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Mit Herz und Seele: Voltige bestimmt den Alltag

13 November 2017 13:30

Voltige Lütisburg feiert dieses Jahr sein 30-Jahr-Jubiläum und machte sich im August mit der Europameisterschafts-Silbermedaille im Teamvoltigieren gleich selber das schönste Geschenk. Hinter dieser Erfolgsgeschichte steht seit Beginn die Familie Bischofberger.

Mitte der Achtzigerjahre kannte im Toggenburg noch kaum jemand das Voltigieren. Im Reitstall Bischofberger war der Springsport Trumpf. Die beiden Söhne ritten von Kindesbeinen an Concours. Der jüngere, Bruno, übernahm als Profireiter den Reitbetrieb vom Vater, der ältere, Kurt, stieg als gelernter Maurer ins familieneigene Baugeschäft ein. Kurt blieb aber dem Springsport in regionalen Prüfungen treu, und auch seine Frau Heidi ritt als Freizeitreiterin regelmässig. 1986, erst zehnjährig, ritt auch die Tochter Monika bereits kleine Turniere und ging daneben ins Kunstturnen. 

Familientage abseits von Voltige und Fussball sind bei der Familie Winkler-Bischofberger selten. Wenn die Zeit für einen Ausflug reicht, wird aber um so mehr genossen. Familientage abseits von Voltige und Fussball sind bei der Familie Winkler-Bischofberger selten. Wenn die Zeit für einen Ausflug reicht, wird aber um so mehr genossen. (Bild: zvg)

Voltigieren bekannter machen

Zu dieser Zeit kam das Ehepaar Gebs aus der damaligen Voltigehochburg St. Gallen auf Bischofbergers zu. Es fragte an, ob diese nicht Lust hätten, das Voltigieren im Toggenburg bekannt zu machen. Kurt Bischofberger sagt rückblickend: 

Wir fanden die Idee interessant, hatten auch ein geeignetes Pferd, wussten aber nicht, wie man Voltigekinder trainiert.

Annemarie Gebs hatte die Idee, dass die reitende und kunstturnende Monika die geeignete Voltigiererin wäre und den Sport bei ihnen in St. Gallen lernen und dieses Wissen dann an die Toggenburger Kinder weitergeben könne. Gesagt, getan: Die multisportive Monika wurde Mitglied des Teams St. Gallen, und Mutter Heidi lernte das Longenführen.

Start mit acht Kindern

Ein Jahr später wurde die Voltigegruppe - als Untersektion des Reitclubs an der Thur - ins Leben gerufen. Mit acht Kindern aus der Region und dem pensionierten Springpferd Till begann das Abenteuer. Heidi Bischofberger stand an der Longe, Monika zeigte den Kindern die Voltigefiguren auf dem Probebock und auf dem Pferd, und auch die zweite Tochter, Karin, turnte fleissig mit. Die heute dreifache Mutter Monika Winkler-Bischofberger erzählt schmunzelnd: 

Die ganze Familie kam zum Voltigieren wie die Jungfrau zum Kind. Ich war talentiert und kam in St. Gallen schnell in die erste Mannschaft, konnte also meine Erfahrungen an die Lütisburger Kinder weitergeben. Meine Mutter besuchte Longenführerkurse, und mein Vater hatte ein gutes Auge für geeignete Pferde.

Sieben Championats-Medaillen 

Die Voltigegruppe Lütisburg entwickelte sich zu einem eigenständigen Verein mit mehreren Wettkampfgruppen, organisierte Turniere, und im Stall, wo ursprünglich nur Springpferde standen, gab es plötzlich mehrere Voltigepferde und nur noch ein Springpferd für Monika. Sie musste ihre eigene Voltigekarriere mit 16 Jahren verletzungsbedingt aufgeben und amtete danach als Trainerin, ritt aber auch noch Springprüfungen. Heute voltigieren in Lütisburg 53 Mädchen und zwei Knaben in acht Gruppen auf acht Pferden mit ebenso vielen Longenführerinnen. Voltige Lütisburg hat inzwischen eine Sammlung von sieben internationalen Championats-Medaillen, sechs aus dem Teamvoltigieren und eine aus der Einzelkategorie. Dazu kommen 16 Schweizer-Meisterschafts-Medaillen, zehn aus der Team- und sechs aus der Einzelkategorie.

Die erste Mannschaft von Voltige Lütisburg bei der Kür in Ebereichsdorf, wo sie die Silbermedaille erkämpfte. Die erste Mannschaft von Voltige Lütisburg bei der Kür in Ebereichsdorf, wo sie die Silbermedaille erkämpfte. (Bild: Daniel Kaiser)

Im Unruhestand

Die fünffachen Grosseltern Heidi und Kurt Bischofberger sind beide seit Jahren pensioniert, doch davon merkt man nichts. Sie führen nach wie vor ihr Baugeschäft, sind täglich im Voltigetraining und hüten oft die Enkelkinder. Im Sommer ist es keine Seltenheit, dass der Grandseigneur um fünf Uhr morgens die Pferde auf die Weide bringt, danach auf seinen Baustellen zum Rechten sieht und ab vier Uhr nachmittags wieder im Stall ist und während des Trainings bei der Betreuung der Pferde hilft. Zudem chauffiert er den Lastwagen zu allen Turnieren im In- und Ausland. Oft nachts und immer begleitet vom Co-Chauffeur Christoph Niederberger, der im Vorstand des Vereins amtet und das Hobby Voltige zusammen mit seiner Frau - auch sie Vorstandsmitglied - als Ausgleich zu seinem Beruf als Allgemeinmediziner betreibt. Auf die Frage, ob er es nicht lieber etwas ruhiger hätte, antwortet Kurt Bischofberger: «Ich sitze doch nicht zu Hause und warte, bis ich sterbe. So lange es gesundheitlich geht, arbeite ich im Baugeschäft, und die Pferde und das Voltige sind für mich Freizeit.»

Seine Frau wirft ein: «Ich habe ja gehofft, dass wir im Alter einige Reisen machen. Da Kurt aber nicht gerne fliegt, wird daraus nichts.» Wie auf Kommando lachen Kurt und Monika los und meinen unisono: 

Wir sind durch die Auslandturniere ständig auf Reisen, was willst du noch mehr?

Danach lachen alle und sind sich einig, dass es toll sei, immer mit der ganzen Familie und den Pferden auf Tour zu sein. Manchmal begleitet auch die jüngere Tochter Karin das Team an Championate. Sie ist Physiotherapeutin und geniesst es jeweils, einige Tage mit der Familie zu verbringen und die Voltigiererinnen zu unterstützen.

Kurt Bischofberger ist täglich bei seinen Pferden im Stall und vor allem an internationalen Championaten eine grosse Stütze für das ganze Team. Kurt Bischofberger ist täglich bei seinen Pferden im Stall und vor allem an internationalen Championaten eine grosse Stütze für das ganze Team. (Bild: zvg)

Organisation ist alles

Bei der sportlichen Leiterin Monika Winkler-Bischofberger ist der Alltag mit Familie, Beruf und Sport nicht immer einfach. Sie und ihr Mann - der ehemalige Profifussballer Patrick Winkler - müssen jeden Tag perfekt organisieren. Er arbeitet 100 Prozent beim kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit als Coach für Arbeitsuchende und trainiert die erste Mannschaft des FC Balzers. Sie arbeitet 40 Prozent als schulische Heilpädagogin in einer Kleinklasse und trainiert an fünf Tagen pro Woche mit den Voltigeteams. Sie erklärt: 

Patrick und ich wären nicht glücklich, wenn wir unseren Sport nicht hätten. 

Aber wenn unsere Kinder - die bald sechsjährige Yael und die dreijährigen Zwillinge Yaron und Lean - mit unserem ungewöhnlichen Alltag Probleme hätten, würden wir sofort zurückstecken.» Doch die Kinder seien bei den Voltigetrainings immer dabei. Der Reitstall ist für sie ein Abenteuerspielplatz. Sie essen meistens auch ihr Abendbrot dort und finden das viel lässiger als daheim am Esstisch. Zudem sehen sie fast täglich Oma und Opa, was sie lieben.

Multitasking-Oma Heidi Bischofberger kümmert sich auf Voltigereisen ums Organisatorische und hütet gleichzeitig ihre Enkelkinder. Multitasking-Oma Heidi Bischofberger kümmert sich auf Voltigereisen ums Organisatorische und hütet gleichzeitig ihre Enkelkinder. (Bild: zvg)

Auslandturniere sind arbeitsintensiv

Am aufwendigsten sind für Bischofbergers die Auslandturniere, da die Vorbereitungen lange vor der Abreise beginnen. Für die Voltigiererinnen müssen Urlaubsgesuche geschrieben werden. Rund vier Tage vor der Abreise wird entschieden, was noch gewaschen und vorbereitet werden muss. Die Pferde werden dem Amtstierarzt vorgeführt, und die Nachtfahrbewilligung für den Lastwagen ist zu organisieren. Allein für das Beladen des Transporters braucht das Team rund zwei Stunden. Kurt und sein Co-Chauffeur fahren mit den Pferden meistens am Mittwochabend los, Heidi und Monika mit ihren Kindern sowie das Voltigeteam folgen am Donnerstag.

Monika erläutert: «Die Auslandturniere, wo wir oft mit der ersten Mannschaft und den Einzelvoltigierern an den Start gehen, sind für mich streng. Wir haben jeweils mindestens drei Pferde dabei, die ich über die Turniertage morgens reite, vor den Wettkämpfen ablongiere und dann an den Start bringe. Da bin ich dankbar, dass meine Eltern sich um meine Kinder kümmern und auch schauen, dass bei den Vorbereitungen der Teams alles rundläuft. Und wie daheim, hilft mein Vater bei den Pferden und der Stallarbeit. Immer die gleichen verlässlichen Menschen um mich zu haben, erleichtert vieles.»

​​​​​​​Zukunftspläne

Darauf angesprochen, wie es denn mit Voltige Lütisburg weitergehe, wenn ihre Eltern nicht mehr aktiv mitarbeiten können, meint Monika: «Wir machen uns Gedanken darüber, aber konkrete Pläne gibt es nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sich das Ganze irgendwann verkleinert. Es gibt ja keine Garantie, dass wir immer so erfolgreich bleiben und die Nationalmannschaft stellen. Dass ein aufstrebendes Team uns den Rang abläuft, kann jederzeit passieren. Darauf bin ich vorbereitet.»

Zwar bin ich erfolgshungrig, aber nicht erfolgsbesessen.

Voltige Lütisburg und die Familie Bischofberger haben in den letzten 30 Jahren vielen Jugendlichen die Möglichkeit geboten, ihre Freude an Pferden und der Akrobatik zu verbinden und mit ihren Vorführungen die Zuschauer in der Schweiz und über die Landesgrenzen hinaus zu begeistern. Den Nachwuchs für diesen speziellen Sport zu motivieren, ist für alle Beteiligten auch zukünftig das oberste Ziel.

Barbara Würmli

Ein eingespieltes Team: Das Team Lütisburg mit Monika Bischofberger an der Longe. Ein eingespieltes Team: Das Team Lütisburg mit Monika Bischofberger an der Longe.

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