. Denn das können die Pferde am besten verdauen. Die Empfehlung liegt hier bei mindestens 1,5 Kilogramm Trockensubstanz Raufutter pro 100 Kilogramm Körpermasse. Dies entspricht bei einem rund 600 Kilogramm schweren Pferd einem Minimum von 9 Kilogramm Heu pro Tag.

Ist das Grasangebot auf der Weide klein, sollte zusätzlich Heu zur Verfügung gestellt werden. | © imago Ist das Grasangebot auf der Weide klein, sollte zusätzlich Heu zur Verfügung gestellt werden. | © imago

Heu allein geht auch

Oftmals wird die Frage aufgeworfen, ob man Pferde auch ausschliesslich mit Heu füttern kann. Conny Herholz, Tierärztin und Dozentin für Pferdewissenschaften an der Berner Fachhochschule, antwortet anlässlich des Workshops des Schweizer Tierschutz STS: «Ja, das geht. Bei einem Pferd, das leichte bis mittlere Arbeit verrichtet, reichen 12 Kilogramm Heu einer mittleren Qualität pro Tag.»

Je nach Arbeit, Alter und Fütterungszustand des Pferdes müssen das Raufutter und allfällige Futtermittelzugaben wie Getreide, Öle, Mineralstoffe, Vitamine und Salze jedoch entsprechend angepasst und zugegeben werden. Logischerweise braucht ein Haflinger, der zwei- bis dreimal pro Woche je ein bis zwei Stunden gemütlich ausgeritten wird, nicht das Gleiche wie ein Vielseitigkeitspferd auf Viersterneniveau, das an internationalen Wettkämpfen startet, und auch nicht das Gleiche wie eine Zuchtstute mit Fohlen bei Fuss.

 

Auge für den Fütterungszustand schulen

An vier praxisorientierten Posten konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des STS-Workshops mit verschiedenen Themen rund um die Fütterung auseinandersetzen und mit den Expertinnen und untereinander diskutieren und sich austauschen. Beispielsweise konnten sie ihr Auge schulen, was den Fütterungszustand - den sogenannten Body Condition Score (BCS) - verschiedener Pferde betrifft. Nicht selten werden Pferde als leichter und schlanker wahrgenommen, als sie es in Wirklichkeit sind. Darum ist eine regelmässige Kontrolle auf einer Grosstierwaage von Vorteil.

Wer Heu und Raufutter sagt, denkt auch ganz rasch an den möglichen vorhandenen Staub und gar Pilzsporen und Mikroben. Der Zusammenhang zwischen Futterqualität, Hygiene und Lagerung des Futters und Lungenproblemen bei Pferden sowie wie man diesen vorbeugen oder sie gar vermeiden kann, war ebenfalls ein sehr spannendes und aufschlussreiches Thema dieses Workshops. Allein durch das Nässen des Stallgangs vor dem Wischen minimiert man den Staubanteil in der Luft um ein Vielfaches, und natürlich sollten die Pferde möglichst draussen sein, wenn gewischt wird.

Die Raufutterqualität ist entscheidend. Nicht immer ist eine schlechte Qualität so offensichtlich wie bei dieser schimmligen Silage. | © imago Die Raufutterqualität ist entscheidend. Nicht immer ist eine schlechte Qualität so offensichtlich wie bei dieser schimmligen Silage. | © imago

Esel sind keine Pferde

Nicht alle Equiden funktionieren gleich, was die Fütterung anbelangt. Die Spezialistin Conny Herholz wies eingehend darauf hin, dass Esel andere Bedürfnisse haben als Pferde. Beispielsweise ist die Gefahr von Verfettung und entsprechenden gesundheitlichen Problemen bei Eseln viel grösser als bei Pferden, wenn sie nicht artgerecht gehalten und gefüttert werden.

Nicole Basieux

Vielseitiger Workshop
Der vom Schweizer Tierschutz STS jährlich durchgeführte Equiden-Workshop fand dieses Jahr unter der Leitung von Sandra Schaefler an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen statt. Eingeladen waren die Mitglieder des STS-Pferdelabels, die Teilnehmer der Kampagne «Pferde raus» und weitere interessierte Equidenhaltende. Weitere Informationen zu den Tätigkeiten des STS im Bereich Equiden sind zu finden unter:
www.tierschutz.com/pferde und
www.tierschutz.com/esel

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