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Dossier: Ausbildung

Die Blockade im Kopf oder wenn das Pünktchen auf dem i fehlt

17 Oktober 2016 11:48

Reiter und Pferd sind körperlich fit, trainieren optimal – alles gut so weit, könnte man meinen. Doch das Paar kann im Wettkampf seine Leistungen nicht abrufen. Wo liegt das Problem? ­Vielleicht verspannt sich der Reiter, atmet nicht mehr korrekt oder hat einfach Angst, einen Fehler zu machen. In solchen und vielen anderen Situationen kann Mentaltraining interessante Werkzeuge bieten, mit denen der Athlet solche Schwierigkeiten meistern kann.

Mentaltraining ersetzt das Training mit dem Pferd oder das Fitnesstraining des Reiters nicht. Jedoch kann es sehr hilfreich und unterstützend sein – in vielen Belangen. Es spielt keine Rolle, welche Pferdesportdisziplin der Athlet ausübt, denn überall können Hindernisse, Störfaktoren insbesondere Ablenkungen oder Probleme auftauchen. Sei dies zum Beispiel das Umfeld, das gerade Nachwuchsreiterinnen oder -reiter sehr beeinflusst, Eltern, Schule, Freunde oder sei es die manchmal etwas hektische Situation auf dem Abreiteplatz. Ebenso sollten Probleme, (z.B. technische Fehler in den verlangten Lektionen) welche in den Trainingstagen vor dem Prüfungstag auftreten, unbedingt «abgearbeitet» werden. Die Gefahr besteht, dass der Reiter diese mental speichert und die Konzentration nicht gewährleistet ist. All diese Faktoren können den Sportler aus dem Gleichgewicht bringen und mit ihm natürlich auch sein Pferd. Denn Pferde sind sehr sensible Wesen und nicht selten spüren sie haargenau, wie es ihrem Reiter gerade geht.

Die Nachwuchsverantwortlichen der Disziplinen Dressur und Springen des Schweizerischen Verbands für Pferdesport SVPS sind sich einig: «Die Möglichkeit, sich auch mental zu stärken, ist eine zusätzliche Hilfe, vor allem für die jungen Reiterinnen und Reiter», bestätigt Cornelia Notz, Equipenchefin der Children Springen und seit 2016 verantwortlich für den mentalen Bereich der Nachwuchsspringreiter. Die Nachwuchsverantwortliche der Disziplin Dressur, Heidi Bemelmans, unterstreicht das doppelt:

«Gerade vor Meisterschaften und wichtigen Turnieren, wenn die Anspannung der Teilnehmer steigt, ist ein Mentalcoach Gold wert.»

Sie erzählt, dass das diesjährige Pony-Team erstmalig an einer Europameisterschaft an den Start ging. Am Abschlusstraining war dann auch Mentalcoach Esther Müller (s. Kasten) dabei, die das Team so richtig zusammengeschweisst hat. «Es war wirklich sehr schön, wie die Jugendlichen sich über die gesamte Wettkampfzeit gegenseitig unterstützt haben», schwärmt Heidi Bemelmans.

Ausprobieren und erleben

Cornelia Notz gibt ihren Schützlingen jeweils verschiedene Werkzeuge, eines der wichtigsten Instrumente ist die Reflexion. Auch bereits kurze Atemübungen können helfen, einen zu hohen Puls zu kontrollieren und den Fokus an den richtigen Ort zu bringen.. Der Nachwuchs sei noch sehr offen dafür, und sie probierten auch noch gerne aus. Bei Athleten, die bereits grosse Erfolge verbuchen konnten, ist die Bereitschaft nicht immer da. Erfolgreiche Sportler haben auch ihre Rituale, welche auch Gegenstand der mentalen Vorbereitung sind. Schlussendlich sollte, was gut funktioniert und für den Athleten stimmt, auch nicht geändert werden. Mentaltraining ist sehr individuell und benötigt vorwiegend die Bereitschaft, die Motivation und auch Zeit des Athleten. In erster Linie geht es ja immer um den Menschen: «Zum Beispiel mache ich die Reiter darauf aufmerksam, sich auch mal selber zu beobachten. Auf was konzentrieren sie sich beim Reiten? Sind sie wirklich bei sich und ihrem Pferd? Oder lassen sie sich von äusseren Bedingungen ablenken?», erklärt Cornelia Notz. Manch einer merkt dann, dass er von sich und dem Pferd fast Unmögliches verlangt, weil er gleichzeitig mit den Gedanken irgendwo ist, nur nicht da, wo er eigentlich sein sollte.

Damit Nachwuchsreiter den Sprung an die Spitze schaffen, langfristig Erfolg haben und vor allem glücklich sind und bleiben, ist aus der Sicht von Cornelia Notz, Mentaltraining etwas sehr positives und unterstützendes. Mentale Stärke kann in knappen Wettkampfsituationen zwischen Sieg und Niederlage entscheiden.

«Reiter, die glücklich sind, bleiben länger im Sport und sind auch zufriedener und ausgeglichener im Umgang mit den Pferden»,

sagt sie. «Der Leistungssport heutzutage ist sehr anspruchsvoll. Es reicht eben nicht mehr technisch gut zu reiten, hochkonzentriert zu sein und gute Pferde zur Verfügung zu haben. Da spielt sich mental sehr viel ab», bestätigt auch Heidi Bemelmans, die den Schweizer Dressurnachwuchs betreut. Gewinnen tun die, die eben nicht nur reagieren, sondern auch agieren und eine Einheit mit ihrem Pferd bilden können.

Nicole Basieux

Drei Fragen an einen international gefragten und erfolgreichen Mentalcoach

Esther Müller ist ausgebildete Psychologin und hat sich auf das Gebiet des individuellen Coachings spezialisiert. Sie ist Mentalcoach von erfolgreichen Spitzen- und Breitensportlern. Ihre Kundschaft reicht von Formel-1-Rennfahrern, Judoka über Top-Fussballschiedsrichterinnen bis hin zu Berufsleuten und Studierenden. Sie arbeitet auch mit verschiedenen Schweizer Reiterinnen und -reitern der verschiedensten Disziplinen, Kategorien und Leistungsstufen.

«Bulletin»: Esther Müller, wozu dient mentales Training im Reitsport?

Esther Müller: Die mentale Vorbereitung ist ein wichtiger Teil, um sich auf seine Leistung vorzubereiten, mit der man die gesteckten Ziele erreichen will. Das Gehirn spielt bereits lange vor einer ausgeführten Bewegung schon eine grosse Rolle. Es funktioniert in diesem Sinne wie ein Navigationsgerät. Das gilt übrigens nicht nur für Athleten und Athletinnen im Reitsport, sondern so ziemlich für alle Lebensbereiche.

Wie arbeiten Sie mit Athleten, die zu Ihnen kommen?

Als Erstes muss ich diese Menschen persönlich kennen lernen. Das ist sehr wichtig. Persönlich muss es für den Athleten, und auch für mich, stimmig sein. Es bringt wirklich nichts, zu einem Coach zu gehen, mit dem man sich nicht wohl fühlt oder dem man nicht vertraut. Wenn die Chemie zwischen uns passt, versuche ich mit der Person herauszufinden, was ihre Bedürfnisse und Ziele sind. Ich versuche meine Leute immer sehr ganzheitlich zu coachen. Dazu gehört auch, das Umfeld zu analysieren, in dem sie leben. Nach der Analyse erhält der Sportler dann individuelle Übungen, die er dann selbständig regelmässig ausführen muss. Ich sehe mich als Coach wie eine Art Stützräder, die das Fahrrad stützen, auf dem der Athlet sitzt, bis er ohne diese Unterstützung weiterfahren kann.

Was für individuelle Übungen müssen Ihre Sportler absolvieren?

Auf diesem Gebiet hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es sind sehr praktische Übungen. Früher bestand von mentalem Training noch die Auffassung, dass der Sportler einfach die Augen schliesst und seine Bewegungsabläufe oder den Wettkampf visualisiert. Doch das mentale Coaching, das ich anbiete, geht wesentlich weiter. Es animiert und verknüpft die verschiedenen Regionen im Gehirn, die für Erfolge optimal funktionieren und zusammenspielen müssen.

Weitere Informationen: www.mentalskills.ch

Entspannungs- und Konzentrationsübungen zusammengestellt von «Sport-time»

Bereits in den drei ersten Teilen der Serie zum Thema Reiterfitness konnten im «Bulletin» verschiedene wichtige Aspekte betreffend reiterliche Fitness aufgezeigt werden. Die einzelnen Inhalte sind auch auf der Webseite www.fnch.ch unter Pferd+ > Themendossiers > Ausbildung zu finden. Das «Bulletin» und «Sport-time» wünschen Ihnen viel Spass und Erfolg mit den folgenden Übungen!

Blitzentspannung
In den Bauch einatmen, beim Ausatmen wie auf einen Blitzschlag sämtliche Muskeln hängen lassen, Schulter tief fallen lassen, bei jedem Atemzug tiefer und tiefer entspannen.

Als Bild kann eine Marionette dienen, bei der man alle Fäden durchschneidet und welche danach ganz schlaff daliegt.

Quelle: Seiler & Stock, Handbuch Psycho-Training im Sport – Methoden im Überblick, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1994.

Progressive Muskelentspannung
Bei der Muskelentspannung spannt man eine Muskelgruppe zunächst bewusst maximal an, um diese anschliessend wieder vollkommen zu entspannen. Durch den Kontrast von Anspannung und Entspannung wird deutlich, was Entspannung ausmacht.

• Bequeme Sitzposition einnehmen

• Rechte Hand zur Faust ballen und den rechten Arm maximal anspannen

• Spannung 3–5 Sekunden halten

• Faust öffnen und Arm entspannen

• 20–30 Sekunden Gefühl der Entspannung wahrnehmen

• Vorgang 2-mal wiederholen, dann zum linken Arm wechseln

Es dürfen auch andere Muskelgruppen an- und entspannt werden.

Quelle: Seiler & Stock, Handbuch Psycho-Training im Sport – Methoden im Überblick, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1994.

Zeitlupen-Tempo
Die Bewegungsgeschwindigkeit verlangsamen und alles in Zeitlupe machen. Beispielsweise auch in Zeitlupe mit jemandem sprechen.

Quelle: Bender&Draksal, Das Lexikon der Mentaltechniken – Die besten Methoden von A bis Z., Draksal Fachverlag Leipzig, 2009.

Innerlich zählen
Augen schliessen, innerlich zählen. Dabei nur an die Zahlen denken. Jedes Mal, wenn ein anderer Gedanke (z. B. Was mache ich heute noch?) auftaucht, wieder bei null zu zählen beginnen.

Quelle: Bender&Draksal, Das Lexikon der Mentaltechniken – Die besten Methoden von A bis Z., Draksal Fachverlag Leipzig, 2009.

Vor den Wettkampf: Nochmal Visualisieren und Konzentrieren. Vor den Wettkampf: Nochmal Visualisieren und Konzentrieren.

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