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Dossier: Tierschutz & Ethik

Tierschutz und Pferdesport im Dialog

17 Dezember 2019 08:00

Der Schweizer Tierschutz (STS) verfolgt das Geschehen im Pferdesport sehr aufmerksam und übte in seinen Turnierberichten wiederholt harsche Kritik an Vorkommnissen, die Tierschützer auf Abreitplätzen beobachtet haben. Doch es gibt auch die positiven Beispiele und auf diesen lag der Fokus des STS-Workshops «Pferdegerechter Sport» vom 15. November in Matzendorf (SO).

Die Grand-Prix-Reiterin Birgit Wientzek Pläge erklärt die Wirkungsweise des Radsporens. (Foto: K. Stuppia) Die Grand-Prix-Reiterin Birgit Wientzek Pläge erklärt die Wirkungsweise des Radsporens. (Foto: K. Stuppia)

Konzentriert dreht die athletische Rappstute ihre Runden, schnaubt zufrieden ab und wird von ihrer Reiterin immer wieder mit der Stimme und einem aufmunternden Klaps am Hals gelobt. Es ist eine Freude, der Schweizer Kaderreiterin der Dressurelite, Birgit Wientzek Pläge, und der neunjährigen Dolce Vita beim lockeren Abreiten zuzusehen. Dass das Pferd gegen Ende der Aufwärmphase eine hohe sportliche Leistung erbringt, steht ausser Frage. Genauso offensichtlich ist aber auch, dass es mit Enthusiasmus und Motivation bei der Sache ist. Dank dem fachkundigen Kommentar der S-Dressurrichterin Dr. Barbara Gorsler wird auch dem dressurunkundigen Zuschauer klar, welche Überlegungen hinter den einzelnen Übungen stehen und worauf damit hingearbeitet wird. Das ist zielgerichtetes, planmässiges Aufwärmen und Vorbereiten auf eine Wettkampfleistung, wie es jeder Spitzensportler kennt.

 

Gutes Reiten erleben

An diesem Workshop, bei dem namhafte Persönlichkeiten aus dem Pferdesport Referate hielten und Einblick in ihr Training gewährten, standen der Dialog und der Wissenstransfer im Vordergrund. So erklärte die Initiantin Sandra Schaefler von der Fachstelle Heimtiere/Pferde des STS gleich zu Beginn der Veranstaltung: «Der Schweizer Tierschutz wendet sich nicht gegen den Pferdesport, dieser muss dem Pferd gegenüber aber fair sein.»

Wie komplex es ist, diese Anforderung zu erfüllen, erläuterte Dr. Barbara Gorsler in ihrem Inputreferat über das pferdegerechte Reiten aus ihrer Warte als Dressurrichterin. Sie gab zu bedenken, dass vor dem Turniererfolg die sorgfältige Vorbereitung steht und diese schon mit der Frage beginnt, ob Pferd und Reiter auch wirklich zueinander passen: Sind das Talent bzw. die Veranlagung des Pferdes mit der Erwartungshaltung bzw. dem Können des Reiters vereinbar? Sind die beiden auch bezüglich Grösse und Gewicht ein harmonisches Paar? Aber auch Aspekte wie der Charakter des Reiters - die Fähigkeit zu Einfühlungsvermögen und Selbstreflexion - und das Wissen um die biomechanischen Zusammenhänge seien wichtige Faktoren des pferdegerechten Sports, wie Gorsler erklärte.

Die Harmonie als Leitgedanke der Pferdeausbildung demonstrierte Barbara Gorsler schliesslich auch im praktischen Teil, beim kommentierten Dressurreiten. Zusammen mit der Amateurreiterin Rébecca Lüthi und ihrem charmanten neunjährigen Fuchswallach Weltpunkt erläuterte Gorsler die Bedeutung der Losgelassenheit beim Abreiten und später auch bei der Entwicklung von Lektionen, und dies auf jedem Leistungsniveau. Oder um es mit den Worten der Dressurrichterin zu sagen: «Man kann jedes Pferd fordern, darf es aber niemals überfordern.»

Wie hautnah dieser Anschauungsunterricht war, bewiesen Rébecca Lüthi und Birgit Wientzek Pläge im Anschluss an ihre Ritte. Sie beantworteten gerne die Fragen der Zuschauer, Lüthi liess den Chef Wettkampfsport des SVPS, Franz Häfliger, die neue Schablone zur Messung der Nasenbandverschnallung, die ab 2020 in allen Disziplinen zum Einsatz kommt, demonstrieren, und Wientzek Pläge lud dazu ein, ihren Radsporen anzufassen und erläuterte dessen feine Wirkungsweise.

Franz Häfliger demonstriert die neue Schablone zur Messung der Nasenbandverschnallung. (Foto: K. Stuppia) Franz Häfliger demonstriert die neue Schablone zur Messung der Nasenbandverschnallung. (Foto: K. Stuppia)

Gymnastik für Springpferde

Auch bei den Springpferden muss der Fokus in der Aufwärmphase zunächst auf der Durchlässigkeit und der Dehnungsbereitschaft liegen. Dies erklärte der Coach der Schweizer Elitespringreiter und Teilnehmer an Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften Thomas Fuchs eindrücklich beim kommentierten Training des siebenjährigen Ghost de Réville, geritten von der Bereiterin Stefanie Lauber. Mit Schulterherein, Kruppeherein und vielen Tempowechseln wurde der talentierte Youngster zusehends lockerer. Nun ging es über ein paar Cavaletti und schliesslich über eine Gymnastikreihe. Immer wieder betonte der erfahrene Ausbilder, wie wichtig die feine Hand und das lockere Bein des Reiters sind.

Schliesslich plauderte Fuchs noch aus dem Nähkästchen und erklärte, dass die Abwechslung im Trainingsprogramm ein entscheidender Erfolgsfaktor seiner Pferde sei. So würde ein Pferd nach einem Concours normalerweise während gut einer Woche nicht gesprungen, sondern erhält viel Weidezeit und ein angepasstes Gymnastik- und Ausdauerprogramm.

Thomas Fuchs, der nicht zuletzt mit dem Handel von Pferden seinen Lebensunterhalt verdient, betonte ebenfalls, wie wichtig es ist, dass Pferd und Reiter zusammenpassen, um pferdegerechten Sport zu gewährleisten: «Im Spitzensport braucht man heute wahnsinnig vorsichtige Pferde. Sie brauchen einen Reiter, der ihnen Sicherheit und Vertrauen vermitteln kann. Deshalb sind viele Spitzenpferde schlechte Amateurpferde.»

Die Initiantin der Veranstaltung: Sandra Schaefler von der Fachstelle Heimtiere/Pferde des STS. (Foto: K. Stuppia) Die Initiantin der Veranstaltung: Sandra Schaefler von der Fachstelle Heimtiere/Pferde des STS. (Foto: K. Stuppia)

Möglichkeiten und Grenzen der Turniertierärzte

Der ehemalige Vorsitzende der Veterinärkommission des SVPS und erfahrene nationale und internationale Turniertierarzt Dr. med. vet. Marco Hermann zeigte in seinem Referat auf, was die Aufgaben des Platztierarztes sind - wo er eine aktive Rolle spielt und wo seine direkten Einflussmöglichkeiten aufhören.

Gerade auf nationalen Turnieren sind die Möglichkeiten des Turniertierarztes beschränkt. Hier ist es seine Hauptaufgabe, die Erstversorgung von verletzten Pferden sicherzustellen. Darüber hinaus kann der Turniertierarzt von der Jury beigezogen werden, um den Impfstatus und die Identität der Pferde zu prüfen, ihren Gesundheitszustand zu evaluieren oder auch um die Ausrüstung wie Gamaschen, Trensen oder Sättel zu kontrollieren. Sieht er hingegen ein lahmendes Pferd auf dem Abreitplatz, kann er dieses nicht einfach disqualifizieren, sondern muss den Amtsweg gehen und den Jurypräsidenten oder den Technischen Delegierten auf die Situation hinweisen. Dann liegt es im Ermessen dieses Offiziellen, wie er mit der Situation umgeht.

Der erfahrene Veterinärmediziner, der schon auf zahlreichen nationalen und internationalen Turnieren im Einsatz war, beobachtet immer wieder, dass Pferde auf dem Abreitplatz von nationalen Amateurprüfungen stärker gefordert werden als im internationalen Spitzensport. Auch im Trainingsalltag sieht er im Amateurbereich die Tendenz, dass die Pferde zu viel leisten müssen: «Ich empfehle zwei- bis dreimal wöchentlich Ausdauertraining sowie ein- bis zweimal Gymnastiktraining. Daneben sollten alle Pferde täglich auf die Weide oder in den Auslauf können.» Ausserdem gab Hermann zu bedenken, dass Pferde sich öfters im Training verletzen als im Wettkampf.

Dr. med. vet. Marco Hermann erläutert die Aufgaben des Turniertierarztes. (Foto: K. Stuppia) Dr. med. vet. Marco Hermann erläutert die Aufgaben des Turniertierarztes. (Foto: K. Stuppia)

Reining im Wandel

In der Disziplin Reining, dem «Dressurreiten im Westernsattel», sind die Regeln in manchen Bereichen ganz anders als in den Traditionssparten Springen und Dressur. Die Kaderverantwortliche Reining beim SVPS sowie FEI-Richterin und -Steward Reining Nicole Kubli sprach über die ganz besonderen tierschutzrelevanten Herausforderungen dieser Disziplin, die nicht zuletzt in deren US-amerikanischen Wurzeln und der dortigen Mentalität begründet liegen.

Umso eindrücklicher war zu sehen, welche Vorreiterrolle Europa und insbesondere auch die Schweiz hier einnimmt, um die Wertvorstellungen in diesem Sport nachhaltig zu ändern. So wurden hierzulande beispielsweise die Preisgelder in Prüfungen für ältere Pferde erhöht, um die Attraktivität der Jungpferdeprüfungen zu senken und die Trainer zu animieren, ihre Schützlinge sorgfältig auf die nächsten Leistungsstufen vorzubereiten.

Auch bei der Ausrüstung und deren Kontrolle geht die Disziplin Reining etwas andere Wege als die Dressur und das Springen. So erfolgt die Gebisskontrolle beispielsweise direkt nach der Prüfung, wobei dem Pferd dafür das gesamte Kopfstück ausgezogen wird. Ausserdem erklärte Kubli, dass Nasenbänder im Reining verboten seien, um die Maulbewegungen des Pferdes genau beurteilen zu können. Hingegen sind Stimmhilfen im Wettkampf erlaubt, ja, sogar erwünscht.

Wie feines Reiningreiten in der Praxis aussieht, demonstrierte die Schweizer Kaderreiterin Annika Riggenbach anschliessend eindrücklich in der Reithalle und bildete mit ihren schön gesprungenen Zweierwechseln am Halsring auf dem fleissigen Quarterhorse Franz - so mancher Dressurreiter wäre vor Neid erblasst - den krönenden Abschluss dieser gelungenen Veranstaltung.

Zahlreiche Experten der Pferdewelt trafen sich am STS-Workshop «Pferdegerechter Sport». (Foto: K. Stuppia) Zahlreiche Experten der Pferdewelt trafen sich am STS-Workshop «Pferdegerechter Sport». (Foto: K. Stuppia)

Gemeinsam in die sportliche Zukunft

In seinem Schlusswort zur Veranstaltung fasste Franz Häfliger als Verantwortlicher Wettkampfsport des SVPS das Engagement des Verbandes zugunsten eines pferdegerechten Sports zusammen und verwies auf das neu eingeführte Amt der Aufsichtsperson Abreitplatz in der Dressur oder auch auf die ab 2020 geltende Nasenbandregel. Die neuen Gebissregelungen, die ab 2021 in der Disziplin Springen gelten werden, stehen ebenfalls ganz im Sinne des Pferdewohls - denn, so Häfliger: «Wir alle wollen motivierte Pferde und fairen Sport.»

Auch das Fazit des STS fiel positiv aus. Sandra Schaefler bedankte sich für den konstruktiven Austausch und äusserte den Wunsch, diesen Dialog weiterzuführen. Nun müssten die Theorie und die guten Absichten des Verbandes aber auch in die Praxis umgesetzt werden und die Offiziellen bei Missständen vermehrt eingreifen. Auf der anderen Seite müsse gutes Reiten aber auch ausgezeichnet werden, beispielsweise mit Sonderpreisen - denn wahre Champions soll man an ihrem Verhalten messen.

Cornelia Heimgartner

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