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Dossier: Veterinärmedizin

Turnierpferde im Visier der Wissenschaft

22 August 2023 09:30

Sobald die Rede auf das Wohlergehen von internationalen Turnierpferden kommt, gehen die Wogen hoch und Gräben tun sich auf. Die einen sagen, kein Pferd wird besser betreut und umsorgt als das Turnierpferd, die anderen sind überzeugt, das Reisen und die Leistungsanforderung seien purer Stress für die Pferde. Nun soll eine Forschungsgruppe, der «Scientist Circle», rund um den CHIO Aachen der Diskussion eine wissenschaftliche Grundlage geben - mit viel Schweizer Engagement.

Das «Bulletin» sprach mit Dominik Burger, Tierarzt und Equipenchef der Schweizer Vielseitigkeits-Elite, der als Experte für Leistungsphysiologie und Sportmedizin im «CHIO Aachen Scientist Circle» mitarbeitet.

 

«Bulletin»: Dominik Burger, wie ist die Initiative «CHIO Aachen Scientist Circle» zustande gekommen, und welche Ziele verfolgt sie?

Dominik Burger: Die öffentliche Diskussion rund um das Wohlergehen von internationalen Turnierpferden wird in letzter Zeit immer heftiger und lauter geführt. Das hat auch die Sportchefin des CHIO Aachen, Birgit Rosenberg, zu spüren bekommen. Dabei wurde ihr bewusst, dass noch zu wenig wissenschaftliche Fakten vorhanden sind, wie es diesen Pferden tatsächlich geht. Es werden von allen Seiten nur subjektive Wahrnehmungen als Argumente vorgebracht. Das wollte Birgit Rosenberg ändern und hat eine Initiative lanciert, um unter anderem proaktiv Daten rund um das Pferdewohl beim CHIO Aachen zu sammeln. So hat sich eine Gruppe von Expertinnen und Experten zusammengefunden, um gemeinsam wissenschaftliche Erfahrungen auszutauschen sowie Daten zu sammeln und auszuwerten. Als ich angefragt wurde, ob ich mitmachen würde, habe ich sehr gerne meine Unterstützung zugesagt, denn als Wissenschaftler und auch als Equipenchef habe ich eine besondere Verantwortung für das Wohlergehen der Pferde. Wenn wir faktenbasiert wissen, wie es den Pferden auf Turnieren geht, dann können wir dort, wo es Optimierungspotenzial gibt, auch gezielt Verbesserungen anbringen. Auch wird so ein transparentes Monitoring der Pferde möglich. Die Fragestellungen sind dabei relativ breit gefasst: Wie reisen Pferde komfortabel? In welcher Unterbringung fühlen sie sich wohl? Welche Faktoren verursachen Stress?

Das Swiss Eventing Team am CHIO Aachen 2023, das am Forschungsprojekt beteiligt ist (v. l. n. r.): Nadja Minder, Andrew Nicholson (Cross Coach), Mélody Johner, Patrick Rüegg, Robin Godel. | © zVg Das Swiss Eventing Team am CHIO Aachen 2023, das am Forschungsprojekt beteiligt ist (v. l. n. r.): Nadja Minder, Andrew Nicholson (Cross Coach), Mélody Johner, Patrick Rüegg, Robin Godel. | © zVg

Welche weiteren Expertinnen und Experten sind sonst noch in dem Projekt vertreten?

Zum einen ist da Dr. med. vet. Miriam Baumgartner, die am Schweizer Nationalgestüt Agroscope in Avenches als Expertin für Pferdehaltung und Pferdeverhalten arbeitet.

Dann Prof. Dr. med. vet. Konstanze Krüger-Farrouj, die an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen in Deutschland eine Professur für Pferdehaltung innehat. An derselben Hochschule lehrt auch Prof. Dr. Dirk Winter, der im Forschungsprojekt den Bereich der Pferdewirtschaft abdeckt. Weiter Dr. med. vet. Monika Venner, Verhaltensexpertin und Fachtierärztin für Pferde an der Pferdeklinik Destedt und Privatdozentin an der TiHo Hannover.

Richtig spannend und innovativ wird es auch mit dem Naturwissenschaftler Dr. Arne-Rasmus Dräger der Firma Acaris. Er ist Experte für künstliche Intelligenz (KI) und hat ein KI-basiertes Kamerasystem entwickelt, das beispielsweise das Schlaf-, Liege-, Trink- und Fressverhalten von Pferden überwacht und analysiert, daraus «lernt» und Abweichungen von gewohnten Mustern meldet, da dies ein Hinweis auf Stress oder ein gesundheitliches Problem des Pferdes sein kann.

Weiter ist da noch Prof. Dr. Guy Chéron von der Universität Brüssel in Belgien. Sein Fachgebiet ist die Neurophysiologie und Bewegungsbiomechanik. Er befasst sich also mit dem Nervensystem und Hirnströmen, ursprünglich beim Menschen, aber auch beim Pferd. Er erforscht unter anderem, welche Muster bei Hirnstrommessungen auf Gefühle wie Angst oder Stress hindeuten.

Die KI-Kamera erfasst die Position und die Aktivität des Pferdes. | © Acaris Die KI-Kamera erfasst die Position und die Aktivität des Pferdes. | © Acaris

Das klingt faszinierend und nach einer geballten Ladung an Fachkompetenz! Wie sieht denn nun das konkrete Vorgehen aus?

Wir haben nun unter anderem ein Pilotprojekt gestartet, um erste Erkenntnisse zum Wohlergehen der Pferde im Rahmen der Haltung zu Hause und auf dem Turnierplatz zu gewinnen. Dafür konnte ich die Vielseitigkeitsreiterinnen und -reiter aus meinem Team gewinnen, die am CHIO Aachen an den Start gingen. Auch sie waren sofort interessiert an dem Projekt und bereit, mitzumachen.

Zunächst mussten alle Bewilligungen eingeholt werden, denn Forschungsprojekte mit Tieren unterliegen in Deutschland wie in der Schweiz sehr strengen Regelungen zum Schutz der Tiere in Forschungsversuchen. Wir haben diese aber alle erhalten und konnten loslegen.

Vier Tage vor der Abreise nach Aachen, während des CHIO Aachen und vier Tage nach der Rückkehr von Aachen wurden die Pferde mit den KI-Kameras überwacht, und es wurden täglich Kotproben genommen, um das Stresshormon Cortisol darin zu messen. Das war ein ziemlich hoher Aufwand, damit die erhobenen Daten dann auch wissenschaftlich hieb- und stichfest sind.

Die gewonnenen Daten müssen dann auch noch interpretiert werden. Das braucht sehr viel Erfahrung, gerade auch im Sport. Nehmen wir das Beispiel Stress: Natürlich kann der Transport und die fremde Umgebung Stress verursachen, aber auch eine sportliche Leistung an sich bedeutet ein gewisser Stress - das gehört dazu und ist nicht zwingend negativ! Aber klar: Jede physische und psychische Überforderung muss vermieden werden.

Bei einem Pferd der deutschen Dressurreiterin Isabell Werth wurden am CHIO Aachen zudem die Hirnströme mithilfe einer Art Mütze mit Sensoren gemessen. Dies sowohl im Ruhezustand im Stall als auch beim Training. Auch hier ging es vor allem darum, Erfahrungen bei den Messungen zu sammeln.

Auch das Pferd der deutschen Dressurreiterin Isabell Werth wurde am CHIO Aachen von der KI-Kamera diskret überwacht. | © Acaris Auch das Pferd der deutschen Dressurreiterin Isabell Werth wurde am CHIO Aachen von der KI-Kamera diskret überwacht. | © Acaris

Wann werden erste Ergebnisse der Pilotstudie vorliegen?

Erste Ergebnisse werden voraussichtlich im Herbst vorliegen. Anschliessend werden wir entscheiden, ob wir das Projekt im Design ändern oder ausdehnen und gegebenenfalls eine grössere Versuchsreihe aufbauen. Die Forschungsaktivitäten des «CHIO Aachen Scientist Circle» sind als langfristiges Projekt gedacht, sodass in den kommenden Jahren noch weitere Untersuchungen zum Wohlergehen der Pferde durchgeführt werden sollen. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei der Schweizer Stiftung «Pro Pferd» bedanken, die wissenschaftliche Projekte zum Wohl des Pferdes und zur Verbesserung der Interaktion zwischen Mensch und Pferd fördert und unsere Pilotstudie unterstützt.

Das Gespräch führte
Cornelia Heimgartner

Zur Person

PD Dr. med. vet. Dominik Burger ist Privatdozent und Leiter am Standort Avenches (VD) des Schweizerischen Instituts für Pferdemedizin (ISME) der Universität Bern. In diesem Zusammenhang hat er eine Vielzahl an Forschungsprojekten realisiert und betreut bis heute zahlreiche Spitzenpferde unter anderem bei der leistungsorientierten Trainingsoptimierung, insbesondere in der Disziplin Concours Complet.

Beim Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) engagiert sich Dominik Burger als Tierarzt seit über 30 Jahren insbesondere im Concours Complet und in der Endurance in verschiedenen Funktionen. Heute betreut und begleitet er die besten Schweizer Reiterinnen und Reiter der Disziplin Concours Complet als Equipenchef und Kaderverantwortlicher.

Dominik Buger als Eqiupenchef an der CC-Europameisterschaft 2023 in Le Pin au Haras (FRA). | © Dirk Caremans Dominik Buger als Eqiupenchef an der CC-Europameisterschaft 2023 in Le Pin au Haras (FRA). | © Dirk Caremans

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