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Dossier: Ausbildung

Ein Jubiläum mit einer langen Vorgeschichte

11 August 2015 10:51

Eine Erfolgsgeschichte feiert Jubiläum: Das Reiterbrevet vom Schweizerischen Verband für Pferdesport wird 25 Jahre alt. Rund 92'000 Reiter und Fahrer sind heute im Besitz des Diploms. Doch die Anfänge reichen viel weiter zurück.

Es ist der 13. Oktober 1990 in Neuenegg in der Nähe von Bern. Im Reitstall von Hermann Mäder reitet eine bunt gemischte Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen im Sandviereck. In der Gruppe traben sie Schlangenlinien, galoppieren einzeln an und überwinden mit ihren Pferden über 
60 Zentimeter hohe Hindernisse. Am Rande bewertet der Chefrichter Bruno Kalt, eidgenössisch diplomierter Reitlehrer, das Geschehen und macht sich eifrig Notizen. Für jeden Teilnehmer, für jede Lektion stehen Bewertungspunkte von 1 bis 3 zur Verfügung.

Nach dem Vorreiten werden die Prüflinge vor den Augen der Experten die Pferde abzäumen und absatteln. Danach geht’s zum schriftlichen Test: Welches Gewächs ist für die Pferde giftig? Wie viele Rückenwirbel hat ein Pferd? Wie führt man ein Pferd korrekt vor? Mit Eifer setzen sich die Kandidaten hinter das Ausfüllen der zwanzig Fragen auf ihrem persönlichen Theoriebogen – und schreiben mit jeder Aufgabe auch ein Stück Schweizer Pferdegeschichte mit. Schliesslich sind sie die ersten Absolventen des «Reiterbrevets», welches vom Schweizerischen Verband für Pferdesport SVPS entwickelt wurde. 

Ursprung in der klassischen Reitweise
Bis zu diesem Zeitpunkt im Oktober 1990 war es indes ein langer Weg, welcher schon in den frühen 70er Jahren seinen Anfang fand. Damals kämpfte der Reitlehrer Christian Liersch für eine schweizweite Grundlagenausbildung in der klassischen Reiterei. «In der Pferdeszene grassierte Wildwuchs. Fast jeder Reitstall bot seine eigenen Fantasieabzeichen an – von der goldenen Nadel bis hin zum Heiligen-St.-Georg-Abzeichen reichten die Angebote», erinnert sich Liersch schmunzelnd. Dem gebürtigen Österreicher war dies ein Dorn im Auge.

Angelehnt an die deutsche Ausbildung schwebten ihm einheitliche Richtlinien vor. Liersch erstellte Anforderungsprofile für die unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen und gestaltete Theorieteile. Dann trug er seine Idee an Paul Weier in Elgg. Eine Stunde Zeit erhielt er, um über 150 Reitlehrer von seiner Idee zu überzeugen. Das war 1981.

Es gelang ihm – und der Schweizerische Verband für Berufsreiter und Reitschulbesitzer (SVBR) führte das «Reiterbrevet» ein. Liersch engagierte sich weitere Jahre ehrenamtlich für die Administration, dann wurde ihm der Aufwand zu gross und er übergab sie seinem Verband, welcher die Unterlagen 1989 dem damaligen SRF (heute SVPS) übergab.

Auch für Freizeitreiter
Dort spielte man seit längerem mit dem Gedanken, eine Ausbildung unabhängig von Rasse und Reitart einzuführen. «Wir wollten auch Reiter ohne wettkampfmässige Ambitionen ansprechen. Uns schwebte sozusagen ein ‹Fahrausweis› für alle, die sich mit Pferden beschäftigen, vor», erinnert sich Simone Rubli, Kommission Breitensport. Besonders ein Punkt lag der Gangpferdereiterin am Herzen: «Jeder – unabhängig vom Ausweis als Ausbildner – sollte Brevetkurse anbieten können.» Die Qualität sollte durch zwei Richter, wovon einer davon ein eidgenössisch diplomierter Reitlehrer war, gewährleistet werden.

Die Kommission erarbeitete entsprechende Reglemente, Weisungen und Wegleitungen. Was erwartete man von den Reitern? Was verlangten die theoretischen Grundlagen? Und wie sollte der grafische Auftritt aussehen? Dabei griff sie auf verschiedene Unterlagen – auch vom Schweizerischen Verband für Berufsreiter und Reitschulbesitzer – zurück und erweiterte ­diese. Am Ende lagen über einhundert Arbeitsblätter in zehn verschiedenen Kapiteln über Pferdepflege, Anatomie, Krankheiten, Reitregeln, Pferd und Umwelt und vieles mehr vor.

Die ersten zwei Auflagen erinnerten dabei fast etwas an einen Bastelevent. Die Teilnehmer mussten Bilder von giftigen Pflanzen ausschneiden, Knochen anmalen und Zaumzeuge einkleben, wie Mitverfasserin Rubli erzählt. Vor allem von den Trainsoldaten, für welche das Brevet obligatorisch war, wurde sie einige Male spitzbübisch darauf angesprochen: «Sie nannten es Theorie­lektionen mit Trudi Gerster», sagt Rubli lachend.

Probelauf mit Isländern
Beim ersten Pilotdurchlauf des Brevets mussten die Teilnehmer indes noch auf die Unterlagen verzichten – diese befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch im Druck. «Wir lernten mit einzelnen Kopien», erinnert sich Eve Barmettler. Auf ihrem Islandhof in Sins wurden im Sommer 1990 während einer Woche die Kandidaten auf den Test vorbereitet. Zwei Lektionen Theorie, zwei Lektionen Reiten jeden Tag. Am Samstag dann kamen die Richter, darunter auch Bruno Kalt, und nahmen die Prüfung ab. «Es lief alles reibungslos – so dass der offiziellen Einführung nichts mehr im Wege stand», erinnert sich Kalt.

Der Rest ist Geschichte: Bereits nach zwei Jahren stellte der SVPS das 10 000. Diplom aus. Kurz darauf führte er das Fahrerbrevet ein. Im Jahr 2000 folgte das separate Brevet für Western- und Gangpferdereiter. Daneben trug die technische Entwicklung das Ihrige bei. Seit 1996 sind alle Absolventen digital gespeichert. Auch das Brevetbuch à la Trudi Gerster gehört der Vergangenheit an.

Viele Absolventen benutzen heute das eigens entwickelte E-Learning-System. «Gerade für die Jungen ist das Lernen am Computer gang und gäbe», sagt Emmanuelle Santini, welche beim SVPS für Brevet und Lizenzen zuständig ist. Bis heute besitzen rund 92 000 Personen in der Schweiz den Ausweis. 80 Prozent davon sind Frauen. Eine Zahl, die für sich spricht: «Die Basisausbildung hat sich sehr bewährt», sagt Santini. Dem stimmen weitere Experten zu. Bruno Kalt, Richter der ersten Stunde: «Das ist im Kern eine ganz gute Sache!»

Sarah Forrer

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