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Unterschätzter Störfaktor: Wenn der Sattel nicht zum Reiter passt

28 April 2020 08:00

Die meisten Reiter wissen um die Wichtigkeit der Sattelpassform für das Pferd. Doch wie steht es mit der Sattelpassform für die Reiterin bzw. den Reiter? Eine gängige Aussage lautet: «Hauptsache, der Sattel passt dem Pferd, ich als Reiter komme schon klar.» Ist das so? Macht es wirklich keinen Unterschied, ob die Reiterin bzw. der Reiter in dem Sattel gut sitzen kann oder nicht?

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Sinn und Zweck eines Sattels ist die gleichmässige Verteilung der durch die Reiterin bzw. den Reiter verursachten Druck- und Gewichtsverhältnisse auf den Pferderücken. Passt der Sattel dem Pferd nicht, hat dies massive Auswirkungen auf die Bewegungen, die Rittigkeit und vor allem auf die Gesundheit des Pferdes. Die 2019 veröffentlichte Schweizer Rückenstudie1,2, die unter anderem vom Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) unterstützt wurde, ergab, dass der Sattel von 90% der Studienteilnehmenden einen oder mehrere Passformmängel aufwies. Empirische Beobachtungen im Rahmen von Sattelpassformkontrollen anhand von Wärmebildern (Thermografie) bestätigen diesen Wert.

 

Die Sattelpassform aus Sicht der Thermografie

Bei der Beurteilung der Sattelpassform müssen Sattel, Pferd und Reiter als Gesamtsystem betrachtet werden.3 Der Thermograf wünscht sich in der Sattellage des Pferdes und bei der Aufnahme der Sattelunterseite jeweils eine gleichmässige Wärmeabstrahlung. Verteilt der Sattel das Reitergewicht unregelmässig, zeigt sich dies mit stellenweise deutlich erhöhter Wärmeabstrahlung (sogenannten Hotspots) oder stark reduzierter Wärmeabstrahlung.

Wenn das Wärmebild nach dem Reiten in der Sattellage des Pferdes ungleichmässig ist, bedeutet dies für den Thermografen: Hier ist etwas nicht in Ordnung! Wurde davor anhand von Wärmebildern eine mögliche pathologische Ursache ausgeschlossen, wird der Grund für diese thermografische Auffälligkeit der Sattel und/oder Reiter sein. In jedem Fall ist es ein Hinweis, sich die Sattelpassform und den Sitz des Reiters genau anzusehen.

Zeigt das Wärmebild nach dem Reiten beispielsweise eine Auffälligkeit im Bereich der Schulter (vgl. Abb. 1), stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte. Zum einen kann ein zu enger Sattel eine Ursache sein. In diesem Fall sind im Komplementärbild der Sattelunterseite im entsprechenden Bereich ebenfalls Hotspots zu erkennen (vgl. Abb. 2). Was aber, wenn dies nicht so eindeutig zuzuordnen ist?

Abb. 1: U.a. deutliche thermografische Auffälligkeit der Schultern, links stärker als rechts. Abb. 1: U.a. deutliche thermografische Auffälligkeit der Schultern, links stärker als rechts.

Abb. 2: Die komplementäre Aufnahme des Sattels bestätigt die linksseitig stärkere Belastung. Abb. 2: Die komplementäre Aufnahme des Sattels bestätigt die linksseitig stärkere Belastung.

Anatomie des Reiters

Als nächster Einflussfaktor wird die Reiterin bzw. der Reiter thermografisch unter die Lupe genommen. Eine Kontrollaufnahme (Abb. 3) zeigt in diesem Fall, dass die Reiterin aus thermografischer Sicht gleichmässig gerade im Sattel sitzt. Was dank des Wärmebildes jedoch auffällt: Die Reiterin sitzt eher auf ihren Oberschenkeln statt auf den Sitzbeinhöckern und dem Schambein - man spricht von einem Spaltsitz. Die Ursache ist in diesem Fall, dass der Sattel für die Reiterin im Twist zu breit ist. Um aufrecht sitzen zu können, gerät die Reiterin in den Spaltsitz und klemmt mit den Oberschenkeln. Der Reiterin war dies überhaupt nicht bewusst, und sie empfand den Sattel auch nicht als unangenehm. Langfristig würde diese Situation bei der Reiterin jedoch zu Gesundheitsproblemen wie einem blockierten Becken und Rückenschmerzen führen.

Zum Vergleich zeigt Abbildung 4 eine Reiterin, die im Sattel gut zum Sitzen kommt, wenn sie auch in sich leicht schief ist. Hier sieht man, dass die Reiterin in der Tat im Sattel Platz nimmt und somit im Bereich der Sitzbeinhöcker eine entsprechende Wärmeabstrahlung sichtbar ist.

Abb. 3: Aufnahme des Reiters mit gleichmässiger Wärmeabstrahlung. Abb. 3: Aufnahme des Reiters mit gleichmässiger Wärmeabstrahlung.

Abb. 4: Diese Reiterin kommt im Sattel zum Sitzen, ist in sich aber leicht schief. Abb. 4: Diese Reiterin kommt im Sattel zum Sitzen, ist in sich aber leicht schief.

Keine Frage der Fitness

Auch im Rahmen der Schweizer Rückenstudie wurde festgestellt, dass die elektronische Satteldruckmessung bei gleichem Pferd und gleichem Sattel, aber anderem Reiter, abweichende Resultate ergab. Als Gründe hierfür wurden unter anderem Unterschiede bezüglich Leistungsniveau und Reiterfitness vermutet. Der Markt bietet heute eine ganze Reihe von Fitness- und Bewegungsprogrammen, die dem Reiter zu einem besseren Sitz verhelfen sollen. Diese Übungen verhelfen nachweislich zu einer besseren Balance und Körperspannung4,5. Nur: Was bringt das, wenn der Sattel nicht zum Reiter passt? Hätte unsere Reiterin im Spaltsitz dadurch besser Platz nehmen können? Aus thermografischer und ergonomischer Sicht lautet die Antwort auf die letzte Frage ganz klar Nein.

 

Bewegungsfreiheit für den Reiter

Gemäss der Wegleitung für Dressurprüfungen des SVPS soll der Reiter senkrecht und im Gleichgewicht, im tiefsten Punkt des Sattels, sitzen, geschmeidig in Kreuz und Hüften und mit ruhiger Schenkellage und tiefem Absatz. Der Oberkörper soll ungezwungen, frei und gerade gehalten werden, um den Bewegungen des Pferdes ohne Härte und ohne Zwang zu folgen.

Diese Merkmale kann ein Reiter nur erfüllen, wenn der Sattel zu ihm passt und ihm grösstmögliche Bewegungsfreiheit bietet. Im passenden Sattel muss sich der Reiter nicht anstrengen, um korrekt und im Lot zu sitzen oder in jeder Gangart seine Balance zu wahren.6 Wenn der Reiter sich aber anstrengen muss, um beispielsweise die Knie an das Pferd zu bekommen oder aufrecht zu sitzen, und er immer wieder Balanceprobleme hat, dann ist möglicherweise der Sattel eine Ursache.

Abb. 5: Diese Reiterin ist in sich schief und nicht in der Lage, ihre Knie ans Pferd zu bekommen. Abb. 5: Diese Reiterin ist in sich schief und nicht in der Lage, ihre Knie ans Pferd zu bekommen.

Thermografische Auffälligkeiten umfassend analysieren

Auf der Abbildung 5 ist eine Reiterin zu sehen, deren Pferd sich nicht weiterentwickelte und wenig Rückenmuskulatur aufwies. Bei der Bodenarbeit war das Pferd sehr kooperativ, beim Reiten jedoch steif und unleidlich. Hier konnte die Thermografie zwar zeigen, dass der Sattel nicht mehr optimal passte (Abb. 6), der ausschlaggebende Punkt war aber, dass die Reiterin nicht zum Sitzen kam. In Abbildung 5 ist gut zu sehen, dass die Reiterin ihr Knie nicht ans Pferd bekommt. Im Bewusstsein, dass sie in sich schief ist - was im Wärmebild ebenfalls gut zu erkennen ist - hat die Reiterin angenommen, die Ursache ihres suboptimalen Sitzes liege in dieser Schiefe. Letztere mag möglicherweise ein Grund für den über die Zeit tendenziell nach rechts fallenden Sattel gewesen sein. Dass aber die Sattellage des Pferdes im hinteren Bereich einen Hotspot aufweist, ist eher auf ein «rückwärtiges Sitzen» der Reiterin zurückzuführen: Da die Reiterin ihr Knie nur mit Mühe ans Pferd bringen konnte, geriet sie immer wieder in Rücklage, und damit erfolgte eine erhöhte Belastung des Pferderückens im hinteren Bereich. Der Sattel vermochte das Reitergewicht nicht mehr gleichmässig zu verteilen. Der erhöhte Druck in diesem Bereich führte beim Pferd zu einer Kompensationshaltung, was sich langfristig in einer verminderten Rückenmuskulatur mit allen damit verbundenen Konsequenzen äusserte.

Ein anderer, der Reiterin passender Sattel brachte die Lösung. Das Pferd muskelt derzeit auf und arbeitet auch unter dem Sattel immer freudiger mit.

Fazit: Der Sattel ist das Bindeglied zwischen Pferd und Reiter; damit beide Partner gesund und zufrieden sein können, muss der Sattel folglich beiden passen.

Daniela Hoffmann
zertifizierte Pferdethermografin

Abb. 6.1: Brückender Sattel, der tendenziell nach rechts fällt. Abb. 6.1: Brückender Sattel, der tendenziell nach rechts fällt.

Abb. 6.2: Brückender Sattel, der tendenziell nach rechts fällt. Abb. 6.2: Brückender Sattel, der tendenziell nach rechts fällt.

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