Über drei Wochen lang war die Delegation des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport unterwegs und auf der anderen Seite des Teichs. Nun sind alle Zwei- wie auch Vierbeiner wohlbehalten wieder zurück, und der Moment ist gekommen, zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen.
Erbrachte Leistung wurde mit Medaillen belohnt. Foto: Dirk Caremans
Seit 1990 werden im Vierjahresrhythmus die Weltreiterspiele WEG (World Equestrian Games) durchgeführt. Diese beinhalten die Weltmeisterschaften der acht FEI-Disziplinen: Dressur, Springen, Concours Complet, Fahren, Endurance, Voltige, Reining und Para-Equestrian.
Gemäss den Reglementen und Weisungen der FEI wird der Anlass an einen Organisator vergeben, der sich darum bewirbt. Da es sich um einen immensen Grossanlass handelt, der punkto Teilnehmeranzahl in den letzten Durchführungen - zumindest auf dem europäischen Kontinent - noch zugenommen hat, ist es immer schwieriger, interessierte und motivierte Organisatoren zu finden, die einen solchen Grossanlass auch durchführen wollen und können.
Wechsel des Organisators
Nach 2014, als die WEG in der Normandie stattgefunden hatten, bewarb sich Bromont in Kanada für die Durchführung 2018. In der Folge hatte Bromont den Zuschlag erhalten. Zwei Jahre vor der Durchführung gab dieser Organisator jedoch das Mandat an die FEI zurück: Er hatte Bedenken, die Durchführung organisatorisch wie auch finanziell stemmen zu können. Die FEI fand anschliessend mit Mark Bellissimo in Tryon, North Carolina, USA, einen Unternehmer, der bereit war, relativ kurzfristig die WEG 2018 durchzuführen.
Strenge Selektionskriterien
Der Vorstand des Schweizerischen Verbands für Pferdesport (SVPS) hatte zusammen mit den Disziplinen 2016 beschlossen, grundsätzlich an den WEG in Tryon mit unseren Athleten teilzunehmen - unter der Voraussetzung, dass sie die erforderten Qualifikations- und Selektionskriterien erfüllen. Letztere wurden bewusst höher als früher angesetzt, und es wurde dementsprechend wesentlich mehr verlangt, als die FEI für eine Teilnahme vorschrieb. Auch konnte der SVPS die benötigten finanziellen Mittel, die für solche Wettkämpfe ausserhalb von Europa sehr hoch sind, bereitstellen. Die Mittel stammen unter anderem aus einer Stiftung, von Swiss Olympic und PluSport sowie aus den verschiedenen Sportbudgets der Disziplinen, womit kein Geld von den übrigen Aufgaben des Verbandes bzw. für die Basis «abgezwackt» wurde. Zudem wurde mit den Leitungsteams der Disziplinen besprochen, dass sich im Härtefall auch die einzelnen Athleten würden beteiligen müssen. Dann ging es konkret los mit der Organisation.
Teilnahme wertvoll und unverzichtbar
Die Teilnahme an solchen Championaten ist für einen Sportverband sehr wichtig. Bei den olympischen Disziplinen geht es bereits wieder um die Qualifikationen für die kommenden Olympischen Spiele. Weiter geht es um eine Standortbestimmung: Wo steht der schweizerische Pferdesport im Vergleich mit den übrigen Nationen? Zudem haben unsere Pferdesportlerinnen und Pferdesportler so die Gelegenheit, an Titelwettkämpfen teilzunehmen und somit für ihren Einsatz und ihre langjährige, zielgerichtete Arbeit entschädigt zu werden. Wie die Erfahrung in der Vergangenheit gezeigt hat, bedeutet das Fernbleiben an solchen Titelkämpfen ein Rückschritt, der den Anschluss an die Spitze oder das internationale Niveau erschwert.
Trotzdem kann es vorkommen, dass in der einen oder anderen Disziplin lediglich Einzelathleten oder auch mal gar niemand geschickt werden kann. So war es denn auch für die WEG in Tryon: Der SVPS konnte in sechs der acht FEI-Disziplinen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diese WEG in Tryon nennen und entsenden. Weder im Reining noch im Para-Equestrian Dressage konnten Schweizer Athleten selektioniert werden.
Folgende Bemerkungen möchte ich, nach Reihenfolge der Durchführung, zu den einzelnen Disziplinen machen:
Endurance: totales Chaos von A bis Z - zurück bleibt Frust
Unser Team, das aus vier Reiterinnen bestand, musste ein unsäglich schlecht organisiertes Rennen am allerersten Wettkampftag in Angriff nehmen. Ein absolut chaotischer Start führte nach der ersten Runde bereits zu einem Unterbruch des Rennens. Kurz vor dem Mittag wurde das Rennen - neu über 120 Kilometer - ein zweites Mal gestartet. Die widersprüchlichen Informationen, ein intensiver Regenniederschlag, dadurch schwierige Bodenverhältnisse, extreme Wetterverhältnisse mit sehr hohen Temperaturen und einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit sowie eine den Bedingungen nicht angepasste Reitweise etlicher Pferdesportler bewirkte, dass viele Pferde sehr schlechte Gesundheitswerte hatten. Die Offiziellen entschieden sich deshalb, das WEG-Rennen, das ursprünglich über 160 Kilometer hätte gehen sollen, nach der 3. Runde definitiv abzubrechen.
Dieses Fiasko wird hoffentlich noch intensive Diskussionen bei der FEI nach sich ziehen. Ohne grundlegende Änderungen ist diese Disziplin für den Pferdesport nicht tragbar, und sie schädigt das Image des gesamten Pferdesportes. Die Leistung des Schweizer Teams konnte unter diesen Umständen nicht wirklich beurteilt werden, wenn es auch etwas nachdenklich stimmen muss, dass sich zum Zeitpunkt des Rennabbruchs gerade noch eine Schweizer Reiterin im Rennen befand: Alles, was für die Beteiligten zurückblieb, sind viel Aufwand und Kosten, eine grosse Frustration und am Ende kein Resultat.
Endurance: Wenigstens waren die Schweizer Pferde durch das chaotische Rennen nicht gefährdet. Bild: Sandra Bechter mit Ultrachik de Becherel (links) und Andrea Amacher mit Rustik d’Alsace. Foto: Dirk Caremans
Das noch im Rennen verbliebene Schweizer Paar: Patricia Schilliger und Djoba de Luriecq. Foto: Dirk Caremans
Dressur: wertvolle Erfahrungen - jedoch unter den Erwartungen
Auch in der Disziplin Dressur hatten wir ein Team, bestehend aus vier Reiterinnen, am Start. In der Teamwertung kam die Schweiz auf dem 13. Schlussrang zu stehen. Auch schaffte es keine Einzelreiterin, sich für den Grand Prix Spezial zu qualifizieren. Mit dem erreichten Resultat wurden die Erwartungen nicht erreicht. Alle vier Reiterinnen haben das vorhandene Potenzial nicht ausschöpfen können.
Dies ist meiner Meinung nach sicher auch darauf zurückzuführen, dass die Teilnehmerinnen wenig Turniererfahrung auf diesem Niveau haben und ein gewisser Bekanntheitsgrad bei den Richtern noch fehlt. Die gemachten Erfahrungen werden dem Team auf alle Fälle helfen, weitere Fortschritte zu machen. Positiv ist zu erwähnen, dass das Team gut zusammengearbeitet hat und auf dem richtigen Weg ist, um den Anschluss im Mittelfeld der Dressurnationen zu finden.
Concours Complet: Potenzial und Wille vorhanden - Ziel resultatmässig nicht erreicht
Ein Dreierteam vertrat die Schweiz im Concours Complet. Ein bereits nominiertes viertes Paar fiel kurz vor den WEG verletzungsbedingt aus und kein weiteres Schweizer Paar konnte nachselektioniert werden. Somit fehlte ein viertes Paar, und man hatte das grosse Handicap, über kein Streichresultat zu verfügen. Mit dem 16. Schlussrang in der Teamwertung lag das Schweizer CC-Team klar unter den Erwartungen.
Das Team hat jedoch die Prüfung erstmals seit 20 Jahren komplett beendet, was in dieser Disziplin ohne Streichresultat nicht selbstverständlich ist. Weiter haben die Schweizer Paare individuell in einzelnen Teildisziplinen glänzen können. Das junge Team - es war mit Abstand das jüngste an den WEG - hat klar gezeigt, dass das Talent, Potenzial und der Wille vorhanden sind, den Anschluss ans Mittelfeld in absehbarer Zeit zu schaffen.
Concours Complet: Patrizia Attinger und Hilton P anlässlich der Dressurprüfung. Foto: Dirk Caremans
Concours Complet: In allen drei Teildisziplinen positive Ansätze. Bild: Robin Godel und Grandeur de Lully CH. Foto: Dirk Caremans
Felix Vogg und Colero. Foto: Dirk Caremans
Voltige: Grosser Erfahrungsschatz schenkt zweimal Silber ein
Das Team, die Pas-de-Deux- wie auch die Einzelathletinnen und der Einzelathlet der Disziplin Voltige haben mit ihren Longenführern ihre grosse Erfahrung mit solchen Titelkämpfen an den WEG in Tryon ausgespielt. Zwei Silbermedaillen und viele gute Klassierungen unterstrichen die Macht der Voltigenation Schweiz.
Es war eindrücklich, zu sehen, welche Leistungen diese jungen Athletinnen und der Athlet an den Wettkämpfen abrufen und zeigen konnten. Dabei muss auch erwähnt werden, dass diese Disziplin von «reinen» Amateuren ausgeführt wird. Dies ist nur möglich dank optimalem Umfeld, das die Jugendlichen aufopfernd unterstützt und fördert.
So sieht ein motiviertes und erfolgreiches Team aus! Foto: Nadine Niklaus
Voltige: Team Lütisburg auf dem Weg zu Silber. Foto: Daniel Kaiser
Springen: Olympiaticket und zwei Einzelmedaillen
Drei Springreiter und eine -reiterin vertraten die Schweiz in dieser Disziplin. Ein fünfter Reiter hatte die unangenehme Aufgabe, als Reservereiter mitzureisen, ohne jedoch zu einem Wettkampfeinsatz zu kommen. Von den Springreitern hat man gute Resultate erwartet, und diese haben sie auch erbracht.
Obwohl in der Nationenwertung nach zwei Tagen überlegener Führung für die Schweiz «nur» der undankbare vierte Rang resultierte, gab es statt der anvisierten Teammedaille am Sonntag - mit einmal Silber und einmal Bronze - gleich zwei Einzelmedaillen. Mit dem vierten Rang in der Teamwertung haben sich die Schweizer Springreiter den Quotenplatz für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, Japan, gesichert. Diese Leistungen zeigen, dass die Schweizer Springreiter ganz vorne bei der Weltspitze angesiedelt sind.
Steve Guerdat und Bianca. Foto: Dirk Caremans
Martin Fuchs und Clooney. Foto: Dirk Caremans
Fahren: mit Fribi-Power zu einem hervorragenden 5. Rang
An den WEG beinhaltet die Disziplin Fahren lediglich die Vierspänner. Die Schweiz wurde durch einen Einzelfahrer vertreten, da nicht genügend Vierspännerfahrer für eine Mannschaft zur Verfügung stehen. Die Leistungen des reinen Freibergergespanns von Jérôme Voutaz sind beachtlich und beeindruckend, und das Fahrerteam erreichte den fünften Schlussrang.
In der Teildisziplin Dressur ist sicher noch Verbesserungspotenzial vorhanden. Im Marathon war das Gespann mit seinem Fahrer und den Grooms absolute Weltklasse, und auch im Kegelfahren redeten die Schweizer vorne mit. Zudem machte das Gespann beste Werbung für die Freiberger, die punkto Leistungswille, Robustheit und Ausdauer sehr positiv aufgefallen sind.
Motivation pur! Foto: Dirk Caremans
Nach dem erfolgreichen Marathon wird gefeiert. Foto: Nadine Niklaus
Das grundlegende Fazit: intensive und erfolgreiche Expedition
Die WEG in Tryon waren vom Organisator schlecht vorbereitet, und ein grosser Teil der Infrastrukturen war zum Zeitpunkt des Anlasses schlicht nicht bereit. Dies hat viel Kritik und Missverständnis bei den teilnehmenden Nationen und allen Interessierten ausgelöst. Die vergebende FEI hat bei der «Begleitung» des Veranstalters vom Zuschlag bis zum Beginn des Anlasses hin wohl auch zu spät eingegriffen. Die Frage, ob es solche immensen Grossanlässe braucht, und wie sie organisiert, durchgeführt und nicht zuletzt finanziert werden können, muss grundsätzlich überdacht werden.
Positiv muss jedoch vermerkt werden, dass der Organisator und die vielen freiwilligen Helfer keine Mühe gescheut haben, trotz «zu» spätem Beginn mit dem Aufbau der versprochenen Infrastrukturen, für die Pferde und die Wettkämpfe gute Bedingungen zu schaffen - mit Ausnahme der Disziplin Endurance.
Die Delegationsleiterinnen und -leiter der verschiedenen Nationen wurden jedoch vor und während dieser Weltreiterspiele in Tryon bis an die Grenze der Belastbarkeit gefordert. Doch auch hier hat unsere Chefin de Mission, Evelyne Niklaus, mit ihrem Team sehr erfolgreich gewirkt, so dass sich die Delegationsmitglieder auf ihre Aufgaben respektive auf den Sport konzentrieren konnten.
Die WEG 2018 waren sportlich für den Schweizer Pferdesport sowie den Schweizerischen Verband für Pferdesport eine sehr intensive und gesamthaft gesehen erfolgreiche Expedition: Noch nie gab es vier Medaillen an WEG für die Schweiz. Ich danke an dieser Stelle allen, die zu diesen tollen Leistungen beigetragen haben - inklusive der Pferdebesitzer und der Menschen aus dem Umfeld unserer Pferdesportler, die uns im Vorfeld, vor Ort und von zu Hause aus unterstützt haben.
Peter Christen, Vorstandsmitglied SVPS, Verantwortlicher Wettkampfsport