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Springen

«Pferde haben mich Geduld und Ausdauer gelehrt», sagt der 101-jährige William de Rham

08 November 2023 09:00

Mit 101 Jahren ist William de Rham der älteste lebende Schweizer Olympiateilnehmer in der Disziplin Springen. Über 50 Jahre lang war de Rham im Reitsport aktiv. Als Teenager nahm er zum ersten Mal an Wettkämpfen teil und gewann seine letzte Prüfung im Alter von 71 Jahren.

Der Familienname «de Rham» ist in der Schweiz eher Synonym für Immobilien als für Pferdesport. Das zweistündige Gespräch mit William de Rham drehte sich jedoch ausschließlich um Pferde. Er gibt zu, dass ihm das Lesen von E-Mails wegen seiner nachlassenden Sehkraft schwerfällt und dass er nicht mehr reiten kann, weil sein Gleichgewicht nicht mehr ganz so gut ist wie es einmal war.

«Von meinem 18. bis zum 85. Lebensjahr bin ich jeden Morgen und Abend geritten», sagt de Rham stolz. «Man muss sehr flexibel sein, um ein Pferd zu reiten. Und jeder Pferdesportler weiss: Wenn man drei Monate nicht reitet und dann versucht, wieder auf ein Pferd zu steigen, hat man am nächsten Tag Muskelkater und Schmerzen. Ich bin überzeugt, dass die Ausübung des Reitsports bis ins hohe Alter in meinem Leben eine Rolle bei der Erhaltung meiner Gesundheit gespielt hat.»

Der Höhepunkt seiner internationalen Karriere war die Teilnahme mit der Schweizer Mannschaft an den Olympischen Spielen 1956 auf seinem Pferd Va Vite. Obwohl die Olympischen Spiele in jenem Jahr nach Melbourne vergeben wurden, fanden die Reitwettbewerbe wegen der australischen Quarantänebestimmungen in Stockholm statt. William de Rham belegte den 19. Platz in der Einzelwertung und den neunten Platz in der Mannschaftswertung zusammen mit seinen Teamkollegen Marc Büchler und Alexander Stoffel.

William de Rham (SUI) fügt im Oktober 2023 am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees stolz seine Unterschrift und den Namen von Va Vite, seinem Begleiter bei den Olympischen Spielen 1956, zur Olympischen Wand hinzu. (Foto: IOC/Greg Martin) William de Rham (SUI) fügt im Oktober 2023 am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees stolz seine Unterschrift und den Namen von Va Vite, seinem Begleiter bei den Olympischen Spielen 1956, zur Olympischen Wand hinzu. (Foto: IOC/Greg Martin)

Auf dem Tisch neben de Rham liegt ein Sammelalbum mit Zeitungsausschnitten, Fotos von Wettkämpfen, Ergebnissen und Broschüren aus jenen Wochen in Stockholm. Auf einer Seite ist ein Bild des 34-jährigen William de Rham in seiner Militäruniform zu sehen. Als pensionierter Angehöriger der Schweizer Armee hatte de Rham den Rang eines Majors inne, als er in jenem Jahr an den Olympischen Spielen teilnahm. Zwischen diesem Foto und dem heutigen Tag liegen mehr als 65 Jahre, aber das Lächeln von de Rham ist sofort zu erkennen. Auch einige bekannte Gesichter sind auf den Fotos zu sehen, darunter eine junge Königin Elizabeth und ihre Schwester Prinzessin Margaret, die den Wettkampf von der Seitenlinie aus verfolgen.

«Es herrschte eine unglaublich angenehme Atmosphäre in Stockholm, wo Reiter aus der ganzen Welt zusammenkamen», erzählt de Rham. «Pferdesportler sind eine besondere Gemeinschaft und wir haben uns alle gut verstanden. Aber es war trotzdem überraschend, die schwedische Königin in der Menge spazieren gehen zu sehen, und ich habe sogar die englische Königin mit ihrer Schwester Prinzessin Margaret aus nächster Nähe gesehen! »

Olympische Spiele Stockholm 1956. Die Schweizer Springreiter Equipe mit Equipenchef Louis Dégallier, Alexander Stoffel, Marc Büchler und William de Rham (Bild: Archiv Max E. Ammann) Olympische Spiele Stockholm 1956. Die Schweizer Springreiter Equipe mit Equipenchef Louis Dégallier, Alexander Stoffel, Marc Büchler und William de Rham (Bild: Archiv Max E. Ammann)

Olympische Spiele Stockholm 1956. William de Rham auf Va Vite (Bild: Archiv Max E. Ammann) Olympische Spiele Stockholm 1956. William de Rham auf Va Vite (Bild: Archiv Max E. Ammann)

Für William de Rham ist der Reitsport nicht nur eine sportliche Betätigung, sondern eine tief verwurzelte Leidenschaft - eine Gabe -, die ihm und anderen Mitgliedern seiner Großfamilie seit zwei Generationen weitergegeben wurde. De Rham macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung darüber, dass seine Kinder seine Leidenschaft für Pferde nicht teilen. Aber gerade diese Distanz scheint seiner Tochter Gisèle Collomb einen tiefen Respekt und Einblick in die Liebe ihres Vaters zu den Pferden gegeben zu haben.

«Mein Vater hat uns nie zum Reiten gedrängt», erklärt Collomb. «Er hat immer daran geglaubt, dass die Verbindung eines Menschen mit einem Pferd nicht erzwungen werden kann, sondern dass sie aus freien Stücken entstehen muss. Er hat ein absolut außergewöhnliches Reiterleben geführt. Viele Menschen reiten Pferde, weil sie das Gefühl haben, dass Tiere sie besser verstehen als Menschen. Aber wenn der Alltag sie einholt, wenn sie einen Job finden oder verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen, hören sie auf zu reiten. Mein Vater hat seine Leidenschaft und Liebe zu den Pferden nie aufgegeben, obwohl er tagsüber einen anstrengenden Job als Immobilienmakler hatte. »

William de Rham, 2019 (Bild: Swiss Equestrian/Nadine Niklaus) William de Rham, 2019 (Bild: Swiss Equestrian/Nadine Niklaus)

CHIO Nizza 1956: Dritte im Nationenpreis von Nizza mit Equipenchef Louis Dégallier, Frank Lombard auf Fürst, William de Rham auf Va Vite, Heinz Buhofer auf Gute und Marc Büchler auf Duroc (Bild: Cornaz) CHIO Nizza 1956: Dritte im Nationenpreis von Nizza mit Equipenchef Louis Dégallier, Frank Lombard auf Fürst, William de Rham auf Va Vite, Heinz Buhofer auf Gute und Marc Büchler auf Duroc (Bild: Cornaz)

Auf die Frage «Was haben Sie von den Pferden gelernt?» antwortet William de Rham ohne zu zögern. «Die Pferde haben mich Geduld und Ausdauer gelehrt. Man kann nicht erwarten, dass ein Pferd von heute auf morgen mit einem arbeitet. Man muss die Beziehung zu Pferden jeden Tag aufs Neue aufbauen. Man muss Freundlichkeit, Respekt und Vertrauen entwickeln. Tiere haben ein hoch entwickeltes Gespür dafür, was um sie herum passiert. Wenn man sich ärgert und versucht, sein Pferd zu reiten, wird es wahrscheinlich nicht gut gehen, weil das Pferd das auch spürt. Wenn man Angst hat, über ein Hindernis zu springen, spürt auch dies das Pferd und hat ebenfalls Angst. Man muss einen beruhigenden Einfluss auf sie ausüben und ihr Vertrauen aufbauen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Kontakt zu einem anderen Lebewesen wie einem Pferd und die Art und Weise, wie man sich verhält und fühlt, eine wichtige Rolle für dessen Verhalten spielt. »

Im Oktober 2023 wurde de Rham eingeladen, die olympische Mauer im Olympischen Haus in Lausanne zu unterzeichnen. Neben seinem Namen schrieb er voller Stolz den Namen des Pferdes, das einen tiefen Hufabdruck in seinem Gedächtnis hinterlassen hat - Va Vite.

«Ich kaufte Va Vite kurz nach dem Krieg von einem Bauern in Frankreich für tausend Schweizer Franken. Er war ein hervorragendes Pferd, das den Charakter und die Bereitschaft besaß, mit mir zu arbeiten. Er hat mir alles gegeben und ich wusste, was ich tun musste, um das Beste aus ihm herauszuholen», so de Rham. «Die Leute waren überrascht, dass ich seinen Namen an die Wand geschrieben habe. Aber für mich war es ganz normal, dass ich das getan habe - wir waren ja schließlich ein Team. »

 

Das Gespräch führte Vanessa Martin Randin /FEI

Das Olympiapferd Va Vite von William de Rham, 1954 (Bild : Cornaz) Das Olympiapferd Va Vite von William de Rham, 1954 (Bild : Cornaz)

Berner Pferdesporttage Hptm. William de Rahm auf Va Vite, Sieger des Armeepreises von Bern 1952 (Bild: Archiv Max E. Ammann) Berner Pferdesporttage Hptm. William de Rahm auf Va Vite, Sieger des Armeepreises von Bern 1952 (Bild: Archiv Max E. Ammann)

Max Ammann, Autor des Jubiläumsbuches «120 Jahre Pferdesport Schweiz» im Gespräch mit William de Rham 2019 (Bild: Swiss Equestrian / Nadine Niklaus) Max Ammann, Autor des Jubiläumsbuches «120 Jahre Pferdesport Schweiz» im Gespräch mit William de Rham 2019 (Bild: Swiss Equestrian / Nadine Niklaus)

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