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Fortsetzung: bis zur Perfektion vom Hass zur Liebe

21 Juni 2021 09:00

Gross war die Freude, den LKW-Führerausweis in der Tasche zu haben. Doch das war noch nicht alles. Denn als nächster Schritt musste auch das LKW-Anhänger-Permis her. Da nutzte alles mit- und unleidig sein, sich und andere nerven nichts. Die Chronik einer wahren Achterbahnfahrt.

Der tolle Lehrfahr-LKW inklusive seines sensiblen Zweiachsanhängers mit Drehdeichsel. (Foto: Nicole Basieux) Der tolle Lehrfahr-LKW inklusive seines sensiblen Zweiachsanhängers mit Drehdeichsel. (Foto: Nicole Basieux)

Nach der bestandenen LKW-Prüfung habe ich mich sofort ans Üben mit dem Anhänger gemacht. Nicht mit irgendeinem LKW-Anhänger, sondern einem Zweiachser mit Drehdeichsel. Um zu verstehen, wie das ganze Gebilde funktioniert, half ich mir mit einem Modell aus Modelleisenbahnwagen sowie einem aus Pappkarton. Theoretisch wars eigentlich klar und logisch. Praktisch allerdings wars, zumindest am Anfang, etwas ganz anderes.

«Nur» drei Manöver

Bei der ersten Fahrstunde mit dem LKW-Anhänger sagte mein Fahrlehrer Folgendes: «Du musst nebst dem normalen Vorwärtsfahren in jeglichem Verkehr eigentlich ‹nur› drei Manöver können: 1. geradeaus rückwärts fahren, 2. einen Spurwechsel machen und 3. einmal um 90 Grad rückwärts einparken.» Mit der Betonung auf «nur» - man ahnt es schon. Es tönt wesentlich einfacher, als es dann in Wirklichkeit ist.

Von Leuchtdioden, grünen und roten Klebestreifen

Natürlich ist mir mein Fahrlehrer mit Tipps und Tricks dabei zur Seite gestanden und hat mich mit viel Erfahrung und Motivation so richtig gedrillt. Zum Beispiel mithilfe von Klebestreifen am Anhänger: Im Rückspiegel sieht man von aussen nach innen zuerst die Leuchtdioden, dann die Schrauben, dann die weisse Fläche bis zum grünen Klebestreifen, dann ein roter Klebestreifen - und das jeweils auf beiden Seiten. Ähm, ja, das ist definitiv eine Wissenschaft für sich, und zum Glück gibt es diese Anhaltspunkte, denn ohne diese - keine Chance, das zu lernen - jedenfalls für mich nicht. Die entsprechenden Anhaltspunkte sieht man dann je nach Steuereinschlag bei den verschiedenen Manövern im Rückspiegel, oder sollte sie zumindest sehen.

Klebestreifen am Anhänger zur Orientierung im Rückspiegel. (Foto: Nicole Basieux) Klebestreifen am Anhänger zur Orientierung im Rückspiegel. (Foto: Nicole Basieux)

Steuer von viertel vor zwölf bis viertel nach zwölf

Für Manöver 1 war die Devise: «Am Steuerrad viertel vor zwölf, dann viertel nach zwölf und so hin und her, nicht mehr und nicht weniger, aber manchmal schneller und manchmal langsamer und das im Schritttempo.» Fazit des Fahrlehrers nach meinen ersten Versuchen: «Du musst nicht so mühlenmässig am Steuer drehen … nur ganz wenig. Krafttraining kannst du im Fitness machen.» Verstanden hatte ich es ja, aber gefühlt, ähm, nein. Der LKW-Anhänger reagierte immer sehr sensibel … um nicht zu sagen: viel zu sensibel.

Mindestens einmal, meistens aber zwei- bis dreimal die Woche, setzte ich mich also ans Steuer dieses Lastwagenzugs. Und eines morgens sehe ich neue graue Strähnen in meinen dunkelbraunen Haaren. Klar, denke ich, ich gehe auf die 40 zu, aber jetzt ernsthaft? Und mein nächster Gedanke: Das kommt bestimmt vom LKW mit Zweiachsanhänger fahren, das gibt graue Haare …! An manchen Tagen lief es relativ gut, doch an manchen fing es gut an, und dann mit der Zeit wurde ich immer unpräziser und ungenauer. Doch meist konnte ich mich aus der Situation retten und wusste zumindest, was zu tun ist, um zu korrigieren. Der Moment für die LKW-Anhänger-Prüfung war somit gekommen.

Traumprüfung mit Wunschexperten

Etwas nervös warte ich auf den Experten. Eine Minute vor 13 Uhr immer noch kein Experte in Sicht. Doch endlich, da kommt er die Treppen hoch, und ich werde etwas ruhiger. Denn es ist mein «Wunschexperte», nämlich derselbe, der mir bereits die LKW-Prüfung abgenommen hat.

Nun volle Konzentration, in Gedanken nochmal alles visualisieren. Beim Rausfahren aus dem Strassenverkehrsamt bloss nicht über den Stopp hinausfahren. Bremsen, drei Sekunden halten und dann erst los.

Der Zweiachser mit Drehdeichsel im Pappkartonmodell. (Foto: Nicole Basieux) Der Zweiachser mit Drehdeichsel im Pappkartonmodell. (Foto: Nicole Basieux)

Manöver in Perfektion

Zehn Minuten später erreichen wir den grossen Parkplatz einer militärischen Anlage. Da gibts Platz ohne Ende. Der Experte wünscht gleich Manöver Nummer 3, also bitte einmal im 90-Grad-Winkel rückwärts auf den Platz parkieren. Gesagt, getan. So perfekt wie in diesem Moment hat es beim Üben auch noch nie gepasst. Und ich denke: Hoffentlich will er jetzt nicht, dass ichs nochmal mache … Das gab vom doch etwas erstaunten Experten ein Daumen hoch, Lob und die Aussage, dass sogar kaum ein Chauffeurlehrling das bei der Prüfung so gut hinkriege. Dann seine etwas unschlüssige Frage: «Und was machen wir jetzt mit dem Rest der Zeit?» Für mich spielt es keine Rolle, ich muss nun einfach extrem konzentriert bleiben. Wäre ja schön blöd, ein perfektes Manöver hinzulegen und dann unterwegs sonst einen Mist zu machen.

Also los auf die Hauptstrasse und von St-Maurice Richtung Aigle fahren. Kreisel fahren bis zum Umfallen, Antizipieren und die Augen überall haben, aufmerksam sein wie ein Chamäleon! Sogar den Velofahrer habe ich beim Überholen stehen lassen. In Aigle angekommen, wieder zurück auf die Autobahn, eine Ausfahrt vor Ankunft wieder auf die Hauptstrasse abfahren und zurück zum Strassenverkehrsamt. Dort angekommen, bitte einmal zwischen zwei Linien vorwärts reinparkieren und den LKW-Anhänger abhängen. Alles gesichert, abgehängt und jetzt einmal mit dem LKW um den grossen Platz rauschen und wieder anhängen. Gesagt, getan.

Zeit totschlagen mit Zusatzmanöver

Noch war die Zeit nicht vorüber, und der Experte sagte: «Also, dann machen wir noch das Rückwärtsfahren an die Rampe.» Alles klar, ruhig Blut, und das Manöver genauso vorbereiten, wie’s der Fahrlehrer gesagt hat, nämlich einfach frisch über alle Linien fahren, dann schön nah an den orangenen Pfosten und dann geradeaus neben der Strassenlampe bis ins Gras. Dann rückwärts einen Spurwechsel durchführen und bis exakt 1,80 m an die Rampe ranfahren. Auch das gelang. O.k., ich musste zweimal etwas korrigieren, jedoch stand ich dann mit dem ganzen Lastwagenzug fast perfekt zwischen den Linien und gerade an der Rampe. Der Experte gratulierte, erledigte den Papierkram, und vorbei war’s auch schon.

Ein lachendes und ein wehmütiges Auge

Ich war zwar erleichtert, aber doch auch ein wenig wehmütig, als es geschafft war. Denn was mach ich nun ein- bis zweimal die Woche in den Mittagspausen sowie am Samstagvormittag? Und auch die Fahrstunden werden mir irgendwie fehlen sowie auch der tolle Lehrfahr-LKW inklusive seines sensiblen Zweiachsanhängers mit Drehdeichsel. Als dann der Ausweis ins Haus flatterte, Freude und Stolz über den CE-Ausweis! Und nun gehts los, auf die Strassen der Schweiz und des übrigen Europas.

Nicole Basieux

 

Die stolze Lastwagenfahrerin Nicole Basieux. (Foto: zVg) Die stolze Lastwagenfahrerin Nicole Basieux. (Foto: zVg)

Im «Bulletin» 2/2021 berichtete Nicole Basieux über ihren abenteuerlichen Weg zum LKW-Führerschein. Haben Sie den Artikel verpasst? Hier können Sie ihn nachlesen: Mein Weg zum LKW-Führerschein - ein kleines Abenteuer - FNCH

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